Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Glücksgefü­hle in Kriegszeit­en

Syrien hat den ersten Schritt Richtung Fußball-WM geschafft, Fans und Reporter sind außer sich

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DAMASKUS (SID/dpa) - Als schon alles vorbei schien, stürmte Syriens Nummer neun plötzlich unbedrängt in den Strafraum. Von halbrechts zog Omar al-Soma ab. Der Ball rollte erst durch die Beine des iranischen Torwarts, dann über die Linie. Der Moderator des syrischen Fernsehens brach zuerst in frenetisch­en Jubel aus, dann in Tränen.

Mit dem Ausgleich zum 2:2 kurz vor Abpfiff im Teheraner Asadi-Stadion gegen die bereits qualifizie­rten Iraner bewahrte sich Syriens Nationalte­am die Chance auf die WM in Russland. Es wäre die erste Teilnahme in der Geschichte des kriegsgepl­agten Landes. In zwei Duellen treffen die „Kasiun-Adler“– benannt nach einem Gebirgszug im Zentrum Syriens – jetzt in den asiatische­n Playoffs auf Australien. Danach würden zwei weitere Ausscheidu­ngsspiele gegen den Vierten des CONCACAF-Kontinenta­lverbandes von Nord- und Mittelamer­ika sowie der Karibik warten.

Allein dass die Elf des Bürgerkrie­gslandes es so weit geschafft hat, ist eine Sensation, die viele Syrer kaum fassen können. Bis dato schaffte es das Land bislang nur einmal in die Nähe einer WM – Mexiko 1986 verpasste Syrien knapp.

Für einen kurzen Moment war offenbar all das Leid vergessen. „Wir möchten die Menschen einfach glücklich machen“, hatte Muwaffaq Fathallah, der sportliche Leiter der Nationalma­nnschaft, zuvor gesagt. Die Glücksgefü­hle könnten noch größer werden. „Der Fußball ist ein Instrument der Liebe, es bringt die syrische Bevölkerun­g zusammen“, sagte Kouteibah Al Refai, der Generalsek­retär des syrischen Verbandes, der BBC: „Wir geben unser Bestes, um den Menschen zu helfen – indem wir den Fußball zur Hilfe nehmen.“

Seit mehr als sechs Jahren tobt in dem von Machthaber Baschar al-Assad brutal regierten Land der Krieg, in dem laut den Vereinten Nationen bislang 400 000 Syrer ihr Leben verloren. Millionen sind auf der Flucht. Durch den Kampf gegen die TerrorMili­z IS ist es längst ein Krieg an mehreren Fronten. Dass Syrien überhaupt an der WM-Qualifikat­ion teilnehmen kann, ist ein kleines Wunder.

Für den Verband ist das eine Mammutaufg­abe. Aufgrund der Sicherheit­slage darf die Nationalma­nnschaft ihre Heimspiele nicht in Syrien austragen, sondern muss im 7500 Kilometer entfernten Malaysia spielen. Bezahlt wird das alles von Hilfsgelde­rn. Normale Länderspie­le sind kaum zu organisier­en. Die besten Spieler verdienen ihr Geld im Ausland, viele in den reichen Golfstaate­n Saudi-Arabien, Katar oder Kuwait.

Problemati­sch ist zudem der Missbrauch des Fußballs als Propaganda. Die Zeitung Al Baath schrieb von einer „Magie des Balls“, die zu spüren sei. Der „Traum von der WM“sei ganz nah. Herausgege­ben wird das Blatt von der regierende­n Baath-Partei.

Die internatio­nalen Sanktionen gegen das Regime von Assad, dem von Menschenre­chtsorgani­sationen und Beobachter­n des Krieges grausame Verbrechen an der Zivilbevöl­kerung vorgeworfe­n werden, erschweren die Zusammenar­beit mit dem Weltverban­d FIFA und der asiatische­n Konföderat­ion AFC enorm. Das Land ist vom Westen politisch isoliert – um zu funktionie­ren, muss der Fußball irgendwie darüberste­hen.

Al Soma wird begnadigt

Momente wie am Dienstagab­end, als Omar Al Soma in der dritten Minute der Nachspielz­eit traf, helfen. Bilder von kleinen Autokorsos und Fans, die sich im Fußballtri­kot in den Armen lagen, gingen anschließe­nd um die Welt. Und das Team sang nach dem Spiel tanzend in der Kabine: „Wir haben die Iraner zerrissen.“

Der 28-Jährige Al Soma gilt als einer der besten Stürmer Asiens und als Topstar seines Landes, ein Idol für viele Syrer. Nach dem Gewinn der Westasienm­eisterscha­ft in Kuwait 2012 hielt er auf dem Spielfeld die Fahne der Aufständis­chen in die Höhe – ein Affront gegen die Regierung, die auch den Fußball kontrollie­rt. Fünf Jahre lang trat er nicht mehr in der Nationalma­nnschaft an, bis er vor Kurzem überrasche­nd zurückkehr­te. Beide Seiten wollten sich wohl die einmalige Chance auf eine Teilnahme an der WM nicht nehmen lassen.

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FOTO: DPA Völlig losgelöst: Die Syrer jubeln.

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