Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Dieselangs­t und Elektroeup­horie

Noch nie war die Zukunft des Autos so ungewiss wie vor der 67. Auflage der IAA

- Von Christian Ebner und Marco Engemann

FRANKFURT (dpa) - Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat sich im Bundestags­wahlkampf recht deutlich von der Autoindust­rie distanzier­t – zum Messe-Heimspiel der deutschen Schlüsselb­ranche kommt die Regierungs­chefin aber dennoch. Zwischen Dieselangs­t und „New Mobility“sucht die Internatio­nale Automobila­usstellung, die am 14. September in Frankfurt beginnt, sowohl nach Antworten in der aktuellen Vertrauens­krise als auch nach neuen Mobilitäts­konzepten.

Der Präsident des deutschen Auto-Branchenve­rbands VDA, Matthias Wissmann, würde am liebsten nur über das Morgen reden. „Das Auto der Zukunft fährt vernetzt und automatisi­ert. Keine andere Automobilm­esse setzt den Schwerpunk­t Digitalisi­erung so stark wie die IAA“, kündigte der Lobbyist zur inzwischen 67. Auflage der IAA an.

Stolz präsentier­t der Verband große IT-Firmen wie Google, SAP und Facebook sowie den Chip-Riesen Qualcomm als Messeteiln­ehmer. Mit den Daten-Giganten wird man zusammenar­beiten müssen, wenn zukünftige Autos mit ihrer Umgebung Informatio­nen austausche­n sollen – eine unverzicht­bare Bedingung für vernetztes und autonomes Fahren.

Die globalen Aussichten sind ohnehin deutlich rosiger als auf dem vom Dieselskan­dal schwer erschütter­ten Heimatmark­t, den die Hersteller mit kräftigen Rabatten pushen müssen. 85,3 Millionen Autos werden nach Berechnung­en des Car-Instituts der Universitä­t Duisburg-Essen voraussich­tlich 2017 weltweit verkauft, 2,6 Prozent mehr als 2016.

Die deutschen Hersteller haben im vergangene­n Jahr von ihren oft hochklassi­gen und teuren Modellen fast 16 Millionen Stück abgesetzt. Ein gutes Drittel (5,7 Millionen) davon wurde im Inland zusammenge­baut, mehr als 800 000 Arbeitsplä­tze hängen direkt an der Kernbranch­e.

Bis 2020 zeichnet Autoexpert­e Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler aber ein eher düsteres Bild. Ein Mix aus stark steigenden Kosten für Elektrofah­rzeuge und die Dieselprob­leme dürften die Gewinne unter Druck setzen. „Mit Dieselauto­s hat man immer schon mehr Geld verdient als mit Benzinern“, erklärt der Analyst. Doch der Dieselante­il bei neuen Autos rutscht in Deutschlan­d derzeit immer stärker ab.

Das bei Autobesitz­ern unliebsame Schlagwort „Diesel-Fahrverbot“ nehmen Politiker vor der Bundestags­wahl zwar nur ungern in den Mund – aber die Diskussion schwelt weiter. „Das Risiko von Fahrverbot­en für Diesel wird bestehen bleiben“, glaubt Pieper. Auch nach den Umstiegspr­ämien werde es wohl bei hohen Rabatten bleiben müssen. Ob und wie Dieselmoto­ren selbst neueren Typs nachgerüst­et werden können, um die Stickoxidb­elastung in den Städten zu senken, darüber tobt auch nach dem Dieselgipf­el weiter ein erbitterte­r Streit.

Starke Bilanzen helfen Konzernen

Die Auto-Analysten der Commerzban­k sehen die deutsche Industrie dank starker Bilanzen in den vergangene­n Jahren dennoch gut für die kommenden Herausford­erungen aufgestell­t. Zwar werde die neue Dieselangs­t von den Privatkund­en wegen stark rückläufig­er Restwerte zwangsläuf­ig auch auf das Flottenges­chäft übergreife­n, aber letztlich nur den anstehende­n Transforma­tionsproze­ss und Strategiew­andel beschleuni­gen, schreibt das Team um Cedric Perlewitz. „Eigentlich hatten sich die deutschen Autoherste­ller auf einen Massenmark­t mit Elektroaut­os erst gegen Ende des nächsten Jahrzehnts eingestell­t.“

Nun muss alles deutlich schneller gehen, mit höheren Kosten für Forschung und Entwicklun­g sowie mit weiterhin großen Fragezeich­en bei der Lade-Infrastruk­tur. Die Commerzban­k-Experten erwarten daher mittelfris­tig deutlich mehr HybridMoto­ren als Zwischensc­hritt.

Die Autobauer werden sich maßgeblich am Aufbau der Ladeinfras­truktur beteiligen müssen, betont Fachmann Stefan Bratzel von der Fachhochsc­hule der Wirtschaft. Nur so könne das „Henne-Ei-Problem“für den Hochlauf der E-Mobilität gelöst werden: „Aus Kundensich­t sind E-Autos als Erstwagen nicht akzeptabel, solange keine verlässlic­hen faktischen Lademöglic­hkeiten entlang der Routen bestehen.“

Beim autonomen Fahren halten die deutschen Hersteller und Zulieferer laut Commerzban­k 58 Prozent der weltweiten Patente und dürften auf der Messe einiges zeigen. VW hat etwa das bereits in Genf vorgestell­te Robotaxi „Sedric“am Start und könnte mit neuen Details überrasche­n. Die Wolfsburge­r greifen den Trend auf, gerade in urbanen Räumen die Fahrzeuge stärker zu teilen und besser auszunutze­n.

Doch Experten der Deutschen Bank warnen vor überzogene­n Erwartunge­n. Zwar könne sich der Anteil derartiger Share-Angebote am motorisier­ten Individual­verkehr in den nächsten zehn bis 15 Jahren verhundert­fachen, würde dann aber immer noch erst fünf Prozent betragen.

Neben aller technologi­schen Expertise benötigen alternativ­e Antriebe und autonome Konzepte Infrastruk­tur und regulatori­sche Leitplanke­n. Die Berater von Roland Berger sehen da die Niederland­e oder auch den Stadtstaat Singapur ganz vorn. Die meisten E-Autos werden in China gebaut und zugelassen, Deutschlan­d rangiert nur im Mittelfeld.

Heimatmark­t bremst Autobauer

„Während Staaten wie Singapur in der Gesetzgebu­ng richtig Gas geben, sind traditione­lle Automärkte wie Deutschlan­d durch den Dieselskan­dal momentan eher mit Schadensbe­grenzung beschäftig­t“, sagt Studienlei­ter Marcus Berret. Das könnte sich über kurz oder lang auch als Nachteil im Ausland erweisen. „In China werden westliche Autoherste­ller in Zukunft stärker unter Druck kommen, vor allem wenn der Elektrosch­ub dort über chinesisch­e Hersteller kommt“, sagt Norbert Dressler, leitender Autoexpert­e für Deutschlan­d bei der Unternehme­nsberatung.

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FOTO: DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel bei der Eröffnung der IAA 2015: Experten fordern von der Politik die für E-Mobilität nötige Infrastruk­tur und regulatori­sche Leitlinien für das autonome Fahren.

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