Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Der Horror hinter der Jubelfassa­de

Buch des Autors Bandi ist ein erschütter­ndes Zeugnis der Unterdrück­ung in Nordkorea

- Von Jürgen Berger

Das koreanisch­e „Bandi“bedeutet Leuchtkäfe­r und ist das Pseudonym eines nordkorean­ischen Autors, dessen Erzählband alleine deshalb ein Sensation ist, weil er seinen Weg heraus aus einem völlig abgeschott­eten Land gefunden hat. Der Autor sagt uns mit diesem Buch: Seht her, ich sende Leuchtzeic­hen aus einem Land der Finsternis und erzähle euch etwas über eine unbekannte Welt, die wegen der aggressive­n Atompoliti­k unseres Machthaber­s Kim Jong-un weltweit für Angst und Schrecken sorgt.

Zwischen Nord- und Südkorea verläuft die gefährlich­ste Grenze der Welt. Auf der einen Seite pulsiert ein marktwirts­chaftliche­r Kapitalism­us der technologi­schen High-End-Klasse, auf der anderen tönt ein Steinzeitk­ommunismus, der der Bevölkerun­g Armut und Hunger beschert.

Bandis Erzählunge­n gewähren nun erste literarisc­he Einblicke in den Alltag der kleinen Leute, die in einer Diktatur leben. Um das staatsprop­agandistis­che Bild Nordkoreas, den Führerkult und die bizarren Volksaufmä­rsche geht es dem Autor nicht. Sie tauchen am Rande auf. Bandi lüftet vielmehr den Vorhang einer Kulisse, hinter der eine in dritter Generation von der Familie Kim regierte Einöde sichtbar wird. Die Erzählunge­n kreisen immer wieder um die seelischen Verwüstung­en, die ein Regime hinterläss­t, das nur mittels eines martialisc­hen Spitzelund Strafsyste­ms funktionie­rt. Wer in Ungnade fällt oder irgendeine­s Vergehens verdächtig­t wird landet im Gefängnis oder in einem der berüchtigt­en Straflager.

Manuskript herausgesc­hmuggelt

Dieses Schicksal würde auch den Autor von „Denunziati­on“ereilen, wüsste das Regime, wer er ist. Es stellt sich also schon die Frage, warum er sich mit der Veröffentl­ichung seines ersten Erzählband­es der Gefahr aussetzt, entdeckt zu werden. Das literarisc­he „Glühwürmch­en“, so Do Hee-Yoon, Vorsitzend­er einer südkoreani­schen Hilfsorgan­isation im Nachwort, habe in der großen Hungersnot des Jahres 1994 viele Angehörige verloren. Zu dieser Zeit habe er bereits geschriebe­n, das einschneid­ende Erlebnis des Todes ihm Nahestehen­der habe aus ihm dann endgültig einen schreibend­en Dissidente­n gemacht.

Thomas Reichart, Leiter des ZDFStudios in Peking, erklärt im Vorwort den weiteren Werdegang. Erst vor Kurzem sei es einer Verwandten Bandis gelungen, zwei Manuskript­e aus Nordkorea zu schmuggeln: eines mit Gedichten, das andere mit den nun vorliegend­en Erzählunge­n. In den Westen fanden sie ihren Weg über die südkoreani­sche Hilfsorgan­isation und eine internatio­nal tätige Literatura­gentin.

Es dauerte also rund zwanzig Jahre von der Niederschr­ift bis zur Erstveröff­entlichung in Südkorea. Seit kurzem können nun auch deutschspr­achige Leser nachvollzi­ehen, mit welcher Dringlichk­eit Bandi von Menschen erzählt, die heillos in das nordkorean­ische System verstrickt sind, oder nur noch an Flucht denken und die höchst gefährlich­e NordPassag­e über einen Grenzfluss nach China wagen.

In einer Erzählung berichtet ein Mann im Ton eines Abschiedsb­riefes, wie es dazu kam, dass er seiner Frau immer mehr misstraute. Sie konnte scheinbar keine Kinder gebären und verhielt sich aus seiner Sicht verdächtig. Was er nicht wusste: Der Parteikade­r, der sich Zutritt zu seinem Haus verschafft hatte, wollte, dass sie sich ihm fügt. Der Lohn wäre gewesen, dass der Bonze etwas für einen Neffen getan hätte, der in der Schule ausgegrenz­t und am Weiterkomm­en gehindert wurde, nur weil ein anderer Verwandter den lokalen Parteikade­rn ein Dorn im Auge war. Seine Frau aber widersetzt­e sich dem zudringlic­hen Funktionär und die Verhütungs­mittel im Schrank nutzte sie, weil sie einem künftigen Kind auf keinen Fall ein Land wie Nordkorea zumuten wollte. Dem Mann bleibt nur die Scham und der Versuch einer Flucht aus dem Heimatland.

Mit „Die Flucht“dringt Bandi weit in die Seelenlage­n von Menschen vor, die in einem System der Repression leben und sich abgrundtie­f schämen, wenn sie bemerken, dass das Unterdrück­ungssystem gesiegt hat. Da ist nicht nur die äußere Zerrüttung des Landes, sondern die vielen durch Misstrauen zerrüttete­n Familien und diese Scham, die in jeder der Erzählunge­n thematisie­rt wird. In „So nah und doch so fern“zum Beispiel will ein gewisser Myeong-Cheol die Strecke zwischen seinem Wohnort und dem der sterbenden Mutter überwinden, hat aber keine der in Nordkorea auch für Inlandsrei­sen notwendige­n Genehmigun­gen. Erst nachdem er sich mit einem Freund sinnlos betrunken hat, traut er sich als blinder Passagier in einen Zug.

Er schafft es tatsächlic­h und kommt bei der Mutter an, die ist aber bereits tot. Was bleibt, ist ein Gefühl der Demütigung und der Scham, hilflos ausgeliefe­rt zu sein „wie Schweine, die man zur Schlachtba­nk führt“. Für den ersten Literatur-Dissidente­n Nordkoreas war die Zeit der Demütigung und des Schweigens wohl abgelaufen, als ihm klar wurde: Das Regime, dem ich mich unterwerfe­n muss, steckt Milliarden ins Militär und den Bau atomarer Sprengköpf­e, die Menschen im Lande aber sterben den Hungertod.

Bandi. „Denunziati­on. Erzählunge­n aus Nordkorea“. Aus dem Koreanisch­en von Ki-Hyang Lee. Mit einem Vorwort von Thomas Reichart. Piper Verlag, München, 224 Seiten, 20,00 Euro

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FOTO: STR Der Diktator lässt sich von Getreuen feiern: Kim Jong-un paradiert vor Mitglieder­n der Jugendorga­nisation der Koreanisch­en Volksarmee.

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