Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Michael setzt den Scherbenhaufen wieder zusammen
Dank der Unterstützung der OWB hat der 43-Jährige nicht nur eine eigene Wohnung, sondern auch einen Job
MENGEN - Ein selbstständiges und ausgefülltes Leben hat sich Michael in kleinen Schritten hart erarbeiten müssen. Dass der 43-Jährige heute an drei Tagen in der Woche in der Metallverarbeitung bei Alu-Line in Bad Saulgau arbeitet und in einer eigenen Wohnung lebt, hätte ihm vor drei Jahren niemand zugetraut. Nach dem Tod seiner Pflegemutter hatte er vor einem Scherbenhaufen gestanden. „Die OWB und mein Job-Coach haben mir geholfen, aus diesem Loch wieder herauszukommen“, sagt er. „Das war nicht einfach, aber ich bin stolz, dass es geklappt hat.“
Michaels Mutter hat während der Schwangerschaft so viel Alkohol getrunken, dass die Entwicklung ihres Kindes gestört wurde. Michael ist mit einer geistigen Behinderung zur Welt gekommen. Fetales Alkoholsyndrom lautet der Fachbegriff. Für Michael bedeutete dies, dass das Jugendamt ihn in eine Pflegefamilie gegeben hat und er eine besondere Betreuung brauchte. Mit seiner Pflegemutter lebte er bis vor drei Jahren in Stuttgart. „Sie hat sich bis zu ihrem Tod um ihn gekümmert“, erzählt Daniel Schwarzkopf, der bei den Oberschwäbischen Werkstätten (OWB) für die Ambulanten Dienste tätig ist. „Plötzlich war die Mutter weg und Michael geriet in einen Abwärtsstrudel, weil ihm sein einziger Halt genommen worden war.“Michael zog sich zurück, flüchtete sich in den Alkohol und war vollkommen antriebslos.
Haus wird saniert
Der Sohn seiner Pflegemutter kontaktierte schließlich die OWB und bot an, das alte Haus der Familie in Mengen so herzurichten, dass Michael dort einziehen konnte. Für die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter begann eine intensive und wichtige Arbeit. „Da war dieser Mensch mit all seiner Trauer und Wut, dem Zwang, sich Alkohol zu besorgen und den Gedanken, dass sein Leben keinen Wert mehr hat“, sagt Schwarzkopf. Durch das Intensiv Betreute Wohnen (siehe Kasten) wurde es möglich, dass sich täglich jemand um Michael gekümmert hat. Das war Schwarzkopf zum größten Teil selbst, aber auch eine Mitarbeiterin auf 450-Euro-Basis sowie ein Ehrenamtlicher.
„Ich wusste nicht, was ich machen sollte“, erinnert sich Michael an die Zeit. „Ich war ja nie allein gewesen und sollte es auf einmal sein. Die Abende waren am schlimmsten.“Deshalb setzten die OWB-Mitarbeiter zunächst auf Ablenkung, Freizeitgestaltung und Anleitung, den Haushalt selbst zu führen. Irgendwann konnte Michael in der OWB-Werkstatt am Jobtraining teilnehmen und verschiedene Arbeitsbereiche kennenlernen. In seiner Freizeit bastelt er gerne an Fahrrädern herum, dank seines Job-Coaches begann er sich für Metallverarbeitung zu interessieren. Dass er mittlerweile bei Alu-Line auf dem ersten Arbeitsmarkt unterwegs ist, hat er ebenfalls seinem Coach bei der OWB zu verdanken.
Weg zur Arbeit wird trainiert
„Dass er nur drei Tage dort arbeitet und zwei in unserer Werkstatt, liegt einfach daran, dass Michael dazu neigt, sich selbst zu sehr zu belasten“, sagt Schwarzkopf. „Wenn er nach drei Monaten Vollzeitarbeit sechs Wochen ausfällt, kann das nicht richtig und gesund sein.“Der Arbeitgeber sei Michael da sehr entgegen gekommen. Nach Bad Saulgau fährt Michael mit dem Zug. Auch das musste intensiv geübt werden. „Am liebsten hätte ich aber ein Mofa, mit dem ich fahren könnte“, gesteht der 43-Jährige. Um den Führerschein zu schaffen, müsste er aber seine Leseund Schreibfähigkeiten deutlich verbessern. „Das wird nicht einfach, aber ich habe ja schon einiges geschafft“, sagt er.
Auch ganz allein wohnen muss Michael seit sechs Wochen nicht mehr. Die OWB hat ihm einen Mitbewohner vermittelt, der wie er auf Betreuung angewiesen ist. Karl Anton ist eher ein ruhiger Typ, freut sich aber, wenn Michael ihm beim Kaffee von der Arbeit berichten kann. Jetzt, wo das Wetter so schön ist, sitzen die beiden am liebsten auf ihrer eigenen Terrasse.
Daniel Schwarzkopf ist mindestens genauso stolz wie Michael, wie gut sich dieser entwickelt hat. „Hätte sich aber seine Pflegemutter eher darum gekümmert, wie es mit Michael nach ihrem Tod weitergeht, hätte sie ihm eine tiefe Lebenskrise und viel Leid ersparen können“, sagt er. „Deshalb appelliere ich an alle Eltern, die sich um ihre erwachsenen Kinder kümmern, frühzeitig über dieses Thema nachzudenken und die Weichen zu stellen.“