Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Dem Tod auf der Spur
Bremen lässt jetzt die Leiche jedes Verstorbenen genau untersuchen, um Tötungsdelikte zu entdecken
BREMEN - Der Tod kostet nicht nur das Leben, sondern auch ein halbes Vermögen. In Bremen wird das Sterben jetzt noch ein bisschen teurer. Denn zum 1. August führt der rotgrün regierte Stadtstaat als erstes Bundesland eine verpflichtende „qualifizierte Leichenschau“(QL) für jeden Todesfall ein – mit entsprechendem Gebührenbescheid an die Hinterbliebenen.
Normalerweise muss in Deutschland auch jetzt schon jeder Verblichene ärztlich untersucht werden, damit im Totenschein die Todesart eingetragen werden kann: „natürlich“oder „nicht natürlich“.
Aber die Todesursache zu bestimmen, ist eine ärztliche Kunst, die nicht jeder Mediziner gut genug beherrscht. Haus-, Not- oder Stationsärzte sind dafür schlechter ausgebildet als Rechtsmediziner. Und dann die Begleitumstände: Welcher Arzt mag schon gern die Leiche entkleiden und hin- und herwenden, während die trauernden Angehörigen anwesend sind. Da kann schon mal ein verräterischer Bluterguss oder auch ein Messerstich übersehen werden.
Glaubt man den Schätzungen von Rechtsmedizinern, bleibt in Deutschland ungefähr jedes zweite Tötungsdelikt unerkannt, weil die Ärzte beim Ausstellen des Totenscheins nicht genau genug hinschauen. Im kleinsten Bundesland mit seinen rund 8000 Toten pro Jahr soll das künftig nicht mehr passieren. Das neue „Gesetz über das Leichenwesen“schreibt vor, dass jeder Tote in Bremen ab 1. August nach der ersten ärztlichen Todesfeststellung noch zusätzlich durch einen speziell ausgebildeten „Leichenschauarzt“begutachtet werden muss. Bisher war das nur vor Feuerbestattungen Pflicht.
Sterbeort gleich Tatort?
Vor allem Rechtsmediziner, wie man sie aus Krimis kennt, werden künftig die Toten untersuchen – allerdings in der Regel nur per Augenschein und ohne Skalpell. In den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin ist detailliert festgehalten, auf was sie alles achten müssen – zum Beispiel auf „Strommarken“, auf Bittermandel-Geruch aus dem Mund oder auf „vertikale Speichelabrinnspuren“, die auf Erhängen hindeuten. Verdächtig sei auf jeden Fall der Befund „Leiche in der Badewanne“.
Am Ende dürfte mit größerer Sicherheit als bisher feststehen, ob beim Ableben jemand nachgeholfen hat und der Sterbeort in Wirklichkeit ein Tatort ist.
Allerdings steckt nicht hinter jedem unnatürlichen Tod gleich ein Mord. Denn auch Unfälle, Selbsttötungen und „Todesfälle infolge ärztlicher Eingriffe“fallen unter diese Kategorie.
Die Polizei hätte es am liebsten gehabt, wenn die QL immer direkt am Sterbebett stattfände – damit keine Spuren verwischt werden. Aber Gesundheitssenatorin Eva QuanteBrandt (SPD) fand, dass die Angehörigen damit einem Generalverdacht ausgesetzt würden. Deshalb werden zu Hause Verstorbene in der Regel erst beim Bestatter untersucht. Wenn allerdings von vornherein der Verdacht eines unnatürlichen Todes besteht, kommt der Rechtsmediziner direkt ins Haus – ebenso bei Badewannen-Leichen oder bei „deutlichen Fäulnisveränderungen“.
Falls jemand seinen letzten Atemzug in einer Klinik getan hat, dann muss auch hier ein Rechtsmediziner einen genauen Blick auf den Leichnam werfen. So praktiziert es neuerdings auch ein Krankenhaus in Delmenhorst bei Bremen – als Reaktion auf eine jahrelang unbemerkte Mordserie eines Krankenpflegers.
Den ersten Anstoß für die Bremer Neuregelung gab nicht der „Todespfleger“Niels H., sondern die Justizministerkonferenz der Bundesländer. Eine von ihr eingesetzte Arbeitsgruppe forderte schon 2009 eine „grundsätzliche Entkoppelung der Todesfeststellung von der Leichenschau“, also ein zweistufiges Verfahren wie jetzt an der Weser. Für Flächenländer wäre das ein zu großer Aufwand, aber das überschaubare Bremen will es jetzt für zunächst zwei Jahre ausprobieren.
Für die Lebenden lernen
Die neue Vorschrift soll auch dabei mithelfen, einen genaueren Überblick über Todesursachen zu bekommen. „So können wir künftig noch besser von den Toten für die Lebenden lernen“, sagte eine Grünen-Abgeordnete bei der Verabschiedung des Gesetzes.
Die Rechnung geht an die Hinterbliebenen. Soweit bisher bekannt, soll die Leichenschau 187 Euro kosten. Der Tod kostet eben nicht nur das Leben.