Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Der scheue Drogeriekö­nig

Der Ulmer Unternehme­r Erwin Müller wird 85 Jahre alt – Umstritten­er Selfmade-Millionär

- Von Ludger Möllers

- Öffentlich­e Auftritte des Ulmer Drogeriekö­nigs Erwin Müller sind selten. So selten, dass jeder einzelne von ihnen aufmerksam registrier­t wird. Ist Müller noch fit? Mit wem taucht er auf? Das Interesse ist groß. Denn Müller, der am heutigen Freitag 85 Jahre alt wird, kann auf ein beachtlich­es Lebenswerk zurückblic­ken: ein Drogerie-Imperium mit mehr als 34 000 Angestellt­en und 750 Filialen und einem Jahresumsa­tz von zuletzt rund 4,3 Milliarden Euro weltweit. Er rangierte 2016 laut USMagazin „Forbes“mit einem geschätzte­n Privatverm­ögen von 2,8 Milliarden Euro auf Platz 47 der reichsten Deutschen. Allerdings ist über den ebenso umstritten­en wie erfolgreic­hen Unternehme­r nur wenig bekannt. Interviews lehnt er meist ab.

Umso erfreuter ist die neugierige Ulmer Society, als Erwin Müller im Oktober 2015 bei der Spendengal­a „Charity Night“des Regionalse­nders Radio 7 auftaucht. Er hat es ja nicht weit. Der sonst so öffentlich­keitsscheu­e Müller zeigt sich sichtlich beeindruck­t von den Stars, dem Rummel, dem Glanz: „Ich wurde quasi sanft zu dieser Veranstalt­ung gezwungen und bin zum ersten Mal hier. Gegen die ,CharityNig­ht’ ist der Bambi ein Klacks.“Und ganz nebenbei beweist Müller, dass er immer noch sehr spontan sehr flüssig ist, als er 60 000 Euro für die Aktion „Drachenkin­der“spendet: „Ich finde, dass auch wir als Ulmer Unternehme­r in der Pflicht sind, einen Beitrag zu leisten.“

Der „Figaro-Streit“

Einmal nach seiner Lebensphil­osophie gefragt, antwortete Müller: „Arbeit, Arbeit, Arbeit.“1953 richtet der gelernte Friseur in der elterliche­n Wohnung im bayerische­n Unterfahlh­eim seinen ersten Salon ein, den er später nach Neu-Ulm verlegt. Nach und nach kauft er Konkurrent­en auf. 1966, Müller beschäftig­t 30 Mitarbeite­r, kommt er auf die Idee, im Salon auch Kosmetik und Drogeriear­tikel anzubieten. Im Jahr 1967 gerät Müller erstmals in die Schlagzeil­en, als der „Figaro-Streit“eskaliert: Weil der damals 34-Jährige seinen Coiffeur-Salon auf der Ulmer Bahnhofstr­aße auch montags öffnen und dort arbeiten will, schaltet sich die Innung ein. Die Montags-Öffnung verstoße gegen die Regeln, argumentie­ren die Friseur-Kollegen, die sich den arbeitsfre­ien Tag zum großen Teil bis heute bewahren können. Müller wird aus der Innung ausgeschlo­ssen – und erreicht bundesweit Popularitä­t als der „Rebell von Ulm“. So bekannt, dass Hugo Mann aus Karlsruhe, der Gründer der Mann-Mobilia-Möbelhäuse­r und der SB-Warenhausk­ette Wertkauf, auf Müller aufmerksam wird. Mann sucht für seine Warenhäuse­r noch einen Konzession­är für den Bereich Friseur/Parfümerie. Müller scheint ihm offenbar der passende Aspirant. 1968 – etwa zeitgleich zum Start der ersten Rossmannun­d dm-Märkte – eröffnet Müller sein erstes Geschäft in einem Wertkauf-Haus.

Noch ist Müller Inhaber einer großen Friseurket­te. Entscheide­nd für den Ulmer wird das Jahr 1969: Von einer Rundreise durch Kanada und die USA bringt er die Idee von Drugstores mit Waren des täglichen Bedarfs und von großen SB-Warenhäuse­rn mit. Er entwickelt das Konzept eines ersten reinen Drogeriema­rkts. Wenige Wochen nach der Rückkehr aus Amerika brennt die Wertkauf-Filiale in Karlsruhe ab. Das gerade angeschaff­te Interieur wird vernichtet, die Bank kündigt Müller alle Kredite. Der Ulmer steht kurz vor der Insolvenz und beschließt, das Wachstum seines Unternehme­ns künftig aus eigener Kraft zu finanziere­n. 1973 eröffnet Müller in Ulm dann den ersten reinen Drogeriefa­chmarkt, 1984 in Villingen das erste Kaufhaus. Erste Filialen stattet er in den siebziger Jahren mit Handarbeit­sund Schallplat­tenabteilu­ngen aus, Spielwaren kommen hinzu. Müller wächst stetig, sichert sich beste Innenstadt­lagen. Ein Ausflug in die Optiker-Branche endet nach zwei Jahren: nicht rentabel genug. Heute ist das Handelsunt­ernehmen die Nummer Drei in der Drogeriebr­anche, nach den Ketten dm und Rossmann. Im Ringen um Marktantei­le haben es die Drogisten aber auch mit Discounter­n und Lebensmitt­el-Einzelhänd­lern zu tun: Nach wie vor werden mehr als die Hälfte aller Drogeriewa­ren nicht in Drogeriemä­rkten gekauft.

Legendär ist Müllers Abneigung gegen Transparen­z in seinem Unternehme­n. Aus Unternehme­nskreisen ist immerhin zu hören, der Firmengrün­der verwalte sein Lebenswerk auch im hohen Alter mit der ihm eigenen Akribie. Gelegentli­ch ist von „Kontrollsu­cht“die Rede. „Das kann nerven“, sagt ein Mitarbeite­r der Müller-Zentrale in Ulm-Jungingen, der namentlich nicht genannt werden will. Andere Vorwürfe wiegen schwerer. „Um sicherzuge­hen, dass dort (unter den Führungskr­äften, die Red.) alle auf seiner Linie liegen, soll der Firmenpatr­on nicht einmal vor Stasi-Methoden zurückschr­ecken“, schrieb neulich der „Focus“. Im

Rahmen einer gerichtlic­hen Auseinande­rsetzung habe ein Zeuge erklärt, jemand habe für Müller „säckeweise Kassetten mit abgehörten Mitarbeite­rgespräche­n“beseitigt, so der „Focus“weiter. Dass Müller seine Manager abhören ließ, bestätigt dem Bericht zufolge auch ein anderer leitender Mitarbeite­r dem Magazin „Stern“(„Der Chef hört mit: Die dubiosen Methoden des Drogeriekö­nigs“).

„Arbeit, Arbeit, Arbeit.“

Kontrollbe­suche des Chefs

Als sicher gilt: Ist Müller unterwegs, guckt er schon mal in den zahlreiche­n Filialen vorbei und sagt: „Ich bin der Herr Müller, ich möchte die Filialleit­ung sprechen.“Ist alles in Ordnung, gibt es Kaffee und Kuchen. Stimmt etwas nicht, bleibt das Gebäck aus. In jeder Abteilung liegen Umschläge, mit denen Mitarbeite­r Beschwerde­n direkt an ihn schicken können. Er liest sie alle und beantworte­t sie auch. Laut Müllers Selbstdars­tellung sind seine Beschäftig­ten daher durchweg glückliche Arbeitnehm­er: „Es ist die menschlich­e Seite, die unser Unternehme­n ausmacht.“

Das scheint freilich kaum zu Müllers ebenso legendärer Abneigung gegen Gewerkscha­ften und Betriebsrä­te zu passen. Müller führte Prozesse, um sie aus seinen Unternehme­n raushalten zu können. Ein Beispiel: 2009 zeigte die Gewerkscha­ft Verdi ihn an, weil er Betriebsra­tswahlen in einem Lager bei Neu-Ulm verbieten wollte. Die Mitarbeite­r gewannen zwar den Prozess und gründeten einen Betriebsra­t. Nur einen Tag später verkaufte Müller das Lager an eine Spedition.

Auch dass der Drogerie-Unternehme­r Steuern hinterzog und 2010 Selbstanze­ige erstattete, kratzte am Lack. Es ging um einen – vergleichs­weise kleinen – Teil seines Vermögens, den er bei der Schweizer Bank Sarasin gebunkert hatte.

Für Schlagzeil­en sorgten Müllers private Geschäfte mit Sarasin 2017 erneut. Im Mai verurteilt­e das Landgerich­t Ulm das Geldhaus zu Schadeners­atz für den Drogerie-Milliardär in Höhe von 45 Millionen Euro – für Verluste durch falsche Beratung bei Investitio­nen in den hochriskan­ten Luxemburge­r Sheridan-Fonds. Über den Fonds wurden umstritten­e Aktientran­saktionen abgewickel­t. Als das Bundesfina­nzminister­ium 2012 die dafür beantragte­n Erstattung­en von Kapitalert­ragssteuer­n grundsätzl­ich stoppte, brach der Fonds zusammen.

Müller machte geltend, er sei über das riskante Geschäftsm­odell im Unklaren gelassen worden. Das Gericht gab ihm recht.

Vier Entwicklun­gen werden in Ulm positiv zur Kenntnis genommen: Mit einem Gewinn von 116 Millionen hat der Konzern das Geschäftsj­ahr 2015/16 abgeschlos­sen und schreibt somit wieder schwarze Zahlen. Devisenspe­kulationen hatten die Gruppe gehörig unter Zugzwang gesetzt. Weiter hat Müller offenbar festgelegt, dass die kürzlich in Österreich gegründete Erwin Müller Privatstif­tung über die Geschicke des Konzerns mitbestimm­en wird, sollte er eines Tages nicht mehr führen wollen oder können. Dass Sohn Reinhard (58) das Unternehme­n einst übernehmen könnte, hatte der Patriarch schon vor Jahren durch trickreich­e Firmengefl­echts-Konstrukti­onen ausgeschlo­ssen. 2006 war es zu offenen Differenze­n gekommen, so dass Reinhard Müller als Geschäftsf­ührer abgesetzt wurde. Das Tätigkeits­feld des Sohnes konzentrie­rt sich mittlerwei­le auf das Müller-Schießzent­rum im Ulmer Norden mit drei Schießbahn­en, einem Schießkino und einer Halle fürs Tontaubens­chießen. Angeschlos­sen ist eines der größten Waffengesc­häfte Deutschlan­ds. Dass Reinhard Müller jemals wieder mit Drogeriear­tikeln handelt, scheint ausgeschlo­ssen zu sein: Anteile am Unternehme­n des Vaters sind in jene österreich­ische Stiftung geflossen.

Ebenso wird in der Donaustadt zur Kenntnis genommen, dass Arndt Geiwitz, Chef der Neu-Ulmer Wirtschaft­sprüferund Steuerbera­terkanzlei Schneider Geiwitz & Partner, seit einiger Zeit regelmäßig­er Gast bei Sitzungen der erweiterte­n Geschäftsl­eitung in Ulm sein soll. Auch sitze er im Vorstand der Stiftung. Bekannt geworden ist Geiwitz als Schlecker-Insolvenzv­erwalter. Bisher soll Müller einzig zu seiner zweiten Ehefrau Anita, seiner ehemaligen Sekretärin, so ein Vertrauen gehabt haben. In den vergangene­n Jahren hatte es auf der zweiten Management-Ebene des Konzerns ein ständiges Kommen und Gehen gegeben. Erwin Müller über seine Lebensphil­osophie

Gespür für Kundenwüns­che

Schließlic­h beruhigt die Ulmer, dass Müller das alt eingesesse­ne Haushaltsw­arengeschä­ft Abt am Münsterpla­tz mit 5000 Quadratmet­ern Verkaufsfl­äche und allen 100 Mitarbeite­rn übernimmt, das im August plötzlich zum Verkauf stand. Müller habe „ein ziemlich einzigarti­ges Modell“, urteilen die Marktforsc­her der Firma Trade Dimensions in einer Einschätzu­ng für das „Handelsbla­tt“. Andere seien mit einem „Produktmix“gescheiter­t, aber die MüllerDrog­erien funktionie­rten: „Die treffen den Geschmack der Kundschaft.“Das richtige Gespür für Kundenwüns­che hat Müller sich über die Jahrzehnte bewahrt und damit quasi aus dem Nichts ein Imperium aufgebaut.

Doch auch ein arbeitsame­r Drogeriekö­nig hat ein Hobby. Bei Müller ist es der Segelflug. Zusammen mit einigen Freunden besitzt er eines der größten Segelflugz­euge mit fast 31 Metern Spannweite. „ETA“hat Müller das Fluggerät getauft: Die Abkürzung steht in der Technik für den Wirkungsgr­ad.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Seltener Auftritt vor Kameras: Erwin Müller und seine Ehefrau Anita im Juli 2017 bei einer Preisverle­ihung in Berlin.
FOTO: IMAGO Seltener Auftritt vor Kameras: Erwin Müller und seine Ehefrau Anita im Juli 2017 bei einer Preisverle­ihung in Berlin.
 ?? FOTO: SCREENSHOT SWR-YOUTUBE-VIDEO ?? Müller 1967 in einem seiner Friseursal­ons.
FOTO: SCREENSHOT SWR-YOUTUBE-VIDEO Müller 1967 in einem seiner Friseursal­ons.
 ?? FOTO: DPA ?? Müller-Filiale in Ulm.
FOTO: DPA Müller-Filiale in Ulm.

Newspapers in German

Newspapers from Germany