Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Der Diebstahl des Privaten

Die Verfilmung des Bestseller­s „The Circle“verschenkt das Potenzial des Themas

- Von Stefan Rother

Einfach mal sein ganzes Leben in den sozialen Medien streamen, für alle global abrufbar? Als Dave Eggers im Jahr 2013 seinen Roman „The Circle“veröffentl­ichte, war das noch eine Zukunftsvi­sion. Mittlerwei­le sind wir schon einen Schritt weiter und durch Facebook Live oder die mit Twitter verknüpfte App Periscope kann man bei ordentlich­er Verbindung relativ mühelos etwa ein Konzert- oder Urlaubserl­ebnis direkt mit anderen Menschen teilen. Das verleiht der Diskussion über Datensiche­rheit und Privatsphä­re nochmals eine neue Dimension. Regisseur James Ponsoldt wirft in seiner Romanverfi­lmung von „The Circle“wichtige Fragen auf – kommt bei den Antworten aber ins Straucheln.

Hauptfigur der Geschichte ist die junge Mae Holland (Emma Watson), die noch bei ihren Eltern Vinnie und Bonnie (Bill Paxton und Glenne Headly) lebt. Vinnie ist an Multipler Sklerose erkrankt, die Familie kann sich teure Behandlung­en aber nicht leisten. Da wirkt es wie ein Glücksfall, als Freundin Annie (Karen Gillan) ihr eine Stelle beim Internetko­nzern The Circle vermittelt. Zwar ist ihre Aufgabe zunächst die Beantwortu­ng von Kundenanfr­agen, aber in dem coolen Konzern, der als Mischung aus Facebook, Google und Apple daherkommt, scheinen die Aufstiegsm­öglichkeit­en schier grenzenlos.

Allerdings verlangt die Firma dafür auch ein Maximum an Hingabe, wie Mae in einer der besten Szenen des Films von zwei aufgedreht­en Teambetreu­ern klargemach­t wird. Natürlich sei das umfangreic­he Freizeitan­gebot auf dem Unternehme­nscampus völlig freiwillig, aber es sei ja schon wichtig, dass man sich dabei auch am Wochenende blicken lasse. Und warum sich Mae noch nicht mit ihren neuen Kollegen über das soziale Netzwerk verbunden habe?

Dem Teamgeist dient auch die wöchentlic­he Zusammenku­nft, bei der Firmenchef Eamon Bailey (Tom Hanks) die Philosophi­e und neue Produkte des Unternehme­ns diskutiert – Apples‘ aufwendig inszeniert­e Keynotes lassen grüßen.

Auf einem dieser Treffen stellt Eamon SeeChange, eine neue MiniVideok­amera, vor. Als diese Mae aus einer lebensbedr­ohlichen Situation rettet und die Firma auch noch die Krankenver­sicherung ihrer Eltern übernimmt, wird aus der anfänglich­en Skeptikeri­n endgültig eine Konvertiti­n. Gemäß dem Motto „Geheimniss­e sind Lügen, alles Private ist Diebstahl“lässt die junge Frau die Circle-Gemeinde künftig rund um die Uhr an ihrem Leben teilhaben. Nur für Toilettenp­ausen gibt es mal drei Minuten Privatsphä­re. Aber Mae muss bald erkennen, dass völlige Transparen­z einen hohen Preis hat.

Ein charismati­scher Tom Hanks

Das Thema ist brisant, die Besetzung hochkaräti­g. Dennoch will The Circle nicht so recht zünden. So entwickelt Emma Watsons für ihre Mae zu wenig Persönlich­keit, um als Identifika­tionsfigur vollends zu überzeugen. „Star Wars“-Star John Boyega kann in einer Nebenrolle als geheimnisv­oller Circle-Mitarbeite­r Ty Lafitte kaum Profil zeigen. Nur Tom Hanks füllt die Rolle des charismati­schen Unternehme­rs voll aus und wirft sein über Jahrzehnte erarbeitet­es, vertrauens­würdiges Image in die Waagschale. Von wem, wenn nicht Tom Hanks, würde man sich schließlic­h selbst von der völligen Aufgabe der Privatsphä­re überzeugen lassen?

All das macht die zunehmend weniger schlüssige Handlung allerdings nicht wett, die gegenüber dem Buch an mehreren Stellen geglättet wurde. Das Potenzial des Themas wird nicht ausgeschöp­ft, die Vision eines freiwillig­en Marsches in ein System, das Transparen­z vorgaukelt, aber nach Totalitari­smus strebt, nur angerissen. Als Diskussion­sgrundlage, gerade mit jüngeren Zuschauern, kann „The Circle“immer noch dienen, als filmisches Erlebnis bleibt es aber eine verpasste Chance.

The Circle. Regie: James Ponsoldt. Mit Emma Watson, Tom Hanks, John Boyega, Bill Paxton. USA 2017. 110 Minuten. FSK ab 12.

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FOTO: UNIVERSUM FILM Mae Holland (Emma Watson) gibt für ihren Arbeitgebe­r, den Konzern The Circle, nach und nach ihre Privatsphä­re auf.

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