Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Musiker erschaffen Fresken des Bösen
Uraufführung der „Gesänge des Maldorors“findet im Studio Faust in Scheer statt
SCHEER - Die Besucher der Uraufführung der „Gesänge des Maldorors“im Studio Faust sind sich einig gewesen: „Das ist ein sehr großes Erlebnis.“Das Konzert war außergewöhnlich, verstörend und ergreifend zugleich. Man hielt den Atem an und hörte intensiv dieser dunklen Musik zu.
Die Besetzung war exzellent: Hans-Joachim Irmler, Carl Friedrich Oesterheld, das Modern String Quartet, der Schlagzeuger Salewski und die Scheerer Stadtkapelle haben die Komposition uraufgeführt. Die experimentelle Atmosphäre im Studio Faust, das im unübersichtlichen Areal der alten Papierfabrik angesiedelt ist, passte zu dieser Musik.
Die bedrohliche und zerstörerische Stimmung der „Gesänge des Maldorors“haben Irmler und Oesterheld vertont. Grundlage ist das gleichnamige französische literarische Werk des Comte de Lautréamont, der die apokalyptische Stimmung von 1870 verarbeitet hat. Das dunkle Werk inszeniert das Böse schlechthin, zeichnet verstörende Bilder und rechnet bitter mit einer Gesellschaft voller Kriege und Habgier, die dem Bösen verfallen ist, ab. Lautréamont warnt in den ersten Zeilen des Textes den Leser: Nicht jeder ist geeignet, diese giftigen, rauschhaften und hasserfüllten Zeilen zu lesen. Der Autor starb sehr jung, die Surrealisten entdeckten Jahrzehnte später das unvollendete Werk und fanden darin eine Weltuntergangsstimmung, die sie inspirierte. Irmler und Oesterheld treten die Nachfolge an: Die heutigen Zeiten sind genauso apokalyptisch.
„Der Autor hat das Böse geschildert und ist gestorben, bevor er über das Gute schreiben konnte“, erklärt Irmler dem Publikum mit schwäbischem Humor. In der Tat, Lautréamont hatte einen zweiten Teil geplant, zu dem es nicht mehr gekommen ist.
Das Böse inspiriert seit jeher Künstler, denn darin liegt eine Form von Ästhetik, die anziehend wie das Verbotene ist. Grenzen der erlaubten Gedanken werden ausgelotet und in poetischer Sprache gegossen. Irmler und Oesterheld haben sich Lautréamonts Stoff angeeignet und daraus ein vielschichtiges Meisterwerk geschaffen. Mitreißend und dynamisch setzt das Streichquartett, Oesterheld am Flügel und Salewski am Schlagzeug ein. Nach und nach wächst Irmlers elektronischer Sound, bemächtigt sich des Raums, erfüllt mit seiner Macht die Körper. Und man spürt als Zuhörer, dass man nun mitten in der Katastrophe sitzt. Unsichtbar aber unüberhörbar ist eine Energie im Gange, der sich der Mensch nun nicht mehr entziehen kann. Die Stimmen der Streicher haben etwas zutiefst Menschliches. Sie setzen an, singen melancholisch von der Erinnerung und kommen gegen die Macht des Bösen nicht an. Der Flügel hämmert Akkorde, das Schlagzeug entfaltet eine Drohkulisse, der elektronische Sound schleicht umher. Die zarten Streicher verstummen.
Lied um Lied entstehen vor dem inneren Auge des Zuhörers emotional hochgeladenen Fresken des Bösen. Das Böse ist in der Welt, weil es in der Seele der Menschen ist. Es ist eine Wechselwirkung, die zu einer exponentiellen Steigerung der groben Gewalt führt. Musikalische Ausbrüche lassen vor Schreck erstarren. Man hält den Atem an: Gibt es noch Rettung für die ausgesetzte Menschheit? Ein merkwürdiges Sirren und Brummen hängt in der Luft und macht Angst. Eine seltsam einsame Glocke schlägt letzte Stunden. Für wen? Verlorenheit erklingt in den Streicherstimmen, bis auch das Cello erstirbt.
In der zweiten Hälfte des Abends – im fünften und sechsten Gesang – spielen Musiker der Stadtkapelle Scheer mit. Klarinetten, Saxofon, Fagott, Tuba und Posaune verdichten den Klang, geben ihm eine stoffliche Intensität. Der elektronische Sound spielt Reminiszenzen aus der Kirchenmusik. Die Dramatik ist nicht mehr zu steigern. Der Untergang unausweichlich. Hoch inspiriert kulminiert das Stück und bricht jäh ab.
Das Konzert war ein musikalisches Ereignis. Das renommierte Münchner String Quartet hat die Zuhörer begeistert: Souverän und emotional hoch engagiert haben sie den komplexen und ausdrucksstarken Part gestaltet. Der begnadete Schlagzeuger Salewski nahm das Publikum mit seinen Rhythmen ein. Der Pianist Oesterheld malte nuancenreich die Konturen des Bösen. Irmler steigerte gekonnt mit dem elektronischen Sound die Textur des Werkes. Und die Stadtkapelle erwies sich als ebenbürtiger Partner.
Grundlage ist das gleichnamige literarische Werk des Comte de Lautréamont, der die apokalyptische Stimmung von 1870 verarbeitet hat.