Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Erinnerungen an brennenden Schrottberg
Vor genau zehn Jahren bricht ein großes Feuer im Shredderwerk in Herbertingen aus
HERBERTINGEN - Es ist zehn Jahre her, bleibt aber trotzdem unvergessen: Feuerwehrleute erinnern sich an den Großbrand im Shredderwerk im Herbertinger Gewerbegebiet Oberer Bergen so, als wäre er erst gestern gewesen. Der brennende Schrotthaufen hielt die Einsatzkräfte vom 30. August bis 3. September in Atem.
Es ist 11.01 Uhr am Donnerstag, 30. August 2007, als Andreas Appel seiner Arbeit als Betriebsleiter in der Altholzshredderanlage in Herbertingen nachgeht. Es sollte für ihn kein Arbeitstag wie jeder andere werden. „Weil ich Feuerwehrmann und gleichzeitig Brandschutzbeauftragter des Shredderwerks bin, rief mich ein Arbeitskollege zum Schrotthaufen, wo sich offensichtlich etwas entzündet hatte“, sagt Appel. Wo genau der Brandherd ist, das lässt sich im ersten Moment nicht feststellen, weil der Schrotthaufen mehr als zehn Meter hoch ist. Im Außenbereich des riesigen Schrottberges stapeln sich Autowracks, innen liegen alte Waschmaschinen, defekte Kühlschränke, verrostete Fahrräder – alles, was die Menschen wegwerfen und was zuletzt im Shredderwerk landet. „Mir war das zu kritisch“, sagt Appel, der zuerst die Feuerwehr Herbertingen alarmiert und dann die Feuerwehr Bad Saulgau mit ihrer Drehleiter um Unterstützung bittet. Zu diesem Zeitpunkt sind die Dimensionen des Brandes noch nicht absehbar.
Auch noch nicht um 11.30 Uhr, als der damalige Herbertinger Feuerwehrkommandant Roland Baumhauer von seiner Arbeitsstelle in Riedlingen nach Herbertingen eilt, um sich ein Bild vor Ort zu machen. „Die Rauchentwicklung war bei meinem Eintreffen noch nicht übermäßig gewesen“, sagt Baumhauer. Das Feuer sei nicht wirklich zu sehen gewesen. „Alles deutete darauf hin, dass es in der Mitte des Schrotthaufens zu brennen begann“, so Baumhauer. „Wenn es außen gewesen wäre, hätten wir den Brand schnell in den Griff bekommen.“
Wie ein löchriger Käse
Das größte Problem: „Der Schrotthaufen war wie ein löchriger Käse. Überall konnte Luft hinein und den Brand beschleunigen“, so Baumhauer. Bei den heutigen Brandschutzauflagen, dessen ist sich Baumhauer sicher, wäre der Brand in dieser Größe gar nicht möglich gewesen. „Heute gibt es mehrere Brandabschnitte, es werden Gassen gebildet.“Vor zehn Jahren sei es ein großer Haufen mit unheimlich vielen Brandlasten gewesen.
Der kontinuierliche Schwelbrand breitet sich immer weiter aus, immer mehr Feuerwehrleute aus dem gesamten Landkreis Sigmaringen stoßen als Einsatzkräfte hinzu, gegen 14.30 Uhr übernimmt Kreisbrandmeister Michael Hack die Einsatzleitung, der seinen Urlaub unterbricht. Inzwischen steigen dichte Rauchwolken nach oben, die Stunden später bis zum Bodensee und bis ins Alb-Donau-Gebiet zu sehen und zu riechen sind sind. „Es war Glück im Unglück, dass der Rauch nach oben stieg und sich mit der Luft verdünnte“, sagt Michael Hack.
Längst ist den Feuerwehrleuten an diesem heißen Tag im Spätsommer 2007 klar, dass sie einen schwierigen Brand bekämpfen müssen, dass sie nicht nach wenigen Stunden wieder ihre Atemschutzmasken abnehmen und ihre Schläuche einrollen können – sondern dass sie an ihre Grenzen gehen müssen. Etwa vier Stunden nach dem Ausbruch des Feuers, das einem Inferno gleicht, wird das Industriegebiet evakuiert, wird die Bevölkerung aufgefordert, ihre Fenster und Türen zu schließen. „Es war in Baden-Württemberg der größte Brand in der Nachkriegszeit“, sagt Michael Hack auf den Tag genau zehn Jahre nach dem Großbrand. Die Brandbekämpfung sei in der Tat äußerst schwierig gewesen – vor allem wegen der Zugänglichkeit. „Wir konnten ja niemanden auf den Haufen klettern lassen“, so Hack.
Schnell kursieren Gerüchte, dass sich aus dem brennenden Schrottberg giftige Blausäuredämpfe ausbreiten. „Das stimmte nicht“, sagt Bernhard Obert vom Dezernat Bau und Umwelt des Landratsamts Sigmaringen. Regelmäßig wurden Messungen gemacht, unter anderem an der Messstation bei den Kliniken in Bad Saulgau. Es seien zu keiner Zeit Giftstoffe enthalten gewesen. „Die gemessenen Schadstoffe lagen unterhalb der Richtwerte“, sagt Obert. Damals sei die Wahrnehmung in der Bevölkerung eine andere gewesen.
Derweil verfolgt Michael Hack als Einsatzleiter primär ein Ziel, als sich abzeichnet, dass bis in die Nacht hinein der Brand gelöscht werden muss. „Wir wollten die umliegenden Produktionsstätten und damit die Arbeitsplätze erhalten.“Hack entscheidet sich taktisch für eine Riegelstellung, „die ebenfalls nicht ganz einfach war“. Aber erfolgreich. Mit Wasserwerfern bleiben die Shredderanlage, ein Portalkran und eine Entsorgungsstation vom Feuer verschont. „Darüber waren wir alle sehr froh“, sagt Hack.
Das Feuer im Shredderwerk schafft es derweil in alle Nachrichtensendungen, weil die Feuerwehren sagt Kreisbrandmeister Michael Hack über die Rettung der Shredderanlage aus dem Landkreis Sigmaringen nicht mehr unter sich sind. Berufswehren aus Karlsruhe, Reutlingen und Stuttgart machen sich mit lauten Sirenen auf den Weg nach Herbertingen. Ein Navi brauchen die Fahrer nicht, weil sie nur nach der meterhohen Rauchwolke Ausschau halten müssen. Und Hack benötigt nicht nur zusätzliches Personal – zu Spitzenzeiten waren es bis zu 500 Einsatzkräfte – sondern auch Löschschaum, um des Brandes Herr zu werden. „Der Schaumnachschub kam sogar aus der Schweiz.“Am frühen Freitagmorgen kann zum ersten Mal Entwarnung gegeben werden. „Wir hatten den Brand unter Kontrolle bekommen.“
„Darüber waren wir alle sehr froh“,
Keine Zeit zum Schlafen
Doch der Einsatz ist damit noch nicht beendet. Der Schrotthaufen glüht weiter nach, muss permanent abgekühlt werden. Die Ursache des Großbrands steht indes fest: Abfälle aus einem Eisenbahnwaggon entzündeten sich selbst. Die Feuerwehrkameraden lösen sich indes mit ihren Diensten ab. „Nach 25 Einsatzstunden schlafe ich zum ersten Mal für ein paar Stunden“, sagt Roland Baumhauer, der die Zusammenarbeit lobt. „Alle waren total auf ihre Sache konzentriert.“Andreas Appel weiß nicht, wie viele Kilometer er an den fünf Tagen zurückgelegt hat. „Einige hatten Blasen an den Füßen, standen bis zu den Knien im Löschwasser“, sagt Michael Hack, der anhand von zwei Zahlen die Dimension zum Ausdruck bringt: Treibstoffkosten in Höhe von 28 000 Euro, Versorgungskosten in Höhe von 44 000 Euro, die sofort von der Betriebsleitung des Shredderwerks übernommen werden.
Am Montag, 3. September 2007, können die Mitarbeiter des Shredderwerks ihre Arbeit wieder fortsetzen. Appels Kollegen seien glücklich gewesen, dass die Produktionsstätten nicht in Schutt und Asche lagen. Gesprächsthema Nummer eins ist am ersten Arbeitstag aber der Großbrand auf dem Gelände des Arbeitgebers. „Aber irgendwann mussten wir ja wieder zur Normalität übergehen“, sagt Appel. Roland Baumhauer denkt hin und wieder an die Ereignisse im Shredderwerk, wenn der Herbertinger daran vorbeifährt. „So etwas habe ich noch nie erlebt.“Und etwas Gutes hatte das Feuer auch: „Bei Schulungen von Feuerwehrleuten wird dieses Beispiel gerne herangezogen“, ergänzt Michael Hack, der die Unterlagen des Brands noch heute schnell griffbereit hat – zehn Jahre danach.