Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Michael setzt den Scherbenha­ufen wieder zusammen

Dank der Unterstütz­ung der OWB hat der 43-Jährige nicht nur eine eigene Wohnung, sondern auch einen Job

- Von Jennifer Kuhlmann

MENGEN - Ein selbststän­diges und ausgefüllt­es Leben hat sich Michael in kleinen Schritten hart erarbeiten müssen. Dass der 43-Jährige heute an drei Tagen in der Woche in der Metallvera­rbeitung bei Alu-Line in Bad Saulgau arbeitet und in einer eigenen Wohnung lebt, hätte ihm vor drei Jahren niemand zugetraut. Nach dem Tod seiner Pflegemutt­er hatte er vor einem Scherbenha­ufen gestanden. „Die OWB und mein Job-Coach haben mir geholfen, aus diesem Loch wieder herauszuko­mmen“, sagt er. „Das war nicht einfach, aber ich bin stolz, dass es geklappt hat.“

Michaels Mutter hat während der Schwangers­chaft so viel Alkohol getrunken, dass die Entwicklun­g ihres Kindes gestört wurde. Michael ist mit einer geistigen Behinderun­g zur Welt gekommen. Fetales Alkoholsyn­drom lautet der Fachbegrif­f. Für Michael bedeutete dies, dass das Jugendamt ihn in eine Pflegefami­lie gegeben hat und er eine besondere Betreuung brauchte. Mit seiner Pflegemutt­er lebte er bis vor drei Jahren in Stuttgart. „Sie hat sich bis zu ihrem Tod um ihn gekümmert“, erzählt Daniel Schwarzkop­f, der bei den Oberschwäb­ischen Werkstätte­n (OWB) für die Ambulanten Dienste tätig ist. „Plötzlich war die Mutter weg und Michael geriet in einen Abwärtsstr­udel, weil ihm sein einziger Halt genommen worden war.“Michael zog sich zurück, flüchtete sich in den Alkohol und war vollkommen antriebslo­s.

Haus wird saniert

Der Sohn seiner Pflegemutt­er kontaktier­te schließlic­h die OWB und bot an, das alte Haus der Familie in Mengen so herzuricht­en, dass Michael dort einziehen konnte. Für die haupt- und ehrenamtli­chen Mitarbeite­r begann eine intensive und wichtige Arbeit. „Da war dieser Mensch mit all seiner Trauer und Wut, dem Zwang, sich Alkohol zu besorgen und den Gedanken, dass sein Leben keinen Wert mehr hat“, sagt Schwarzkop­f. Durch das Intensiv Betreute Wohnen (siehe Kasten) wurde es möglich, dass sich täglich jemand um Michael gekümmert hat. Das war Schwarzkop­f zum größten Teil selbst, aber auch eine Mitarbeite­rin auf 450-Euro-Basis sowie ein Ehrenamtli­cher.

„Ich wusste nicht, was ich machen sollte“, erinnert sich Michael an die Zeit. „Ich war ja nie allein gewesen und sollte es auf einmal sein. Die Abende waren am schlimmste­n.“Deshalb setzten die OWB-Mitarbeite­r zunächst auf Ablenkung, Freizeitge­staltung und Anleitung, den Haushalt selbst zu führen. Irgendwann konnte Michael in der OWB-Werkstatt am Jobtrainin­g teilnehmen und verschiede­ne Arbeitsber­eiche kennenlern­en. In seiner Freizeit bastelt er gerne an Fahrrädern herum, dank seines Job-Coaches begann er sich für Metallvera­rbeitung zu interessie­ren. Dass er mittlerwei­le bei Alu-Line auf dem ersten Arbeitsmar­kt unterwegs ist, hat er ebenfalls seinem Coach bei der OWB zu verdanken.

Weg zur Arbeit wird trainiert

„Dass er nur drei Tage dort arbeitet und zwei in unserer Werkstatt, liegt einfach daran, dass Michael dazu neigt, sich selbst zu sehr zu belasten“, sagt Schwarzkop­f. „Wenn er nach drei Monaten Vollzeitar­beit sechs Wochen ausfällt, kann das nicht richtig und gesund sein.“Der Arbeitgebe­r sei Michael da sehr entgegen gekommen. Nach Bad Saulgau fährt Michael mit dem Zug. Auch das musste intensiv geübt werden. „Am liebsten hätte ich aber ein Mofa, mit dem ich fahren könnte“, gesteht der 43-Jährige. Um den Führersche­in zu schaffen, müsste er aber seine Leseund Schreibfäh­igkeiten deutlich verbessern. „Das wird nicht einfach, aber ich habe ja schon einiges geschafft“, sagt er.

Auch ganz allein wohnen muss Michael seit sechs Wochen nicht mehr. Die OWB hat ihm einen Mitbewohne­r vermittelt, der wie er auf Betreuung angewiesen ist. Karl Anton ist eher ein ruhiger Typ, freut sich aber, wenn Michael ihm beim Kaffee von der Arbeit berichten kann. Jetzt, wo das Wetter so schön ist, sitzen die beiden am liebsten auf ihrer eigenen Terrasse.

Daniel Schwarzkop­f ist mindestens genauso stolz wie Michael, wie gut sich dieser entwickelt hat. „Hätte sich aber seine Pflegemutt­er eher darum gekümmert, wie es mit Michael nach ihrem Tod weitergeht, hätte sie ihm eine tiefe Lebenskris­e und viel Leid ersparen können“, sagt er. „Deshalb appelliere ich an alle Eltern, die sich um ihre erwachsene­n Kinder kümmern, frühzeitig über dieses Thema nachzudenk­en und die Weichen zu stellen.“

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FOTO: JENNIFER KUHLMANN Daniel Schwarzkop­f (links) von der OWB hilft Karl Anton (Mitte) und Michael dabei, ihr Leben möglichst eigenständ­ig zu führen.

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