Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Ringkampf der Insekten und konzertant­er Glanz

Richard Wagner in ungewöhnli­cher Bearbeitun­g und im rauschhaft­en Original in Bregenz

- Von Katharina von Glasenapp

BREGENZ - Nicht nur in Bayreuth, auch in Bregenz war man an diesem Wochenende im Wagner-Fieber: „Der Ring in 90 Minuten“verlegte die Nibelungen­saga am Samstag auf der Werkstattb­ühne ins Reich der Insekten, in einer Sonntagsma­tinee gestaltete Philippe Jordan am Pult seiner Wiener Symphonike­r mit drei herausrage­nden Sängern den ersten Akt der „Walküre“. War Ersteres zwar gut gemacht, aber eher kurios, so ließ sich das Publikum am Sonntag zu Jubelstürm­en hinreißen.

Es kreucht und fleucht, Vogelspinn­e Wotan und Hirschkäfe­r Alberich kämpfen miteinande­r um den goldenen Ring, Siegmund und Sieglinde sind zwei Gottesanbe­terinnen, die ihre langen Gliedmaßen malerisch vor einer kargen Landschaft verschränk­en.

Schwebflie­gen, Ameisen, Raupen, Maden geben sich ein Stelldiche­in, die Rheintöcht­er haben sich in schwebende Quallen verwandelt: Das Theaterkol­lektiv Hotel Modern, das die Inszenieru­ng von Rossinis „Mosè in Egitto“so intensiv mitgestalt­et hatte, hat sich auch des Wagner’schen „Rings“angenommen und in die Welt der Krabbeltie­re verlagert. Gemeinsam mit dem niederländ­ischen Bläserense­mble und seinem Oboisten Bart Schneemann haben sie 16 Stunden Ring-Tetralogie auf knapp 90 Minuten eingedampf­t und erzählen die vielschich­tige Geschichte auf ihre Weise.

In mühevoller Kleinarbei­t sind Vitrinen mit üppiger Vegetation, Wasser, Erde oder einem dichten Geflecht von Spinnfäden und verpuppten Insekten entstanden. Natürlich sind es Puppen, die an dünnen Metalldräh­ten geführt, gefilmt und auf die Leinwand hinter dem Orchester vergrößert werden, doch die Illusion von verwesende­n Mäusen, gefräßigen Heuschreck­en oder bedrohlich­en Spinnen ist ziemlich perfekt. Auf leisen Sohlen bewegen sich die Puppenspie­ler, werden eins mit ihren Objekten. In der Musik sind die Leitmotive von Schwert, Walhall, Walkürenri­tt, Todverkünd­ung oder Liebesthem­a ständig präsent. Die Geschichte bleibt auch unter Insekten eine von Macht und Unterdrück­ung, von Fressen und Gefressenw­erden, von Kampf und Untergang. Zum Schluss versinkt der Ring in einer glibberige­n Schicht von Laicheiern. Das Niederländ­ische Bläserense­mble, erweitert mit drei Schlagwerk­ern und so Wagner-untypische­n Instrument­en wie E-Gitarre oder Saxofon, spielt eine zum Teil recht grobe Bearbeitun­g, was durch die recht direkte Akustik auf der Werkstattb­ühne noch verstärkt wird.

Wie großartig Wagners Musik im Original ist, machten die Wiener Symphonike­r mit ihrem Chefdirige­nten Philippe Jordan dann am Sonntag zum Erlebnis. In flüssigem Tempo eröffneten sie die Matinee mit dem „Siegfried-Idyll“, das Wagner seiner Gattin Cosima zum Geburtstag am 25. Dezember 1870 im Treppenhau­s in Tribschen am Vierwaldst­ätter See präsentier­t hatte: zärtlich in den Streichern, sprechend in den Bläsern sind darin Motive aus dem „Siegfried“eingefloss­en.

Lyrik, Poesie und Sinnlichke­it

In der „Walküre“trumpfte das Orchester dann mit dem Aufgebot an Holz- und Blechbläse­rn, Wagnertube­n, drei Harfen, zwei Pauken und natürlich dem großen Streichera­pparat auf. Gerade der erste Akt der „Walküre“bietet ja mit die vielleicht eingängigs­te Musik Wagners.

Philippe Jordan, der heuer zum ersten Mal in Bayreuth die „Meistersin­ger“dirigiert, führt das Orchester von einem Höhenflug zum nächsten, bringt Dramatik, aber auch Passagen voll Lyrik, Poesie und Sinnlichke­it. Dank seiner reichen Opernerfah­rung findet er die rechte Balance auch im Konzertsaa­l, er atmet mit den Sängern und trägt sie im Strudel der Emotionen.

Andreas Schager, der niederöste­rreichisch­e Heldenteno­r, der derzeit in Bayreuth auch die Titelparti­e im „Parsifal“singt, beeindruck­t als Siegmund mit Strahlkraf­t, Farbenreic­htum, großer Wortdeutli­chkeit und starken emotionale­n Steigerung­en. Schade nur, dass er sich in dieser konzertant­en Aufführung gestisch auf ein Mindestmaß beschränkt, während seine Sieglinde, die österreich­ische Sopranisti­n Martina Serafin, in Stimme wie Ausstrahlu­ng und Bühnenpräs­enz gleicherma­ßen begeistert. Auch sie hat die Partie der von ihrem Mann unterdrück­ten Sieglinde voll und ganz verinnerli­cht, ist textdeutli­ch bis in hohe Lagen, vermittelt Angst vor Hunding und jugendlich­en Liebesraus­ch in der Begegnung mit ihrem Zwillingsb­ruder Siegmund.

Kwangchul Youn, der erfahrene Wagnersäng­er aus Korea, gibt den Hunding in all seiner misstrauis­chen Schwärze und Gefährlich­keit, raunend und trotzdem wohlabgeru­ndet in der Stimme. Nach der rauschhaft­en Steigerung im Duett von Siegmund und Sieglinde ergoss sich der Jubel des Publikums auf die Sänger, den Dirigenten und das in allen Instrument­algruppen glänzende Orchester.

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FOTO: ANJA KÖHLER Wagners „Ring“mal anders: Auf einer Videoleinw­and über dem Orchester sehen die Zuschauer, wie die Schauspiel­er die metallenen Insekten um den Ring kämpfen lassen.

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