Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Bubblegum statt Bombast
The Dirty Nil aus Kanada bringen dem Rock neue, ungestüme Impulse
Kanada gilt als Sehnsuchtsland mit spektakulärer Natur, überaus umgänglichen Einwohnern und einem Staatsoberhaupt, das als Anti-Trump gehandelt wird. Doch das flächenmäßig zweitgrößte Land der Erde hat nicht nur fantastische Nationalparks und endlose Weite zu bieten.
Auch musikalisch hat Kanada unglaublich viel vorzuweisen, ob man da den instrumental ausgefuchsten Progrock von Rush nimmt, den modernen Rapsound von Drake oder den leichtfüßigen Akustikrock der Barenaked Ladies. Doch auch im harten Rocksektor tut sich etwas, und The Dirty Nil sind eine der Bands, die man hier guten Gewissens als Zukunft kanadischer Gitarrenklänge mit viel Verzerrung nennen kann.
Vergangenes Jahr veröffentlichte das Powertrio aus der Provinz Ontario das Debütalbum „Higher Power“, dieses Jahr legte es mit einer Raritätensammlung unter dem Titel „Minimum R&B“nach. Roh und ungestüm, so lässt sich der Sound wohl am besten beschreiben. Wie eine Band, die auf die Bühne kommt, ihre Instrumente einstöpselt und drauflosrockt – ohne Schnickschnack, ohne Bombast, einfach mit harten Gitarren und Songs, die manchmal sogar Mut zum Bubblegum-Pop beweisen.
Mit dem Druck, den Lob von Kritikern und Begeisterungsstürme der Fans mit sich bringen, gehen die drei jungen Männer gelassen um. „Wir wollen etwas machen, das uns Spaß macht, und wenn andere auch Spaß dran haben, ist das für uns eher wie ein Bonus“, sagt Sänger und Gitarrist Luke Bentham. Und fügt an: „Ich würde zwar lügen, wenn ich sagen würde, dass uns die Meinung anderer egal ist. Aber wir lieben, was wir tun, und haben ein Vertrauen darauf, dass die Leute glücklich damit sind, wenn wir glücklich damit sind.“
Gegründet wurde die Band 2010. Seither haben Luke Bentham, Bassist Ross Miller und Drummer Kyle Fisher viele Konzerte gespielt. In der kanadischen Rockszene erleben sie musikalischen und menschlichen Zusammenhalt: „Wir haben das Glück, mit vielen Bands von hier auf Tour gewesen zu sein, die wie wir von Kanada aus den Weg in die weite Welt angetreten haben. Mit Pup verbindet uns eine langjährige Freundschaft, und auf unsere erste Tour haben uns Sam Coffey & The Iron Longs mitgenommen. Mit den Flatliners waren wir auch unterwegs – es gibt keinen Mangel an guter Musik bei uns“, erzählt Kyle Fisher.
Bald geht es ins Studio
Der Zeit des Tourens, die die Band für Sommerfestivals wie das Southside nach Deutschland gebracht hat, folgen nun bald die Arbeiten am zweiten Studioalbum: „Wir haben den Großteil an Songs dafür fertig, allerdings brauchen die Stücke bei uns auch Zeit. Meist komme ich mit einer Idee, aber die besten Einfälle haben wir, wenn wir zu dritt gemeinsam spielen“, sagt Bentham. „Die letzten zwei Jahre sind wir wie verrückt getourt, und zu Hause haben wir jeden Tag geprobt.“
Nach der Tour, bei der die Band noch bis Ende Oktober mit Against Me! Konzerte spielen wird, wollen The Dirty Nil einen Monat Pause machen und dann am neuen Album arbeiten. Bis dahin kann man die Zeit noch mit „Minimum R&B“überbrücken. „Das ist in erster Linie eine Zusammenstellung unserer frühen Seven Inch-Platten. Zwischen 2011 und 2014 haben wir davon viele veröffentlicht, und es gab jede Menge Fans, die wissen wollten, wie man da rankommt“, so Bentham. „Von manchen hatten wir nur ein paar Hundert pressen lassen. Uns war es wichtig, diese Musik noch mal für alle zugänglich zu machen.“
Das deutsche Publikum ist dem Trio, das zusammen ein Haus in Hamilton südwestlich von Toronto bewohnt, ans Herz gewachsen. „Es ist verdammt genial! Ich hab ein paar Mädchen mit Billy-Talent-Shirts im Publikum gesehen. Da hat man das Gefühl, dass sich unsere SupportTouren für Billy Talent auszahlen.“Die schweißtreibende Enge eines kleinen Clubs ziehen The Dirty Nil großen Festivalshows vor: „Festivals haben immer den Nachteil, dass man eben auftaucht, spielt und wieder geht. Es ist zwar auch toll, dass man viele Menschen erreichen kann, aber im Club hast du mehr Zeit für Soundcheck, somit mehr Kontrolle und eine intensivere Beziehung zum Publikum“, sagt Ross Miller.
Fühlt sich die Band in Zeiten, in denen der kanadische Premierminister Justin Trudeau auf dem „RollingStone“-Cover zum US-Präsidenten herbeigesehnt wird, zu politischen Statements berufen? „Wir haben mit politischen Bands getourt, und manchmal fühle ich mich, als ob wir das vernachlässigen. Aber generell sind wir eher eine Band, die unterhalten will und bei der die Leute Spaß haben sollen“, sagt Bentham. „Mit Politik sind die Leute eh ständig konfrontiert. Bei uns sollen sie einen Abend lang nicht an die Welt da draußen denken.“