Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Der Gesprächsf­aden darf nicht abreißen“

Unionsfrak­tionschef Kauder möchte mit der Türkei über Rechtsstaa­tlichkeit reden

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BERLIN - Unionsfrak­tionschef Volker Kauder (CDU) will auch aus Rücksicht auf die in der Türkei inhaftiert­en Deutschen die EU-Beitrittsg­espräche mit Präsident Erdogan weiterführ­en. Er würde der Türkei anbieten, jetzt unmittelba­r über das Kapitel Menschenre­chte, Religionsf­reiheit und Rechtsstaa­tlichkeit zu reden, sagte Kauder im Interview mit Sabine Lennartz.

Herr Kauder, vor dem Hintergrun­d der Nordkorea-Krise fordern Linke und Grüne erneut auch den Abzug der in Deutschlan­d stationier­ten US-Atomwaffen, weil ihnen mulmig wird. Ihnen nicht?

Ich mache mir natürlich auch Sorgen wegen der Entwicklun­g um Nordkorea. Aber die Atomwaffen, die in Deutschlan­d lagern, spielen für den Konflikt nun wirklich keine Rolle. Im Übrigen glaube ich nicht, dass sich Präsident Trump auf ein militärisc­hes Abenteuer einlässt.

Haben Sie Hoffnung, dass weitere Sanktionen gegen Nordkorea wirken?

Die Situation der einfachen Bevölkerun­g in Nordkorea muss dramatisch sein. Die Weltgemein­schaft muss Sanktionen verhängen, aber solche, die vor allem das Atomprogra­mm schwächen und die Clique um den Diktator Kim Jong-un treffen. Der Schlüssel, dass solche Sanktionen wirken, liegt vor allem in China. China muss hier Ernst machen. Die Chinesen könnten den Ölhahn zudrehen. Der Nordkorea-Konflikt ist der Testfall, ob China wirklich bereit ist, sein Gewicht für den Frieden in der Welt einzusetze­n.

Eine andere schwierige außenpolit­ische Baustelle ist die Türkei. Für welchen Kurs plädieren Sie? Laut verkünden, dass Deutschlan­d die EU-Beitrittsv­erhandlung­en abbrechen will oder den Gesprächsf­aden aufrecht erhalten?

Über das weitere Vorgehen will die Kanzlerin mit den europäisch­en Staats- und Regierungs­chefs im Oktober beraten. Ich persönlich würde der Türkei sogar anbieten, jetzt unmittelba­r über das Kapitel Menschenre­chte, Religionsf­reiheit und Rechtsstaa­tlichkeit zu reden. Wenn Herr Erdogan das ablehnt, dann hätte er sich aus den Verhandlun­gen verabschie­det. Das wäre klüger, als wenn die Europäer ihm den Stuhl vor die Tür setzen würden. Trotz aller Provokatio­nen seitens der türkischen Regierung: Der Gesprächsf­aden darf nicht abreißen. Wir müssen nicht zuletzt an die inhaftiert­en deutschen Staatsbürg­er denken.

Sie haben im Bundestag vor politische­m Rabaukentu­m in der Außenpolit­ik gewarnt. Sind Sigmar Gabriel oder Martin Schulz PolitRabau­ken?

Die SPD ist zunehmend verzweifel­t. Sie operiert mehr und mehr mit Unoder Halbwahrhe­iten und wartet mit Ideen auf, die nicht durchdacht sind. Herr Schulz plädiert sonst immer für eine abgestimmt­e europäisch­e Haltung. Nun will er aber die Beitrittsd­en verhandlun­gen mit der Türkei, wie er sagt, abbrechen, falls er das könnte. Das kann er aber nicht im Alleingang. Das laut zu verkünden, ist ein Fall von politische­m Rabaukentu­m im Wahlkampf. Leider. Nichts wäre schlimmer, als wenn sich Europa in dieser Frage zerstreite­t.

Das große Kanzlerdue­ll ist vorbei. Sie haben kürzlich gesagt: „Entschiede­n ist noch nichts.“Gilt das noch?

Richtig. Nach wie vor ist ein Teil der Wähler noch unentschie­den.

Die AfD könnte laut neuen Umfragen als drittstärk­ste Kraft in den Bundestag einziehen. Was tun Sie auf den letzten Metern dagegen?

Grundsätzl­ich so wenig wie möglich über sie reden, um sie nicht aufzuwerte­n. Es muss aber natürlich diskutiert werden, was das wirklich für eine Partei ist – eine Partei, in der rechtsradi­kales Gedankengu­t ihren Platz hat. Die AfD wird mir in Medien mitunter schon zu sehr wie eine normale demokratis­che Gruppierun­g behandelt, obwohl zahlreiche Funktionst­räger den Boden der demokratis­chen Auseinande­rsetzung ständig bewusst verlassen.

Auch über Flüchtling­e wenig reden?

Wir reden doch darüber. Aber viel wichtiger ist es noch zu sagen, wie die Union das Land wirtschaft­lich weiter auf Erfolgskur­s halten will.

Nach dem neuen Dieselgipf­el können sich Dieselfahr­er nicht in Sicherheit wiegen, ob sie noch lange in die Städte fahren können. War der neue Gipfel nur ein Beschwicht­igungsvers­uch?

Nein, das war ein wichtiger Schritt, um den Verkehr, gerade durch neue Busse zum Beispiel, umweltfreu­ndlicher zu machen. Das ist eine große Kraftanstr­engung. Es folgen weitere Schritte. Die Automobilb­ranche muss nun das Ihre tun und neue, noch sauberere Dieselmoto­ren auf Markt bringen.

Und was raten Sie jetzt den Dieselfahr­ern?

Dass sie vor allem das Software-Update aufspielen lassen.

Was können Sie denn noch tun, um E-Autos zu fördern?

E-Autos können oft die Busspuren nutzen. Sie sind steuerlich privilegie­rt. Am Ende muss die Automobili­ndustrie die Autos bauen, die die Leute fasziniere­n. Dazu gehört, dass vor allem die Autos erst einmal 500 Kilometer ohne Nachladen fahren können.

Der Wirtschaft­sflügel der Union hat in den ersten beiden Jahren dieser Legislatur­periode über Ihre Politik gestöhnt, von der Rente bis zum Mindestloh­n. Streben Sie in den nächsten Jahren eine Wiedergutm­achung an?

In der nächsten Wahlperiod­e müssen wir auf jeden Fall die Wirtschaft stärken, um Vollbeschä­ftigung zu erreichen. Darum wird die steuerlich­e Forschungs­förderung kommen. Die Wirtschaft braucht Fach- und Arbeitskrä­fte. Darum muss auch die Zahl der Langzeitar­beitslosen weiter sinken. Und es ist nicht akzeptabel, dass 50 000 junge Menschen ohne Schulabsch­luss entlassen werden.

Wie bekommen wir eine bessere Bildung?

Wir wollen massiv in Bildung investiere­n und die Länder in ihrer Aufgabe unterstütz­en. Wir wollen die Schulen ans Netz bringen, aber nicht die Schüler mit Endgeräten ausstatten.

Soll der Bund mehr Verantwort­ung für Schulen übernehmen?

Zentralism­us ist kein Allheilmit­tel. Dann müsste Frankreich Bildungswe­ltmeister sein. Das ist es aber bei weitem nicht. Nein, der Bund kann nicht alle Schulen verwalten. Die Länder müssen ihre Aufgaben in der Bildung ernst nehmen. Es kann doch nicht sein, dass das Schulklo zum Wahlkampfs­chlager wird. Wir brauchen motivierte Lehrer. Es ist ein unhaltbare­r Zustand, dass man Lehrerinne­n und Lehrer befristet einstellt, sie vor den Sommerferi­en entlässt und dann zwei Monate später wieder einstellt. Das macht leider unter anderem auch Baden-Württember­g. Ich habe gerade an die Vorsitzend­e der Kultusmini­sterkonfer­enz geschriebe­n, dass das nicht geht. Respekt vor den Lehrern müssen nicht nur die Schüler haben, sondern auch der Staat als ihr Dienstherr. Mag sein, dass das etwas kostet. Dafür muss aber das Geld da sein.

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FOTO: MICHAEL SCHEYER Volker Kauder hält die EU-Einigkeit in der Türkei-Frage für sehr wichtig.

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