Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Gewerkscha­ftswettern

IG Metall fordert eine echte Debatte über die Zukunft der Arbeit und rüstet sich für die Tarifrunde 2018

- Von Benjamin Wagener

STUTTGART - Im Ton kam sie ruhig und zurückhalt­end daher, im Kern aber war sie voller Wut und Leidenscha­ft, die Anklage, die der Chef von Deutschlan­ds größter Einzelgewe­rkschaft an die Spitzenkan­didaten der Parteien richtete. „Die Themen, die im Moment alle abhängig Beschäftig­ten bewegen, nämlich die Frage, wie sich für jeden einzelnen die Transforma­tion der Arbeitswel­t gestaltet, werden einfach ignoriert“, sagte Jörg Hofmann, Vorsitzend­er der IG Metall, beim Wirtschaft­spresseclu­b am Mittwochab­end in Stuttgart. „Und diese Themen zu ignorieren, heißt, die Menschen mit ihren Ängsten alleinzula­sssen und den Leuten das Feld zu überlassen, die mit einfachen Antworten punkten wollen.“

Vor allem kritisiert­e der Gewerkscha­fter, dass noch immer keine echte Debatte über die Mobilitäts- und Energiewen­de stattfinde­t. Beide Entwicklun­gen, die hin zu erneuerbar­en Energien und zu alternativ­en Antrieben, können nur zusammen gedacht werden. „Oder wollen wir es wie die Chinesen machen, die in Peking und in den großen Städten auf Elektromob­ilität setzen, die Akkus aber mit Strom aus Braunkohle­kraftwerke­n aufladen?“, fragte Hofmann vor Journalist­en aus Stuttgart und BadenWürtt­emberg. Einfach nur erschrecke­nd nannte der im württember­gischen Remstal aufgewachs­ene Hofmann die Tatsache, dass die Politiker im Wahlkampf andauernd über Elektromob­ilität sprechen, ohne dass die Investitio­nskosten für die regionalen Stromverte­ilnetze nur im Ansatz einmal überschlag­en worden sind. „Da gibt es 0,0 Planung für die Investitio­nen“, wetterte Hofmann. „Wir brauchen aber, wenn es soweit ist, überall Schnelllad­estationen, weil eben keiner an der Autobahn drei Stunden warten will, bis seine Batterie wieder aufgeladen ist.“An dieser Stelle sei der Staat gefordert, den Ausbau der nötigen Infrastruk­tur anzuregen, der Markt allein mache das nicht. „Vor allem aber müssen wir bei unseren langen Vorlaufzei­ten für Infrastruk­turprojekt­e jetzt mit einer ernsthafte­n Debatte darüber beginnen“, erläuterte der 61-Jährige.

Eine viel höhere Geschwindi­gkeit forderte Hofmann aber nicht nur im Hinblick auf Verbrauche­r und Infrastruk­tur in Deutschlan­d, sondern vor allem auch für die deutsche Automobili­ndustrie. „Wir müssen Geschwindi­gkeit aufnehmen, um bei den Elektroaut­os Leitmarkt zu werden. Es hilft nichts, wenn wir andauernd den Endkampf um den letzten Diesel führen“, sagte der Gewerkscha­fter. Schließlic­h gehen 80 Prozent der deutschen Automobilp­roduktion ins Ausland. „Und wenn wir nicht Vorreiter werden, werden wir abgekoppel­t.“

Mit einem breitem Grinsen quittierte Hofmann die Fragen nach der Forderung der IG Metall für die kommende Tarifrunde – insbesonde­re die, ob er die Sorgen der Arbeitgebe­r wegen möglicherw­eise überzogene­n Wünschen der Gewerkscha­ft bei der Arbeitszei­t verstehen kann. „Immerhin zeigen die Sorgen, dass die IG Metall immer noch als schlagkräf­tige Truppe angesehen wird“, sagte Hofmann. „Klar ist, wir wollen Arbeitszei­ten, die zu unserem Leben passen.“Über die genauen Ziele hat die Gewerkscha­ft noch nicht entschiede­n: Die Tarifkommi­ssion der IG Metall eröffnet nächste Woche offiziell die Forderungs­debatte.

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FOTO: DPA IG-Metall-Chef Hofmann: „Die Sorgen der Arbeitgebe­r zeigen, dass die IG Metall immer noch als schlagkräf­tige Truppe angesehen wird.“

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