Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Brexit macht im Königreich 20 000 Gesetze ungültig
Britische Regierung will sich von EU-Recht verabschieden
LONDON - Großbritannien bereitet sich darauf vor, die volle nationale Souveränität zurückzugewinnen. Am Tag nach der Scheidungsankündigung legte die Regierung in London konkrete Pläne vor, wie der Abschied von Europa im Königreich legislativ umgesetzt werden soll. Das Kabinett von Theresa May veröffentlichte dazu ein Weißbuch zum Großen Aufhebungsgesetz, das die Gültigkeit von europäischem Recht in Großbritannien beenden wird.
Das Aufhebungsgesetz wird den „European Communities Act“abschaffen, der im Jahre 1972 den britischen Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft regelte und die Voraussetzung für die Gültigkeit des europäischen Rechts in Großbritannien war. Es soll bis Mitte 2018 beschlossen werden, aber erst dann in Kraft treten, wenn das Königreich in zwei Jahren die EU endgültig verlassen hat. Es ist auch ein hochsymbolischer Akt. Das Große Aufhebungsgesetz soll den Briten demonstrieren: Wir sind wieder unabhängig und unterstehen nicht mehr der Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg. Für die Euroskeptiker im Land war das immer sehr wichtig.
Streit ist programmiert
Paradoxerweise wird das Gesetz aber zunächst sämtliche EU-Vorschriften und Regelungen, den sogenannten Aquis Communautaire, in britisches Recht umwandeln. Dadurch soll, so der Brexit-Minister David Davis, „Unternehmen, Arbeitern und Konsumenten die notwendige Sicherheit gegeben“und ein rechtsfreier Raum nach Austritt vermieden werden. In einem zweiten Schritt sollen dann rund 20 000 Gesetze und Vorschriften durchforstet werden, um sie gegebenenfalls umzuschreiben oder zu streichen. An diesem Punkt ist Streit programmiert.
Denn das Aufhebungsgesetz will festschreiben, dass Minister sogenannte „Heinrich VIII.-Vollmachten“bekommen. Dem Tudor-König wurde 1539 zugestanden, durch Proklamierungen, also ohne Mitwirkung des Parlaments, Gesetze abändern zu können. Verständlich, dass Parlamentarier jetzt Sturm laufen gegen ein Vorhaben, das einige Abgeordnete ein Ermächtigungsgesetz nennen. Die Regierung argumentiert, dass es angesichts der Masse an zu ändernden Verordnungen unabdingbar sei.
Im Übrigen sollen die Vollmachten, versprach Davis, zurückhaltend angewandt werden und nur für einen bestimmten Zeitraum gelten. Einer der höchsten Richter des Landes und Präsident des Supreme Court, Lord Neuberger, prophezeit jedoch eine Prozesslawine, sollte die Exekutive das Instrument der Proklamation benutzen, um primäre Gesetzgebung abzuändern. Auch der Oppositionsführer und Labour-Chef Jeremy Corbyn warnte die Regierung, „diktatorische“Prozeduren zu gebrauchen: „Wir werden nicht einfach dasitzen und der Regierung erlauben, Demokratie zu übergehen.“