Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Luther und die Juden
Ein Thema, das im Jahr des Reformationsjubiläums viele beschäftigt und das dennoch gerne ausgespart wird in der öffentlichen Würdigung des Reformators, ist das Thema: Martin Luther und die Juden. Seine Judenfeindschaft ist in aller Munde. Wenige kennen die Anfänge. In seiner Schrift von 1523 „Dass Jesus Christ ein geborener Jude sei“hofft Luther noch, „vielleicht auch der Juden etliche … zum Christen glauben reitzen“zu können. Manche sehen in der Enttäuschung dieser Hoffnung auf Bekehrung der Juden den Grund für die spätere Befürwortung von Gewalt, Vertreibung, sogar Pogromen.
Martin Luther folgt in seiner Haltung den Juden gegenüber dem Antijudaismus der christlichen Theologie, der unter anderem in dem Vorwurf ausgedrückt wird, die Juden haben unseren Herr Jesus Christus gekreuzigt. Dass dies römische Soldaten aufgrund römischer Rechtsprechung waren, wird oft vergessen.
Doch warum hat sich das Volk nicht hinter Jesus gestellt, wie beim Einzug in Jerusalem noch zu erhoffen war? Wie kann es sein, dass ein verehrter Hoffnungsträger zur persona non grata wird? So tief fällt, dass die Menschen rufen: „Kreuzige ihn!“?
Es ist ja nicht so, dass wir das nicht aus eigener Erfahrung kennen: Jemand steigt hoch und fällt tief. Das bewunderte Vorbild wird zu Gehassten. Man nennt das auch den Mythos des Engelssturzes. Man gefällt sich darin, des andern Fallhöhe zu bestaunen und zu belächeln und sich zugleich darin bestätigt zu sehen, dass die eigene Bequemlichkeit gute Gründe hat: Einer stürzt draußen und ich brauche mich aus dem (Fernseh-)Sessel erst gar nicht zu erheben. Wenn Vorbilder doch stürzen, was brächte es schon ein, ihnen nachzueifern?
Was damals in Jerusalem geschah, ist uns nicht fremd. Wir machen es heute noch: Menschen in den Himmel heben und dann in den Abgrund stürzen. Das hat mit einer bestimmten Religion oder einem bestimmten Volk zunächst gar nichts zu tun. Es ist ein menschliches Phänomen, eine menschliche Möglichkeit, vor der ich mich fürchten könnte. Wehe dem, der von dieser Dynamik erfasst wird.
Jesus war Jude, das halte ich mit Martin Luther fest. Gott wurde Mensch in einem jüdischen Menschen. Das will zunächst einmal verstanden werden, mit allen Konsequenzen. Wenn das Reformationsjubiläum etwas dazu beiträgt, hat es sich gelohnt.