Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
„Es bringt nichts, den Dieselmotor zu verteufeln“
Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) zu Koalitionsoptionen nach der Bundestagswahl und zur Abgasaffäre
RAVENSBURG - Volker Kauder, der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, hat die deutsche Autoindustrie im Zuge von Kartellvorwürfen und Abgasmanipulationen scharf kritisiert und völlige Transparenz von den Konzernen gefordert. „Das, was in der Automobilindustrie passiert, schadet dem Ansehen unseres Wirtschaftsstandortes in der Welt“, sagte Kauder im Gespräch mit Hendrik Groth, Claudia Kling und Jochen Schlosser. Deshalb rate er den Unternehmen, „jetzt die Karten auf den Tisch zu legen“. Ein Datum für ein mögliches Verbot von Verbrennungsmotoren lehnte der CDU/CSU-Fraktionschef ab. Zur Bilanz der Großen Koalition sagte Kauder: „Den Menschen in Deutschland geht es gut. Insofern haben wir durchaus eine Menge erreicht.“
Herr Kauder, Sie sind seit vielen Jahren Unionsfraktionschef in einer Großen Koalition. Können Sie uns erklären, warum so viele Menschen in Deutschland mit einem solchen Regierungsbündnis unzufrieden sind?
Das kann man so pauschal nicht sagen. Die Leute sehen schon, dass die Große Koalition große und wichtige Projekte vorangebracht hat. Wir haben beispielsweise dafür gesorgt, dass in dieser Wahlperiode erstmals seit 1969 keine neuen Schulden mehr gemacht werden. Der Haushalt ist seit 2014 ausgeglichen, wir erwirtschaften inzwischen sogar Überschüsse. Auch die Steuern haben wir – wie versprochen – nicht erhöht. Vor allem: Den Menschen in Deutschland geht es gut. Insofern haben wir durchaus eine Menge erreicht. Es stimmt allerdings, dass sich viele Menschen eine starke Opposition als Gegenpart zu einer starken Regierung wünschen. Das war in der jetzigen Konstellation der Großen Koalition nicht gegeben.
Wenn es nach der Bundestagswahl nicht für ein Zweierbündnis mit der FDP reichen sollte, wären Sie dann auch für ein Dreierbündnis mit den Grünen offen? In Baden-Württemberg wird Grün-Schwarz ja bereits seit mehr als einem Jahr erprobt.
Horst Seehofer hat vor Kurzem einen bemerkenswerten Satz formuliert: Jedes Wahlergebnis sucht sich seine Koalition. Und ich habe wiederholt darauf hingewiesen, dass es für die Demokratie nicht förderlich wäre, wenn Große Koalitionen zum Regelfall würden. Das zeigt sich am Beispiel Österreich.
Wie groß ist Ihr Vertrauen in die FDP als potenziellen Juniorpartner? Nach der letzten schwarz-gelben Koalition hatte man den Eindruck, dass die Union froh war, in der SPD einen erwachsenen Koalitionspartner gefunden zu haben.
Die FDP von heute ist eine andere als die von damals. Die FDP hat aus der damaligen Situation gelernt. Was sie jetzt im Wahlkampf präsentiert, sind nachvollziehbare Positionen. Die können CDU und CSU in vielen Punkten teilen – beispielsweise wenn es darum geht, die Wirtschaft noch mehr als bislang zu stärken und das Wirtschaftswachstum zu erhalten. Wachstum nützt allen Seiten, vor allem den Arbeitnehmern, die auf höhere Löhne und sichere Arbeitsplätze zählen können. Fordert im Dieselskandal mehr Transparenz von den Autoherstellern: Unionsfraktionschef Volker Kauder.
Hat das Vorgehen der SPD bei der „Ehe für alle“das Vertrauen nachhaltig zerstört?
Lassen Sie mich es so sagen: Das war keine Sternstunde des Parlamentarismus. Wenn es um Gewissensentscheidungen geht, sollte man sich im Bundestag ausreichend Zeit lassen, um darüber zu debattieren. Das war hier nicht der Fall. Ganze 38 Minuten genügten der SPD und den Oppositionsfraktionen im Bundestag, um sich mit dem Thema zu befassen. Und ob die SPD die Abstimmung tatsächlich als Gewissensentscheidung gesehen hat, kann man auch bezweifeln. Denn die SPD-Fraktion hat vorher Zählappelle durchgeführt. Es gab interessanterweise keine einzige Stimme, die von der offiziellen Linie abwich. Das heißt, lediglich bei der Unionsfraktion kann man von einer Gewissensentscheidung sprechen. Unter dem Strich hat sich gezeigt: Der SPD und den anderen ging es um einen Testlauf. Für mich ist seit diesem Freitag klar: Wenn es das Wahlergebnis hergibt, wird Rot-Rot-Grün gemacht. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Kandidat der SPD diese Option nicht ausschließen will. Das heißt doch: Herr Schulz spielt mit dem Gedanken eines Linksbündnisses.
Wäre die Große Koalition zu Ende gewesen, wenn sich dies nicht wenige Wochen vor der Wahl ereignet hätte?
Die Frage „Was wäre wenn?“stelle ich mir nicht. Ich muss mich mit dem auseinandersetzen, was aktuell passiert.
Was haben Sie sich für die nächsten vier Jahre vorgenommen? Wenn die Union erneut die Regierung stellen sollte, wie werden Sie mit den immer neuen Skandalen in der Autoindustrie umgehen?
So, wie wir auch jetzt reagieren – wir prüfen mit Umsicht die Vorwürfe. Klar ist: Das, was in der Automobilindustrie passiert, schadet dem Ansehen unseres Wirtschaftsstandortes in der Welt. Deshalb möchte ich noch einmal betonen, dass für jeden in unserem Land die gleichen Gesetze gelten. Jeder muss sich daran halten – auch die Automobilbranche. Auch wenn noch nicht alle Vorwürfe gegen die Autohersteller bewiesen sind: Ich rate ihnen, jetzt die Karten auf den Tisch zu legen. Das gilt sowohl für die Vorwürfe der illegalen Absprachen als auch für die der Abgasmanipulation. In Sachen Aufklärung ist die Industrie am Zug. Nur mit Transparenz kann es eine Lösung für die Zukunft geben.
Werden Sie nach der Wahl ein Datum für ein Verbot der Verbrennungsmotoren nennen?
Ich bin mir sicher, dass wir mit dem Verbrennungsmotor noch lange Zeit leben werden. Denn es wird nicht möglich sein, von einem Tag auf den anderen alle Benziner und Diesel oder gar Hybride durch Elektroautos zu ersetzen – wir reden von 40 Millionen Zu Gast bei der „Schwäbischen Zeitung“: Volker Kauder im Gespräch mit Hendrik Groth, Jochen Schlosser (re.) und Claudia Kling. Fahrzeugen in Deutschland. Deshalb ist die Industrie auch hier wiederum am Zug. Wo immer möglich, muss sie auf ihre Kosten bei der Abgassoftware nachrüsten. Und sie muss daran arbeiten, den Schadstoffausstoß der Dieselmotoren zu verringern. Wenn wir uns für ein Verbot des Verbrennungsmotors ab 2030 aussprechen würden – wie die Grünen es wollen –, hätte die Autoindustrie doch kein Interesse mehr daran, die Motoren zu verbessern. Genau das ist aber im Sinne der Luftreinhaltung dringend nötig. Deswegen bringt es nichts, den Dieselmotor zu verteufeln.
Das ist doch auch die klare Linie des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann.
Kretschmann hat ja zu Recht darauf hingewiesen, dass die Grünen in Berlin von diesem Thema offensichtlich nichts verstehen. Diese Einschätzung teile ich.
Hat sich Verkehrsminister Alexander Dobrindt zu sehr auf die Maut konzentriert und darüber andere verkehrspolitische Themen vernachlässigt?
Überhaupt nicht. Es gab schließlich zuvor keine Anhaltspunkte für das, was jetzt bekannt geworden ist. Herr Dobrindt hat, nachdem die Manipulationen in den USA aufgedeckt worden waren, die Automobilhersteller zum Gespräch eingeladen und die Aufklärung vorangetrieben. Es gibt überhaupt keinen Grund, ihm Vorwürfe zu machen. Im Übrigen hat er sich nicht nur erfolgreich um die Maut gekümmert, sondern auch um einen gut durchfinanzierten Bundesverkehrswegeplan bis 2030. Davon werden viele Regionen profitieren – beispielsweise auch mein Wahlkreis Tuttlingen.
Dennoch haben manche Menschen den Eindruck, die Regierung tritt mehr für die Interessen der Wirtschaft ein als für die der Autofahrer, die im guten Glauben einen Diesel gekauft haben.
Natürlich dürfen die Autohersteller die Verbraucher nicht alleine lassen. Aber wenn wir uns um die deutsche Wirtschaft kümmern, kümmern wir uns gleichzeitig um die Menschen. Denn die Automobilindustrie ist eine Schlüsselindustrie in Deutschland, an ihr hängen enorm viele Arbeitsplätze, direkt allein rund 800 000, indirekt weitaus mehr. Verständlicherweise macht sich so mancher Zulieferbetrieb aus BadenWürttemberg Sorgen über das, was in der Automobilindustrie abläuft. Aber einen Gegensatz zwischen Wirtschaft und Bürgern zu konstruieren, halte ich für total falsch.
Haben Sie den Mittelstand in den vergangenen Jahren zu wenig gefördert und mit zu viel Bürokratie überzogen?
Es gab in dieser Legislaturperiode tatsächlich zu Anfang einige bürokratische Belastungen für die Wirtschaft – beispielsweise durch den Mindestlohn und die damit verbundenen Dokumentationspflichten. Aber wir haben einen entscheidenden Schritt zur Eindämmung der Bürokratie getan. Im Bundestag wurde ein Gesetz beschlossen, welches besagt, dass bürokratischer Mehraufwand, der den Unternehmen infolge einer neuen Regulierung entsteht, an anderer Stelle wieder abgebaut werden muss.
Wie sehr stören Sie sich als Unionsfraktionsvorsitzender am Bayernplan der CSU? Sie müssen doch ein Interesse daran haben, wenn sich CDU und CSU möglichst grün sind.
CDU und CSU haben ein gemeinsames Regierungsprogramm, daneben hat die CSU weitere Punkte in ihrem Bayernplan aufgelistet, die ihr wichtig sind. Das ist völlig in Ordnung. In den zentralen Themen, auf die es bei der Wahl ankommt, sind wir zu gemeinsamen Überzeugungen gelangt. Dass wir in Umfragen so gut dastehen, hat auch mit der Einigkeit in der Union zu tun.
Ist die momentane Eintracht in der Union nicht allein dem Wahltermin geschuldet? Vor einem Jahr konnte von Einheit noch keine Rede sein.
Nach vielen Diskussionen sind wir wieder auf einen gemeinsamen Nenner gekommen und stimmen nun in allen wichtigen Fragen überein. In einer großen Volkspartei wie der Union gibt es naturgemäß unterschiedliche Meinungen, die wir nicht verstecken wollen und nicht versteckt haben. Angela Merkel und Horst Seehofer haben den Menschen gezeigt, wie schwer es manchmal sein kann, in einer bestimmten Frage zu einer gemeinsamen Haltung zu finden. Dass es ihnen gelungen ist, genau das hat die Menschen am Schluss überzeugt.
Sie sind also zuversichtlich, dass der Streit in der Union nicht direkt nach der Wahl weitergeht – beispielsweise über die von der CSU geforderte Obergrenze?
Ja. Jeder bringt in die Koalitionsverhandlungen Anliegen ein, die ihm wichtig sind. Danach schauen wir, was jeder mittragen kann. Im Augenblick ist die Obergrenze kein Thema, weil die Flüchtlingszahlen gesunken sind. Deshalb macht es auch keinen Sinn, darüber zu streiten. Sie werden sehen, dass die Union in den Koalitionsverhandlungen mit großer Geschlossenheit auftritt. Aber zunächst gilt es, die Wahl zu gewinnen.