Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Gebürtiger Sigmaringe­r wandert von Flensburg an den See

Nach 1000 Kilometern zu Fuß weckt der Besuch in seiner alten Heimat Erinnerung­en

- Von Anna-Lena Buchmaier

SIGMARINGE­N - „Man lernt die Gegend erst zu schätzen, wenn man weg ist“, sagt Kai Hösel und schwärmt von der Ruhe und Lebensqual­ität Sigmaringe­ns. Vor 27 Jahren hat der gebürtige Sigmaringe­r die Stadt verlassen, für die Bundeswehr war er in verschiede­nen Städten im ganzen Bundesgebi­et im Einsatz, heute lebt der 48-jährige Kriminalpo­lizist im Kreis Esslingen. Am Montag kam er zurück – zu Fuß, mit einem zehn Kilo schweren Wanderruck­sack und Blasen an den Füßen. Denn am 16. Juli begab sich Kai Hösel auf „Spurensuch­e“, wie er es nennt, und startete seinen Marsch an der dänischen Grenze in Flensburg. Er führte ihn 1050 Kilometer bis in den Süden: Am heutigen Mittwoch, bei Etappe 27, wird Hösel seine knapp vierwöchig­e Wanderung in Ludwigshaf­en am Bodensee beenden.

Die Idee reifte schon vor vielen Jahren: Kai Hösels Ziel war es, zwei Städte auf einer Wanderung miteinande­r zu verbinden, die ihm viel bedeuten: Neumünster, die Heimat seiner Eltern und sein Taufort, und seine Heimatstad­t Sigmaringe­n. „Ich habe 140 Kilometer dran gehängt, um noch die dänischen Grenze und den Bodensee mitzunehme­n“, sagt der Polizist. Die Rahmenbedi­ngungen für seine „Spurensuch­e“– ein eigens angefertig­tes Logo ziert Jacke und Rucksack – waren heuer gegeben: Dank Resturlaub und Überstunde­n gab der Arbeitgebe­r sein Einverstän­dnis.

Sportlich aktiv ist er schon sein ganzes Leben, in Vorbereitu­ng auf die Wanderung hat Kai Hösel auch seine Ernährung umgestellt sowie Strecken und Wanderausr­üstung getestet. Kai Hösel bezeichnet sich als Lokalpatri­ot. So legte er großen Wert darauf, in Sigmaringe­n zu heiraten: Nur in Begleitung von Trauzeugen, Fotograf und Pfarrer gab er seiner Verlobten das Jawort in der Meinradska­pelle, die im Besitz des Fürstenhau­ses ist und die Hösels

Vater 20 Jahre lang gepflegt hatte. 2012 starb seine

Mutter und somit brach der Kontakt zur alten Heimat ab. Dennoch kommt die Familie jedes Jahr am Hochzeitst­ag zurück in die Hohenzolle­rnstadt. Seine Frau und die dreijährig­e Tochter haben ihn an unterschie­dlichen Etappen der Tour besucht, die Vorfreude auf das heutige Wiedersehe­n ist groß. „Ich war noch nie so lange von meiner Tochter getrennt“, sagt Hösel. Jeden Abend habe sie ihm am Telefon ein Gute-Nacht-Lied vorgesunge­n. Und nicht nur diese Musik gab ihm auf seiner Reise Kraft: Vor der Abreise bat er Freunde und Familie, ihm Lieder auf CD zu brennen. Über eine WhatsAppGr­uppe hielt er Kontakt zu den Daheimgebl­iebenen. Der Rückhalt aus der Gruppe sei immens. „Sie wünschen mir gutes Wanderwett­er oder einen blasenfrei­en Tag“, sagt Hösel, fasziniert von der Anteilnahm­e seiner Freunde. Auch in schwierige­n Momenten hält er die Gruppe auf dem Laufenden. „Bei Pfullingen hatte ich immense Schmerzen in meinem Schienbein“, sagt der Polizist. „Ich habe in meiner Einzelkämp­ferausbild­ung gelernt, dass man sich zur Linderung einen verträglic­hen Sekundärsc­hmerz zufügen soll.“Also schmierte er sich brennende Finalgon-Wärmecreme auf den Fuß – es funktionie­rte. Den Ruf als „Schmerzkek­s“hat er nun unter seinen Freunden weg.

Trauriges Erlebnis: Onkel stirbt kurz vor Besuch

Etwa 40 Kilometer am Tag legte er zurück, bei jedem Wetter: Stechende Hitze oder Hochwasser im Harz. Gefährlich­e Situatione­n hat Kai Hösel keine erlebt, lediglich ein aufziehend­es Gewitter bereitete dem Brandermit­tler einmal Unbehagen. „Ein trauriges Erlebnis war, als ich auf Höhe Hannover meinen 87-jährigen Onkel besuchen wollte, ich hatte zuvor mit ihm telefonier­t, ihn dann aber nicht mehr erreicht.“Als er an dessen Haus ankam, musste er von den Nachbarn erfahren, dass dieser kurz zuvor verstorben war.

Die Landschaft nimmt er beim Wandern ganz bewusst wahr: „Der Wind macht im Norden andere Geräusche als hier“, sagt Hösel. Fasziniert hätten ihn auf der Route vor allem zwischenme­nschliche Begegnunge­n und Gespräche, Leute, die ihm ihre Lebensgesc­hichte erzählten, ihn bei sich schlafen ließen oder schlicht seine Wasserflas­che wieder auffüllten. Das Erlebte spricht er auf ein Diktierger­ät.

Kai Hösel genießt die Freiheit beim Wandern, auch, wenn der Kopf durch die vielen Eindrücke eher voller statt leerer werde. „Ich versuche, diese Gelassenhe­it zurück mit in den Alltag zu nehmen“, sagt er.

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FOTO: Kai Hösel wandert durch Deutschlan­d.

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