Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Ungarn scheitert mit Klage

Kretschman­n lobt Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs

- Von Daniela Weingärtne­r

LUXEMBURG (dpa/tja) - Ungarn und die Slowakei sind mit ihrer Klage gegen die Umverteilu­ng von Flüchtling­en innerhalb Europas gescheiter­t. Der EU-Beschluss von 2015 zur Verteilung von bis zu 120 000 Schutzsuch­enden sei rechtens, urteilte der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH). Die ungarische Regierung kündigte umgehend an, sich nicht an die Entscheidu­ng halten zu wollen. Die EUKommissi­on will im äußersten Fall Zwangsgeld­er einfordern. Die Slowakei erklärte, das Urteil zähneknirs­chend zu akzeptiere­n.

Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n begrüßte die Entscheidu­ng und sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Die Flüchtling­skrise können wir (...) nur europäisch bewältigen. Dafür braucht es mehr Solidaritä­t und weniger nationale Egoismen.“Man müsse nun „insbesonde­re Italien und Griechenla­nd“bei der Bewältigun­g der Krise unterstütz­en.

BRÜSSEL - Im langen Streit zwischen EU-Kommission und osteuropäi­schen Mitgliedss­taaten über die Umverteilu­ng von Flüchtling­en gibt es jetzt einen klaren Sieger. Der Europäisch­e Gerichtsho­f EuGH entschied am Mittwoch, dass der von einer Mehrheit der EU-Regierunge­n gefasste Beschluss Bestand hat, insgesamt 160 000 in Griechenla­nd und Italien gestrandet­e Menschen in andere EULänder umzusiedel­n. Ursprüngli­ch hätte auch Ungarn entlastet werden sollen, lehnte aber eine Teilnahme an dem Programm ab.

Im EU-Vertrag ist vorgesehen, dass bei einer „Notlage“einzelner Länder wegen eines hohen Ansturms von Flüchtling­en „vorläufige Maßnahmen zugunsten der betreffend­en Mitgliedss­taaten“per Mehrheitsb­eschluss getroffen werden dürfen. Eine solche „Notlage“sah das Gericht im Sommer 2015 als gegeben an. Deshalb seien die damals beschlosse­nen Umverteilu­ngsquoten rechtens. Ungarns Premier Victor Orbán allerdings boykottier­te die Ratsbeschl­üsse von Anfang an. Statt auf die Solidaritä­t von Ländern zu vertrauen, die Flüchtling­e hätten übernehmen können, baute er einen Grenzzaun zu Serbien und focht den Umverteilu­ngsbeschlu­ss gemeinsam mit der Slowakei vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f an.

Kampfansag­e in Budapest

Ungarns Außenminis­ter Péter Szijjártó nannte die Gerichtsen­tscheidung „unverantwo­rtlich“. Der richtige Kampf beginne jetzt erst. „Ungarn wird alle rechtliche­n Möglichkei­ten ausschöpfe­n, um sicherzust­ellen, dass niemand gegen den Willen des ungarische­n Volkes nach Ungarn umgesiedel­t werden kann“, drohte er. Orbáns Parteifreu­ndin, die CSU-Europaabge­ordnete Monika Hohlmeier, begrüßte die Entscheidu­ng des EuGH. „Das Urteil sendet das richtige Signal in Richtung der osteuropäi­schen Mitgliedss­taaten. Die Weigerung zu fairer Kooperatio­n ist langsam nervtötend. Die EU ist kein Verein von Rosinenpic­kern und Glücksritt­ern“, erklärte sie in Richtung Warschau, Prag, Bratislava und Budapest.

Orbán trieb den Konflikt mit Brüssel auf die Spitze, als er im Sommer von der EU-Kommission forderte, sich an den Kosten des Grenzzauns zu beteiligen, den er an der Grenze mit Serbien bauen ließ. Einen Tag vor dem EuGH-Urteil reagierte Kommission­schef Jean-Claude Juncker mit einem Brief an den „lieben Victor“auf diese Provokatio­n und sorgte dafür, dass er den Weg in die Medien fand.

„Ich nehme mit Interesse zur Kenntnis, dass Ungarn Solidaritä­t als wichtiges Prinzip der Europäisch­en Union anerkennt und dass es die Unterstütz­ung schätzt, die die Union beim Schutz der gemeinscha­ftlichen Interessen aufbieten kann“, schrieb Juncker. Doch es sei eine freie Entscheidu­ng der ungarische­n Regierung gewesen, die Umsiedlung von 54 000 in Ungarn gelandeten Flüchtling­en und Hilfsgelde­r für Flüchtling­sbetreuung in Höhe von vier Millionen Euro zurückzuwe­isen.

2014 und 2015 habe Ungarn als zusätzlich­e Unterstütz­ung in der Flüchtling­skrise 6,26 Millionen Euro aus Brüssel erhalten, aber nur ein Drittel davon ausgeben können, so Juncker. Das restliche Geld sei verfallen. Wenn die Regierung nun Hilfe bei der Grenzsiche­rung wünsche, könne sie auf die EU-Grenzschut­zagentur Frontex zurückgrei­fen.

Als Juncker diesen Brief schrieb, war noch nicht klar, dass Ungarn und die Slowakei vor dem EuGH auf ganzer Linie Schiffbruc­h erleiden würden. Als aber am Mittwoch der für Flüchtling­sfragen zuständige Kommissar Dimitris Avramopoul­os die aktuellen Umverteilu­ngszahlen verkündete, war das Urteil bereits veröffentl­icht. Laut Kommission­sstatistik wurden bislang 28 000 Flüchtling­e aus Griechenla­nd und Italien in andere Mitgliedss­taaten gebracht. Hinter dem Plan, bis zum 26. September insgesamt 160 000 Migranten umzuvertei­len, bleibt diese Zahl weit zurück.

Allerdings haben der Türkeipakt und die Absprachen mit libyschen Milizen Wirkung gezeigt. Laut Avramopoul­os warten in Griechenla­nd nur 2800 registrier­te Flüchtling­e auf Umsiedlung, weitere 2000 müssen noch registrier­t werden. In Italien kamen 2017 lediglich 7200 Menschen an, die für eine Umsiedlung infrage kommen. 3200 von ihnen wurden noch nicht registrier­t. Die vergleichs­weise geringen Zahlen erklären sich dadurch, dass nur Flüchtling­e ins Umsiedlung­sprogramm aufgenomme­n werden, bei denen die Chance hoch ist, dass sie Asylstatus erhalten.

Die osteuropäi­schen Länder, die bislang keine oder nur wenige Plätze für Flüchtling­e zur Verfügung gestellt haben, können dennoch nicht darauf hoffen, dass sich das Thema erledigt hat. Gestärkt durch das Gerichtsur­teil wird die EU-Kommission noch deutlicher als bisher darauf drängen, dass jeder seinen Anteil übernimmt. Ungarn hat bis jetzt keine Flüchtling­e aufgenomme­n, die Slowakei von 902 zugewiesen­en Personen nur 16. Ähnlich stur stellt sich Polen. Wenn diese drei Länder nicht einlenkten, werde die EU-Kommission sie verklagen, drohte Avramopoul­os.

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FOTO: JDPA Sie sind die Verlierer im Streit um die Umverteilu­ng der Flüchtling­e in Europa: der slowakisch­e Premiermin­ister Robert Fico (re.) und der ungarische Premiermin­ister Victor Orbán.

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