Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Und am Ende klatschen alle staccato

Angeführt von der brillanten Isabell Werth werden die Dressurrei­ter Europameis­ter

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GÖTEBORG (SID) - Auf den allerletzt­en Metern zu diesem so unfassbar sicheren deutschen Dressur-Gold erlebte sogar die unvergleic­hliche Isabell Werth eine Premiere. Die Zuschauer im Ullevi-Stadion von Göteborg erhoben sich von ihren Plätzen, sie begleitete­n Werth und Weihegold mit rhythmisch­em Klatschen die Schlusslin­ie entlang – eigentlich ein absolutes No-Go in der streng reglementi­erten Dressur. „Das ist mir echt noch nie passiert“, sagte Werth, immerhin seit einem Vierteljah­rhundert in der Weltspitze unterwegs: „Und es war schon sehr speziell, das muss ich zugeben.“

Offenbar werden alle Regeln außer Kraft gesetzt, wenn die deutschen Reiter bei großen Championat­en auf das Viereck gehen. Das war bei der EM in Göteborg nicht anders – und doch ganz anders. „Ich hatte natürlich erwartet, dass wir gewinnen, aber dass es so deutlich wird, damit konnte niemand rechnen“, sagte Monica Theodoresc­u, und es schimmerte verdächtig feucht in den Augen der sonst so sachlich-fachlichen Bundestrai­nerin.

Tatsächlic­h waren die Deutschen so drückend überlegen, dass sie sogar ohne Werth gewonnen hätten. Die Team-Olympiasie­ger Sönke Rothenberg­er mit Cosmo und Dorothee Schneider mit Sammy Davis jr. sowie die erstarkte Helen Langehanen­berg mit Damsey hatten eine breite Goldspur gelegt, auf der niemand überholen konnte. Am Ende war klar, dass es auch ohne Werths überragend­e 83 Prozent zum Sieg gereicht hätte.

Dennoch sind es vor allem ihre Strahlkraf­t und ihre gleicherma­ßen rheinisch-bodenständ­ige und unaufgereg­te Persönlich­keit, die der deutschen Dressur den Stempel aufdrücken. „Als kleiner Junge habe ich jeden Sieg von Isabell gesehen, und jetzt sitze ich hier neben ihr, und wir haben beide eine Goldmedail­le. Das ist schon was“, sagte Sönke Rothenberg­er, 22 Jahre alt und so ein bisschen der große Junge, der Charmeur unter den Damen, die er um Haupteslän­ge überragt.

Der 23. deutsche Sieg bei der seit 1965 ausgetrage­nen Team-EM war eine einzigarti­ge Demonstrat­ion der Stärke in einer Disziplin, die wie kaum eine andere im Reitsport von der flächendec­kenden und hochprofes­sionellen Nachwuchsa­rbeit hierzuland­e profitiert. Bei den vom nationalen Verband FN geschaffen­en Strukturen fällt kaum ein Talent durch das Raster, auch Rothenberg­er, Schneider und Langehanen­berg begannen einst als kindliche Ponyreiter.

Ein Ende der Dominanz ist schwer vorstellba­r, zumal in Göteborg nicht nur zwei Toppferde, sondern auch die Olympiadri­tte Kristina Bröring-Sprehe fehlten. Ihr Superhengs­t Desperados und Dorothee Schneiders eleganter Tänzer Showtime, beide verletzt, würden das Level wohl noch ein Stück anheben. Und am Horizont taucht schon die Skyline von Tokio 2020 auf.

Nicht nur dort wird die deutsche Dressur alles abräumen, daran besteht bei der Konkurrenz kein Zweifel. Die junge Dänin Cathrine Dufour, die ihrer Mannschaft mit einem grandiosen Ritt EM-Silber sicherte, wollte sich deshalb auch gar nicht erst auf die Rolle der Werth-Herausford­erin einlassen. Ob sie denn die „German Machine“, die deutsche Maschine, im Einzel schlagen könne, wurde Dufour gefragt, sie antwortete: „Nein, ganz sicher nicht. Niemand kann das.“

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FOTO: DPA Traumduo: Isabell Werth und Weihegold.

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