Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Brauerei-Tattoo für 100 Liter Freibier
Medienwissenschaftler halten Marketingaktion von Leibinger für eine „Katastrophe“und „ethisch nicht vertretbar“
RAVENSBURG - Der Preis für ein Tattoo ist hoch – nicht nur allein fürs Stechen. Sondern auch, weil ein Tattoo ein Leben lang bleibt.
Anlässlich des traditionellen Rutenfestes in Ravensburg hat die ortsansässige Brauerei Leibinger eine Marketingaktion mit einem von ihr entworfenen Tattoomotiv gestartet – die „Rutenfest Challenge“: Wer sich das Tattoo bis zum 31. Juli stechen ließ, bekam für eine Party 100 Liter Freibier plus dem dazugehörigen Equipment wie Kühlschrank und Biertischgarnituren. 40 Menschen haben mitgemacht. Annette Hoh, Marketingleiterin bei Leibinger, stuft die Aktion als „erfolgreich“ein. Medienwissenschaftler halten sie für eine „Katastrophe“und für „ethisch nicht vertretbar“. Beschwerden beim Deutschen Werberat gibt es jedoch keine.
Christoph Kohr aus Bodnegg im Landkreis Ravensburg ist einer der 40, die sich das Tattoo stechen ließen. „Ich fand das Logo cool“, erzählt der 27-Jährige. So cool, dass der ausgebildete Galvaniseur es sogar größer machen ließ als von Leibinger vorgegeben. Ein Herz, bestehend aus dem Ravensburger Wahrzeichen – dem Wehrturm „Mehlsack“– und Dominik Kohrs Wade mit dem Leibinger-Tattoo. einem Bierkrug mit der Markenaufschrift „Leibinger“ziert jetzt seine rechte Wade. Darüber noch eine Banderole, auf der „Heimatliebe“steht. Obwohl es sich um ein „Werbelogo“handelt, hätte er sich das Tattoo auch ohne die Gegenleistung von 100 Litern Bier stechen lassen, erklärt Kohr: „Mich stört das nicht großartig. Leibinger passt zu Ravensburg.“
Guido Zurstiege, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, hält die Marketingaktion dagegen für „eine idiotische Idee“und für „nicht seriös“. Nicht nur, dass die Betroffenen mit dem Tattoo einen lebenslangen Vertrag mit Leibinger abgeschlossen hätten, den sie nicht ohne Weiteres rückgängig machen können. Das Unternehmen stufe sein Image mit dieser Aktion auch herab und handele nicht verantwortungsvoll, sagt Zurstiege. Leibinger nehme in Kauf, dass sich Menschen das Werbetattoo stechen lassen, die sich sonst keine 100 Liter Freibier plus Partyequipment leisten können. Diese Menschen würden gleichzeitig auch zu Werbeträgern der Brauerei.
Negativ konnotiert
„Die, die das machen, sind unterhalb der eigentlichen Zielgruppe positioniert“, sagt Rainer Leschke, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Siegen. Markentattoos seien zudem aus historischer Sicht stark negativ konnotiert. Neudeutsch „gebrandet“habe früher noch „gebrandmarkt“geheißen und stamme aus der Sklaverei. „Unklug für das Unternehmen“, so Leschke. Er kritisiert auch den Aufruf der Brauerei auf ihrer Internetseite: „Wir suchen Mutige“, heißt es dort. „Mit Mut hat man Menschen in den Ersten und Zweiten Weltkrieg getrieben“, sagt Leschke. Sicherlich hätten sich die 40 Menschen auch gegen dieses Angebot entscheiden können. Man müsse die Leute aber auch manchmal vor sich selbst schützen, erklärt Leschke.
Annette Hoh kann die Kritik der Medienwissenschaftler verstehen, betont aber, dass es sich bei der Freibier-Aktion um keine „ausgeklügelte Kampagne“gehandelt habe, die wochenlang vorbereitet wurde: „Das ist in der Dynamik des Rutenfestes so ins Rollen gekommen“, sagt sie. Anfangs seien bei der Marketingaktion ausschließlich Klebetattoos vorgesehen gewesen. Aus einem „Witz“wurde dann ein „Hype“: Alle 6000 Klebetattoos wurden verteilt. Ein Brauereimitarbeiter habe sich daraufhin freiwillig dazu entschlossen, sich das Tattoo für immer stechen zu lassen. Mit seiner Idee startete Leibinger einen Aufruf auf Facebook zur „Rutenfest Challenge“. Das Video hat mehr als 100 000 Facebook-User erreicht, spätere Videos vom Tätowieren dann noch mal 33 000 User.
Eine Fortsetzung soll es laut Hoh trotz des „unerwarteten“Erfolgs nicht geben. „Sowas kann man nicht fortsetzen. Das war eine einmalige Geschichte“, sagt sie.