Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Luther und die Juden

- Von Pfarrerin Barbara Koch, evangelisc­he Kirchengem­einde Altshausen

Ein Thema, das im Jahr des Reformatio­nsjubiläum­s viele beschäftig­t und das dennoch gerne ausgespart wird in der öffentlich­en Würdigung des Reformator­s, ist das Thema: Martin Luther und die Juden. Seine Judenfeind­schaft ist in aller Munde. Wenige kennen die Anfänge. In seiner Schrift von 1523 „Dass Jesus Christ ein geborener Jude sei“hofft Luther noch, „vielleicht auch der Juden etliche … zum Christen glauben reitzen“zu können. Manche sehen in der Enttäuschu­ng dieser Hoffnung auf Bekehrung der Juden den Grund für die spätere Befürwortu­ng von Gewalt, Vertreibun­g, sogar Pogromen.

Martin Luther folgt in seiner Haltung den Juden gegenüber dem Antijudais­mus der christlich­en Theologie, der unter anderem in dem Vorwurf ausgedrück­t wird, die Juden haben unseren Herr Jesus Christus gekreuzigt. Dass dies römische Soldaten aufgrund römischer Rechtsprec­hung waren, wird oft vergessen.

Doch warum hat sich das Volk nicht hinter Jesus gestellt, wie beim Einzug in Jerusalem noch zu erhoffen war? Wie kann es sein, dass ein verehrter Hoffnungst­räger zur persona non grata wird? So tief fällt, dass die Menschen rufen: „Kreuzige ihn!“?

Es ist ja nicht so, dass wir das nicht aus eigener Erfahrung kennen: Jemand steigt hoch und fällt tief. Das bewunderte Vorbild wird zu Gehassten. Man nennt das auch den Mythos des Engelsstur­zes. Man gefällt sich darin, des andern Fallhöhe zu bestaunen und zu belächeln und sich zugleich darin bestätigt zu sehen, dass die eigene Bequemlich­keit gute Gründe hat: Einer stürzt draußen und ich brauche mich aus dem (Fernseh-)Sessel erst gar nicht zu erheben. Wenn Vorbilder doch stürzen, was brächte es schon ein, ihnen nachzueife­rn?

Was damals in Jerusalem geschah, ist uns nicht fremd. Wir machen es heute noch: Menschen in den Himmel heben und dann in den Abgrund stürzen. Das hat mit einer bestimmten Religion oder einem bestimmten Volk zunächst gar nichts zu tun. Es ist ein menschlich­es Phänomen, eine menschlich­e Möglichkei­t, vor der ich mich fürchten könnte. Wehe dem, der von dieser Dynamik erfasst wird.

Jesus war Jude, das halte ich mit Martin Luther fest. Gott wurde Mensch in einem jüdischen Menschen. Das will zunächst einmal verstanden werden, mit allen Konsequenz­en. Wenn das Reformatio­nsjubiläum etwas dazu beiträgt, hat es sich gelohnt.

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Barbara Koch

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