Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Lange Wege für Erdaushub
Bauwirtschaft befürchtet Entsorgungsengpässe wegen voller Deponien
RAVENSBURG - Baden-Württemberg ist nach wie vor das Land der Häuslebauer. Allein 2016 sind laut Statistischem Landesamt 14 454 neue Wohngebäude entstanden. Jährlich werden für Neubauten gut 25 Millionen Tonnen Erde aus dem Boden gebuddelt.
Diese wird, je nach Belastung mit Schadstoffen, entsorgt oder weiterverwertet – was laut der Landesvereinigung der Bauwirtschaft BadenWürttemberg in Zukunft jedoch zum Problem werden könnte. Die Interessensvertretung der heimischen Bauunternehmen prognostiziert einen Notstand bei der Endlagerung von Erdaushub. Der Grund: Immer mehr Deponien müssten wegen Überfüllung schließen, immer weniger neue Lagerstätten würden gebaut. Das liege vor allem an der langwierigen Suche nach neuen Standorten, wie Dieter Diener, Geschäftsführer der Vereinigung, erzählt: „Die Erschließung einer neuen Deponie dauert im Schnitt zehn Jahre.“Es sei indes schwierig, diesen Notstand zu beziffern. „Wir wissen von einzelnen Deponien, dass sie keinen Erdaushub mehr annehmen können“, erzählt Diener. Gerade im Großraum Stuttgart und den umliegenden Landkreisen, in der Region Mannheim, Heidelberg und Karlsruhe sowie im südbadischen Raum rund um Freiburg herrsche „akute Entsorgungsnot“.
Als Konsequenz sei ein „regelrechter Transporttourismus entstanden“, Baufirmen würden unbelastetes Material sogar bis nach Rheinland-Pfalz fahren. Auch in BadenWürttemberg hätten sich die Transportwege von 40 auf 80 Kilometer verdoppelt, „mit entsprechenden Belastungen für Umwelt und Straßen“. Zudem seien Kosten für Bauund Abbruchabfälle „sprunghaft nach oben geschnellt“.
Problem Lärmschutzwände
Laut dem Umweltministerium des Landes werden 95 Prozent der Bauund Abbruchabfälle und des Erdaushubs weiter verwertet, beispielsweise im Straßenbau oder für die Verfüllung von Lärmschutzwänden. Davor müssen sie auf Schadstoffe hin untersucht werden. Sind Bauabfälle oder Erdmassen kontaminiert, müssen diese entsorgt werden.
Diener befürchtet, dass mit der neuen sogenannten „Mantelverordnung“des Bundesumweltministeriums nun noch mehr unnützer BauMüll entsteht. „Die Mantelverordnung sieht Werte vor, die deutlich unter der europäischen Norm sind“, so Diener. Die Folge: Weniger Recycling, mehr Entsorgung. Daher sieht Diener die Landkreise, die die Lagermöglichkeiten garantieren müssen, in der Pflicht.
Diese sehen die derzeitige Situation nicht so dramatisch wie die Bauwirtschaft. „Wir halten die Befürchtung für überzogen“, sagt Alexis von Komorowski, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Landkreistags Baden-Württemberg. „Uns ist die Problematik bewusst, es mag an der einen oder anderen Stelle Entsorgungsengpässe geben, gerade in Südbaden. Aber es ist nicht so, dass man in Baden-Württemberg seine Bauabfälle überhaupt nicht mehr entsorgen kann.“
Die Landkreise, so will es der Gesetzgeber, müssen Entsorgungssicherheit für zehn Jahre garantieren. „Wir liegen derzeit sogar bei 13 Jahren“, erklärt von Komorowksi weiter. Rechne man die geplanten Deponien dazu, kämen die Landkreise auf „über 20 Jahre“. Rund 280 Deponien für die Abfallklassen 0 bis 0,5, also unbelasteten Erdaushub, gebe es derzeit im Land. Zusätzlich seien die Landkreise stetig auf der Suche nach neuen Standorten für Deponien.
Zudem sei es, nach von Komorowski, die Aufgabe der Bauunternehmen zu prüfen, welches Material auf den Baustellen vor Ort verbaut werden könnte, anstatt abtransportiert und entsorgt zu werden. „Der Abfall geht zudem immer den Weg des geringsten Preises“, erklärt er weiter. Er bestätigt, dass die Entsorgung von Abfall teurer geworden ist. Sollte Bauabfall in andere Bundesländer gefahren werden, sei es daher vor allem eine Frage des Geldes.
Das Umweltministerium des Landes bestätigt die Einschätzung von Komorowski. Der Verpflichtung, eine mindestens zehnjährige Entsorgungssicherheit nachzuweisen, „kommen die Landkreise nach“, sagt Ministeriumssprecher Frank Lorho. Baden-Württemberg stehe deutlich besser da als andere Bundesländer. „Allerdings zeigt der Rückgang der Restlaufzeiten, dass Handlungsbedarf besteht und zusätzliche Deponiekapazitäten geschaffen werden müssen“, räumt Lorho ein. Es bestehe jedoch noch kein „dringlicher“Handlungsbedarf.
Das Umweltministerium und die kommunalen Spitzenverbände erarbeiten derzeit im Auftrag der grünschwarzen Landesregierung eine neue Deponiekonzeption. Diese solle laut Lorho die „Entsorgungssicherheit auf Landes- und auf regionaler Ebene erhalten“und gewährleisten, dass auch Landkreise ohne ausreichende Kapazitäten ihren Abfall entsorgen können.