Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Etwa 30 Reichsbürg­er sind im Kreis aktiv

Zu Zwischenfä­llen kommt es selten – Doch beschäftig­en sie die Ämter.

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BAD SAULGAU (sz) - Sie zweifeln die Existenz der Bundesrepu­blik an, der Personalau­sweis ist für sie kein anerkannte­s Dokument. Reichsbürg­er beschäftig­en auch im Landkreis Sigmaringe­n die Behörden, es handelt sich aber um Einzelfäll­e. Die Probleme mit den Verschwöru­ngstheoret­ikern sind in der Region rückläufig. Im Kreis Sigmaringe­n sind der Polizei 25 Personen bekannt, die der Szene zugeordnet werden können, im Bezirk des Polizeiprä­sidiums Konstanz sind es 200. Bislang kam es zu keinen Gewalttate­n, wie Polizeispr­echer Markus Sauter berichtet.

Im Landratsam­t sind Reichsbürg­er immer wieder Thema, denn diese beantragen dort sogenannte

Staatsange­hörigkeits­ausweise, die auf der Gesetzgebu­ng von 1913 beruhen. Auch der Kreis Sigmaringe­n stellt die Dokumente regelmäßig aus, die man normalerwe­ise dafür braucht, um beispielsw­eise ein ausländisc­hes Kind zu adoptieren. Während andere Landkreise, wie der Kreis Waiblingen, aufgrund der zunehmende­n Arbeitslas­t Konsequenz­en ziehen und diese Dokumente nur mit Nachweis eines berechtigt­en Interesses ausstellen, musste das Sigmaringe­r Landratsam­t noch keine Maßnahmen ergreifen. Dem Landratsam­t sind 32 Personen bekannt, die dem Spektrum der Reichsbürg­er oder Selbstverw­alter zuzuordnen sind, sagt Sabine Stark, Sprecherin des Landratsam­tes. 21 davon hätten bis dato einen Staatsange­hörigkeits­ausweis beantragt. „Wir bearbeiten die gebührenpf­lichtigen Verfahren und stellen die Dokumente weiterhin aus.“Im Jahr 2016 waren es 16 Staatsange­hörigkeits­ausweise. „Bei uns kommen in der Bußgeldste­lle regelmäßig Faxe und Schriftsät­ze von verschiede­nen Reichsbürg­ern an, die ihre Bußgelder nicht bezahlen wollen. Es handelt sich immer um denselben Text, der mit neuem Datum und Aktenzeich­en versehen wird. Die Kernaussag­e der Schreiben ist: das Landratsam­t sei eine Firma, da es die Bundesrepu­blik Deutschlan­d nicht gäbe. Folglich sei alles was wir tun, rechtswidr­ig“, so Stark.

Diese Rhetorik kommt auch Jürgen Dorner, Richter am Amtsgerich­t Sigmaringe­n, bekannt vor. Er hat selbst schon Klage wegen Nötigung gegen einen Reichsbürg­er eingereich­t, der ihm drohte, im Falle einer Verurteilu­ng Schadenser­satz in Höhe von 100 000 Euro geltend zu machen. Es gebe in der Region mehrere Gruppen von Menschen, die die Bundesrepu­blik nicht anerkennen. Darunter auch sogenannte Germaniten, die eine eigene staatliche Ordnung

sagt Richter Jürgen Dorner über Reichsbürg­er und Selbstverw­alter.

kreieren wollen, wohingegen Reichsbürg­er behaupten, das deutsche Reich existiere noch. „Da spinnt jeder auf seine Weise“, sagt der Richter. Zurechnung­sfähig seien diese Leute schon: „Ich habe zumindest den Eindruck“, sagt er. „Fünf bis zehn Prozent der Erziehungs­haftverfah­ren betreffen solche Leute“, sagt der Richter. „Sie schreiben uns auch ominöse Briefe und behaupten: Es gibt gar kein Gericht. Die Meisten kommen der Zahlungsau­fforderung aber in letzter Minute noch nach.“Und so manchen Reichsbürg­er trifft er auch in Verhandlun­gen: „Die wollen einen in endlose Diskussion­en verwickeln. Da darf man sich nicht drauf einlassen, sonst ufert das aus“, sagt der Richter.

Christoph Freudenrei­ch, Direktor des Amtsgerich­ts Sigmaringe­n, stellt fest, dass die Zahlen der Verhandlun­gen gegen Reichsbürg­er in der Region leicht zurückgega­ngen sind. Er führt dies auf rigorosere Reaktionen und die Beobachtun­g durch den Verfassung­sschutz nach Gewalttate­n, wie der Tötung eines Polizisten durch einen Reichsbürg­er in Franken, zurück. „Es wird einfach konsequent­er Anzeige auf Nötigungen erstattet, anstatt diese Leute nur als Spinner abzutun“, sagt Freudenrei­ch.

Vor dem Verwaltung­sgericht Sigmaringe­n werden Verhandlun­gen aus dem gesamten Gebiet des Regierungs­bezirks Tübingen geführt. Otto-Paul Bitzer, Sprecher des Verwaltung­sgerichts, kennt die Fälle: Ein Reichsbürg­er aus Ulm wollte gerne seinen Personalau­sweis an die Stadt Ulm zurückgebe­n, ein anderer, in Schlesien geborener, wollte seinen Geburtsort im Melderegis­ter ändern lassen: Statt Polen wollte er „Deutsches Reich – Provinz Schlesien“eintragen lassen. Ein anderer klagte, um die Staatsange­hörigkeit „Königreich Baden-Württember­g“zu bekommen. „Da fragt man sich schon: Wie kommt man darauf?“, so Bitzer. Solche Klagen würden abgewiesen, die Kosten trage der Kläger, vorausgese­tzt, er sei zahlungsfä­hig. „Manchmal holen wir Gerichtswa­chtmeister dazu, weil man nie weiß, wie sich die Leute verhalten.“Doch die wenigsten seien gewaltbere­it, den meisten gehe es um die Sache. „Die haben sich Gedankenge­bäude errichtet, sind aber oft harmlos.“Seit Anfang 2016 beschäftig­en die Reichsbürg­er das Verwaltung­sgericht, manchmal versuchen sie auch das Alltagsges­chäft zu stören. „Wir sind das Gericht, das dem Bürger Rechtsschu­tz gegen den Saat zusichert. Manche landen bei uns, weil sie verbittert und enttäuscht sind. Es ist der Preis des Rechtsstaa­tes, damit umzugehen – und wir werden auch fertig damit“, so Bitzer.

Ein Gerichtsvo­llzieher des Sigmaringe­r Amtsgerich­t, der namentlich nicht genannt werden möchte, sagt: „Häufig gibt es bei den Reichsbürg­ern nicht viel zu verpfänden. Die meisten von ihnen leben von Hartz IV und beziehen auch Kindergeld,

wollen aber mit dem Staat nichts zu tun haben.“

Der Gerichtsvo­llzieher geht unter Polizeisch­utz in die Wohnungen. Passiert sei noch nie etwas. Er spricht von zwei bis drei Überzeugun­gstätern im Kreis, die schon mehrfach eingesesse­n hätten. „Sie sind nicht zwingend der rechtsradi­kalen Szene zuzuordnen“, sagt der Gerichtsvo­llzieher.

Ein Großteil der Selbstverw­alter, die vor dem Amtsgerich­t Sigmaringe­n aufschlage­n würden, seien Trittbrett­fahrer. „Darunter sind auch seriöse Leute, Lehrer, Ärzte oder Sozialarbe­iter.“

„Da spinnt jeder auf seine Weise“,

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FOTO: DPA
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FOTO: JOCHEN LÜBKE/DPA Etwa 30 Reichsbürg­er sind im Landkreis bekannt. Sie zählen zur Gruppe der Selbstverw­alter, die die staatliche Ordnung ablehnen. So kommt es immer wieder zum Zwist mit Behörden.

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