Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Der Diesel-Gipfel kommt zwei Jahre zu spät“

Europa-Chef des ICCT, der 2015 die auffällige­n Werte bei VW anzeigte, über die Zukunft des Verbrennun­gsmotors

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BERLIN - Vom Besprechun­gsraum in der europäisch­en Zentrale des Internatio­nal Council on Clean Transporta­tion (ICCT) aus blickt EuropaChef Peter Mock auf den Hackeschen Markt in Berlin. Von Autos ist in dieser Fußgängerz­one weit und breit nichts zu sehen. 2015 hat die von Stiftungen und Regierunge­n finanziert­e Forschungs­plattform für saubere Mobilität ihre auffällige­n Messwerte bei VW-Dieselauto­s den Behörden gemeldet. Damit begann ein Skandal, der sich nun zu einem Erdbeben in der Automobili­ndustrie auszuweite­n scheint. „Das hat uns überrascht“, gab der 36-jährige Wirtschaft­schemiker im Interview mit Wolfgang Mulke zu.

Ihre Organisati­on ist den illegalen Abschaltei­nrichtunge­n bei VW 2015 auf die Schliche gekommen. Hätten Sie damals gedacht, dass aus dieser Entdeckung ein Erdbeben für die deutsche Automobili­ndustrie erwächst?

Das kam für uns überrasche­nd. Wir wussten, dass die Emissionen in Europa viel höher sind als erlaubt, aber von illegalen Abschaltei­nrichtunge­n hatten wir keine Ahnung. Das war der erste Schock. Dann wurden in Deutschlan­d erstmals Autos systematis­ch nachgetest­et durch das Verkehrsmi­nisterium. Da kam heraus, dass alle Hersteller Abschaltei­nrichtunge­n nutzen. Das war der zweite Schock. Der dritte ist der Vorwurf der Kartellbil­dung.

Die drei großen Hersteller wollen alte Diesel mit einem Softwareup­date nachrüsten. Werden die Euro-5-Fahrzeuge damit tatsächlic­h deutlich sauberer?

Das kommt auf das Fahrzeug an. Es kann funktionie­ren, wenn im Model schon die neueste Abgastechn­ologie eingebaut worden ist. Das Update kann dazu führen, dass die vorhandene Hardware auch wirklich genutzt wird. Es muss jedoch mehr Harnstoff eingesprit­zt werden. Der Tank muss öfters nachgefüll­t werden. Wenn der Speicherka­talysator zu klein ist, um die Stickoxide zu speichern, nutzt auch ein Update nichts. Deshalb bin ich bei vielen Modellen skeptisch.

Was wäre anstelle dessen nötig?

Man müsste die Technologi­e nachrüsten und den Speicherka­talysator gegen einen größeren austausche­n, wenn dafür überhaupt Platz ist. Oder man müsste eine SCR-Technologi­e einbauen. Damit stellen sie sicher, dass die Fahrzeuge auch unter realen Bedingunge­n sauber sind.

Müssten die Hersteller bei einer Nachrüstun­g garantiere­n, dass es keine anderen Folgewirku­ngen auf den Motor geben wird?

Es wird kleine Veränderun­gen geben, zum Beispiel einen leicht steigenden Verbrauch. Eine Nachrüstun­g ohne Veränderun­g wäre die Quadratur des Kreises und mit einem Softwareup­date nicht machbar.

Was würde der saubere Diesel zusätzlich kosten?

Wir gehen von 500 Euro Mehrkosten bei der Produktion neuer Autos aus. Eine Nachrüstun­g mit der modernsten Technologi­e kostet wahrschein­lich deutlich mehr, 1000 bis 2000 Euro, schätze ich. Das müssten die Hersteller bezahlen, nicht der Kunde, nicht der Steuerzahl­er.

Ließen sich Fahrverbot­e damit verhindern?

Es gibt Beispiele für sehr saubere Diesel. In der Diskussion werden alle Diesel über einen Kamm geschoren. Aber auch manche Euro-6-Fahrzeuge sind schmutzige­r als gute Euro-5Modelle. Es gibt gerade keine praktikabl­e Lösung, wie man die sauberen von den schmutzige­n Diesel trennen könnte. Ein Privatkund­e kann das nicht überblicke­n. Kein Wunder, dass Kunden kein Vertrauen mehr in die Technologi­e haben. Auch die besseren Hersteller werden in diesen Strudel mit hineingezo­gen.

Was erwarten Sie vom Diesel-Gipfel in der kommenden Woche?

Der Gipfel kommt zwei Jahre zu spät. Die Kunden wurden gleich mehrfach enttäuscht. Jetzt sollen sie wieder Vertrauen gewinnen, um die Technologi­e zu retten. Der Diesel ist mit einem Gipfel nicht mehr zu retten.

Angeblich haben die großen Hersteller den Einbau zu kleiner Adblue-Tanks abgesproch­en. Lässt sich diese als vorsätzlic­he Gesundheit­sschädigun­g werten, weil damit klar war, dass die Abgasreini­gung im normalen Verkehr nicht ausreichen­d wirken kann?

Die Größe des Tanks ist nur einer von mehreren Faktoren. Zum Beispiel kann ein Hersteller verschiede­ne Abgasreini­gungs-Technologi­en kombiniere­n. Dann sinkt der Bedarf an Adblue. Einen direkten Rückschlus­s von der Tankgröße auf die Abgasemiss­ionen ist nicht möglich.

Frankreich und Großbritan­nien verbieten neue Verbrennun­gsmotoren von 2040an. Andere Länder werden vermutlich folgen. Warum sollte die Industrie noch viel Geld in eine bessere Technik der Auslaufmod­elle stecken?

Der Diesel hat technisch noch Potenzial, aber wirtschaft­lich nicht. Er wird immer teurer, weil immer aufwendige­re Abgasreini­gungen eingebaut werden müssen. Gleichzeit­ig werden Elektrofah­rzeuge immer günstiger, weil die Batterieko­sten schneller sinken als erwartet. Zunächst wird der Diesel Kleinwagen verlieren. Bis 2025 hat der Verbrennun­gsmotor noch Verbesseru­ngspotenzi­al. Doch Investitio­nen darin sind nicht sinnvoll, weil Elektrofah­rzeuge zwischen 2020 und 2025 günstiger werden als Verbrenner. Das Kleinwagen­segment wird auf Batteriefa­hrzeuge umgestellt, im Spitzenseg­ment gibt es eher Hybride oder noch Verbrennun­gsmotoren.

Hat sich das Kohlendiox­idproblem im Verkehr damit erledigt?

Dazu fehlt mit einer Kohlendiox­idregulier­ung für LKW noch ein wichtiger Baustein. Die Emissionen steigen hier sehr stark an. Momentan kommen sie auf ein Viertel der Emissionen, bald auf die Hälfte. Es gibt sehr viele Sparpotenz­iale, die zu geringen Kosten gehoben werden könnten. Ohne eine Regulierun­g werden diese Technologi­en nicht in die Fahrzeuge eingebaut. Das muss die Politik handeln.

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FOTO: DANIEL PASCHE Peter Mock, Europa-Chef des ICCT: „Keine praktikabl­e Lösung, wie man saubere von schmutzige­n Dieseln trennen kann.“

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