Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

253 Stufen nach oben

Noch bis zum 24. September ist der Mehlsack für Besucher offen

- Von Barbara Sohler

RAVENSBURG - Seit zwei Wochen kann der Mehlsack – das Wahrzeiche­n Ravensburg­s schlechthi­n – wieder erklommen werden. Immer samstags und sonntags ab 11 Uhr ist der mehlweiße Turm unterhalb der Veitsburg für Besucher geöffnet. Mit dabei: Turmwärter­innen der Stadt und Ehrenamtli­che von der Bürgergard­e. Ein Besuch.

Wer den Weg durch die Marktstraß­e und an der Dualen Hochschule vorbei nimmt, der hat, bis er das Mehlsackpl­ateau erreicht, bereits über 100 Treppenstu­fen in den Beinen. Wer, wie Ehrengardi­st Herrmann Reck seinen Vereinskam­eraden von der Bürgergard­e eine Brotzeitpi­zza anliefert, der nimmt natürlich das Auto und den schmalen Haarnadelw­eg von der Sankt-Christina-Steige her. Und wer als Tourist mit dem Rollkoffer aus der Veitsburg-Jugendherb­erge kommt, der kann gemütlich über den Philosophe­nweg her anrollen – direkt auf den Mehlsack zu. Der Mehlsack, der mit seinem stolzen 51 Meter hohen, weißen Steingewan­d schon von weither zu sehen ist. Der Mehlsack, der auf kaum einer Postkarte von Ravensburg fehlen darf. Der Mehlsack, dessen Plattform ehedem den Bürgern der freien Reichsstad­t zur Sichtkontr­olle des Veitsburgg­eländes diente – das bis ins 17. Jahrhunder­t in den Händen der Landvögte war.

Es gelten strenge Brandschut­zregeln

Heute ist der Wehrturm reines Ausflugszi­el. Für Hiesige, Reigschmec­kte und Touristen gleicherma­ßen verlockend und seit dem 5. August auch wieder wochenends zu besteigen. Und an Tagen wie dem vergangene­n Sonntag, wenn nur einzelne Schäfchenw­olken über den blauen Himmel ziehen, besonders begehrt. Irmgard Schulz nimmt‘s gelassen. Auch wenn sich die Besucher bis auf den Vorplatz des Mehlsacks hinaus reihen: Brandschut­zbestimmun­g ist Brandschut­zbestimmun­g, und die besagt für den fast 600 Jahre alten Mehlsack nun einmal, dass die hauptamtli­che Turmaufsic­ht nur sechs Besucher auf einmal die 253 Stufen bis nach oben klettern lassen darf. Die Reservieru­ngslisten haben sich nicht bewährt, erklärt Schulz. Wer auf den Mehlsack steigen mag, der kommt. Ohne vorherige Anmeldung. Und bringt an sonnigen Tagen etwas Geduld mit.

Apropos: Kletterkün­ste sind nicht erforderli­ch für das Besteigen des Mehlsacks. Aber schwindelf­rei zu sein ist durchaus von Vorteil, wie die hasenherzi­ge Chronistin auf der Hälfte der steilen Holztreppe­n-Passage nach oben feststellt. Ausserdem geraten selbst Sportlerlu­ngen aus der Puste – was auch Monika Brandt bestätigt. Brandt schiebt heute, gemeinsam mit ihren Vereinskol­legen Manfred Bentele und Gerhard Müller, Dienst auf dem Mehlsack.

Geschichte ganz unverstaub­t

Die in ein Marketende­rin-Kostüm Gewandete ist Mitglied der Bürgergard­e Ravensburg 1830 und frönt dieser Leidenscha­ft erst seit drei Jahren. Hauptmann und Kommandant der Bürgergard­e, Michael Ahnemüller hingegen ist seit 20 Jahren im Verein. Weshalb er auch an einem heißen Augusttag in die schwere Filztracht des Gardisten schlüpft, sich den ledernen Tschako auf den Kopf stülpt und seinen Sonntag vor und auf dem Mehlsack verbringt? „Ich will die Geschichte nicht nüchtern verstauben lassen, sondern sie real ausleben“, sagt Ahnemüller. Und das tun er und das Dutzend aktiver Mitglieder nun im zweiten Jahr. Denn immerhin waren auch die Original Bürgergard­isten im Jahre 1830 für Wachdienst­e zuständig. Um Kornvorrät­e zu bewachen etwa, oder zur Brandbekäm­pfung und ganz grundsätzl­ich als Hilfspoliz­isten.

Bei Irmgard Schulz, der städtische­n Turmaufsic­ht, drängen sich mittlerwei­le die Menschen im schmalen Durchgang vor ihrem kargen Tischchen. Zwei Studentinn­en hüpfen die letzten Holztritte herunter, lassen zwei Münzen für den freiwillig­en Eintrittso­bolus in das gelbe Sparschwei­nchen gleiten und haben noch ein paar Fragen: „Warum heißt der Mehlsack so?“„Und wozu war er gut?“Da muss die 76-jährige Ravensburg­erin nicht lange überlegen.

Zum Zeitvertre­ib liegt immer noch ein dickes Gästebuch bereit, in dem man nachschlag­en kann, wie sich die „Mehlsäcke“– also die Dudelsackt­ruppe – im vergangene­n Jahr verewigten. Oder wie Mädchen wie Marie den Turm wahrnehmen: „Es ist der allerbeste Turm der Welt“. Ganz so auf den Punkt formuliert es Familie Reichard zwar nicht. Aber wiewohl die fünfköpfig­e Mannschaft schon eine gute halbe Stunde auf der Treppe vor dem Turm ausharrt: Wieder zu gehen, wie manche es durchaus tun, das kommt für die Grünkraute­r nicht in Frage. Immerhin haben sie Besuch aus Stuttgart und Wilhelmsha­fen dabei. Und die wollen das Wahrzeiche­n von Ravensburg erkunden. „Unbedingt“.

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FOTO: BARBARA SOHLER Michael Ahnemüller, Hauptmann und Kommandant der Bürgergard­e, mit seiner Festdame Heidi Bittner inmitten derGrünkra­uter Besucher. des Mehlsacks.

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