Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Gewerkschaftswettern
IG Metall fordert eine echte Debatte über die Zukunft der Arbeit und rüstet sich für die Tarifrunde 2018
STUTTGART - Im Ton kam sie ruhig und zurückhaltend daher, im Kern aber war sie voller Wut und Leidenschaft, die Anklage, die der Chef von Deutschlands größter Einzelgewerkschaft an die Spitzenkandidaten der Parteien richtete. „Die Themen, die im Moment alle abhängig Beschäftigten bewegen, nämlich die Frage, wie sich für jeden einzelnen die Transformation der Arbeitswelt gestaltet, werden einfach ignoriert“, sagte Jörg Hofmann, Vorsitzender der IG Metall, beim Wirtschaftspresseclub am Mittwochabend in Stuttgart. „Und diese Themen zu ignorieren, heißt, die Menschen mit ihren Ängsten alleinzulasssen und den Leuten das Feld zu überlassen, die mit einfachen Antworten punkten wollen.“
Vor allem kritisierte der Gewerkschafter, dass noch immer keine echte Debatte über die Mobilitäts- und Energiewende stattfindet. Beide Entwicklungen, die hin zu erneuerbaren Energien und zu alternativen Antrieben, können nur zusammen gedacht werden. „Oder wollen wir es wie die Chinesen machen, die in Peking und in den großen Städten auf Elektromobilität setzen, die Akkus aber mit Strom aus Braunkohlekraftwerken aufladen?“, fragte Hofmann vor Journalisten aus Stuttgart und BadenWürttemberg. Einfach nur erschreckend nannte der im württembergischen Remstal aufgewachsene Hofmann die Tatsache, dass die Politiker im Wahlkampf andauernd über Elektromobilität sprechen, ohne dass die Investitionskosten für die regionalen Stromverteilnetze nur im Ansatz einmal überschlagen worden sind. „Da gibt es 0,0 Planung für die Investitionen“, wetterte Hofmann. „Wir brauchen aber, wenn es soweit ist, überall Schnellladestationen, weil eben keiner an der Autobahn drei Stunden warten will, bis seine Batterie wieder aufgeladen ist.“An dieser Stelle sei der Staat gefordert, den Ausbau der nötigen Infrastruktur anzuregen, der Markt allein mache das nicht. „Vor allem aber müssen wir bei unseren langen Vorlaufzeiten für Infrastrukturprojekte jetzt mit einer ernsthaften Debatte darüber beginnen“, erläuterte der 61-Jährige.
Eine viel höhere Geschwindigkeit forderte Hofmann aber nicht nur im Hinblick auf Verbraucher und Infrastruktur in Deutschland, sondern vor allem auch für die deutsche Automobilindustrie. „Wir müssen Geschwindigkeit aufnehmen, um bei den Elektroautos Leitmarkt zu werden. Es hilft nichts, wenn wir andauernd den Endkampf um den letzten Diesel führen“, sagte der Gewerkschafter. Schließlich gehen 80 Prozent der deutschen Automobilproduktion ins Ausland. „Und wenn wir nicht Vorreiter werden, werden wir abgekoppelt.“
Mit einem breitem Grinsen quittierte Hofmann die Fragen nach der Forderung der IG Metall für die kommende Tarifrunde – insbesondere die, ob er die Sorgen der Arbeitgeber wegen möglicherweise überzogenen Wünschen der Gewerkschaft bei der Arbeitszeit verstehen kann. „Immerhin zeigen die Sorgen, dass die IG Metall immer noch als schlagkräftige Truppe angesehen wird“, sagte Hofmann. „Klar ist, wir wollen Arbeitszeiten, die zu unserem Leben passen.“Über die genauen Ziele hat die Gewerkschaft noch nicht entschieden: Die Tarifkommission der IG Metall eröffnet nächste Woche offiziell die Forderungsdebatte.