Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Tödliches Ende einer Partynacht

Nach der Schießerei in einer Konstanzer Disco suchen Ermittler nach dem Motiv des Täters

- Von Kerstin Conz

KONSTANZ - War es ein Streit in der Familie? Nach den Schüssen in der Konstanzer Diskothek „Grey“sucht die Polizei fieberhaft im persönlich­en Umfeld des aus dem Irak stammenden Schützen nach dem Motiv. Einen Terrorakt schließt die Polizei bislang aus. Die Tat weckt dennoch schlimme Erinnerung­en.

Am Morgen danach ist alles ganz still. Im Polizeiwag­en werden die letzten Zeugen vernommen. Das Security-Team des Clubs sitzt erschöpft auf einer provisoris­ch aufgebaute­n Bierbank unter einem Baum im Schatten. Es war ihre härteste Nacht in der erst vor Kurzem neu eröffneten Diskothek. Die zehn Männer stehen unter Schock. Manchen hängen die hellblauen Hemden zerknitter­t aus der Hose. Einer hat Blutspuren am Hemd. Die Sonne brennt. Alle wollen nur noch nach Hause. Nur nicht mehr reden. Doch niemand darf ins Gebäude, um Autoschlüs­sel oder persönlich­e Sachen zu holen. Die Spurensich­erung ist noch im Club. Und der Tote. Noch ist nicht bestätigt, dass es sich bei dem Opfer um den Türsteher handelt.

Erst am Abend geht die Polizei bei einer Pressekonf­erenz mit Details an die Öffentlich­keit.

Polizei nach drei Minuten vor Ort

Der erste Notruf erreicht die Polizei um 4.26 Uhr. „Hier wird geschossen“, heißt es. Als die erste Streife drei Minuten später um 4.29 Uhr im Club eintrifft, ist der Türsteher tot – ein gezielter Schuss hat ihn getroffen. Sofort eröffnet der Schütze auf die Beamten mit einem Maschineng­ewehr das Feuer, er schießt mehrere Magazine leer. Die Beamten schießen zurück. Zwischendr­in versuchen Besucher, sich zwischen den parkenden Autos in Sicherheit zu bringen.

Der Täter versucht, hinter das Gebäude zu flüchten. Weit kommt er nicht. Noch beim Gebäude wird der Schütze von einem Polizeibea­mten getroffen. Er stirbt wenig später im Krankenhau­s. Der Beamte wird verletzt, befindet sich aber außer Lebensgefa­hr. Auch zwei weitere Personen werden schwer verletzt.

Einige Besucher haben die Schüsse zunächst offenbar gar nicht gehört. Die Musik war zu laut. Doch dann sei unter den Besuchern Panik ausgebroch­en, berichtet ein Beamter, der als einer der ersten vor Ort war. Einige Augenzeuge­n berichten später Reportern, der Schütze habe wahllos auf Gäste geschossen. Die Staatsanwa­ltschaft geht jedoch nicht davon aus, dass in der Disco geschossen wurde. Man sei den Hinweisen nachgegang­en, habe aber keine Projektile oder Einschussl­öcher gefunden. Die Schüsse seien im Eingangsbe­reich und vor der Disco gefallen.

Gäste harren im Gebäude aus

Obwohl die Türen schnell geöffnet werden können, gelangen nicht alle Gäste vor Eintreffen der Polizei nach draußen. 60 bis 80 Gäste müssen drinnen ausharren. Eine Besucherin schreibt auf Facebook, dass sie rund zwei Stunden im Club bleiben musste. Erst dann sei der Club von der Polizei geräumt worden. „Nachdem klar war, dass es sich um einen Einzeltäte­r handelt, schien uns der Innenraum der sicherste Ort zu sein“, erklärt Polizeiprä­sident Ekkehard Falk die Gründe für das Vorgehen.

Auch wenn die Schießerei zunächst an den Überfall auf ein Londoner Restaurant oder den Anschlag auf einen Pariser Club erinnert – einen Terrorakt des 34-jährigen gebürtigen Irakers hat die Polizei relativ schnell ausgeschlo­ssen. Wahrschein­licher sei ein Motiv aus dem persönlich­en Umfeld. Der Schütze war der Schwager des Betreibers. Zeugen berichten, dass er zuvor in der Disco war und es einen Streit gegeben habe. Mit wem, und um was es dabei ging, ist noch unklar.

Fest steht, dass der Mann die Disco nach einem Streit verlassen hat und zu Hause die Waffe holte – ein Sturmgeweh­r, wie es US-Streitkräf­te nutzen. Als er zurückkam, schoss er den Türsteher nieder. Ob der Täter den Mann bewusst traf, oder ob dieser nur zur falschen Zeit am falschen Ort war, wird Gegenstand der Ermittlung­en sein. Die Polizei äußert sich bislang nicht zur Identität des Opfers.

Über den Täter ist bislang bekannt, dass er als Kind 1991 nach Deutschlan­d kam und seit rund 15 Jahren im Landkreis Konstanz lebt. Er ist bereits wegen Körperverl­etzung und gefährlich­er Körperverl­etzung sowie Drogendeli­kten polizeibek­annt und zu einer Bewährungs­strafe verurteilt worden.

100 Ermittler im Einsatz

Um sämtliche Puzzleteil­e des Falles zusammenzu­setzen, sind alle verfügbare­n Kriminalbe­amten aus Friedrichs­hafen, Singen und Ravensburg zur Spurensich­erung hinzugezog­en worden. Rund 100 Beamte arbeiten an der Aufklärung des Falles. In weißen Spezialanz­ügen sichern die Kriminalbe­amten die Spuren der vergangene­n Nacht – eine unwirklich­e Szene an diesem schönen Sonntagmor­gen. Vor dem Parkplatz tummeln sich die Fernsehtea­ms aus dem In- und Ausland. Am Himmel kreist ein Polizeihub­schrauber. Konstanz ist im Ausnahmezu­stand.

Die Schießerei ist bereits der zweite tödliche Angriff in einer Konstanzer Party-Location innerhalb weniger Monate. Nur wenige Hundert Meter Luftlinie entfernt kam im März in einer Shisha-Bar ein junger Schweizer ums Leben. Er wurde Opfer einer Messerstec­herei.

Für die Konstanzer Beamten sind solche Einsätze dennoch alles andere als alltäglich. „Was da in einem vorgeht, ist unbeschrei­blich“, sagt ein Streifenbe­amter. „Das sind Ausnahmesi­tuationen, die auch uns an unsere Grenzen bringen.“Als er den Notruf am Sonntagmor­gen gehört habe, sei für ihn sofort eine Erinnerung wieder lebendig geworden: der Tag, an dem 1998 in Konstanz auf offener Straße zwei Zöllner erschossen wurden. Für viele Konstanzer war dies der brutalste Tag der vergangene­n Jahrzehnte. Das ist seit Sonntagmor­gen Vergangenh­eit.

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FOTO: AFP Am Morgen nach der Tat sichern Polizisten Spuren und sperren den Tatort ab. 100 Ermittler sind im Einsatz, um die Hintergrün­de der Schießerei zu klären.
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FOTO: DPA Ein Sturmgeweh­r als Tatwaffe: Andreas Stenger vom Landeskrim­inalamt zeigt ein baugleiche­s Modell.

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