Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Wanderer beleben die Todesküste

Der „Pfad der Leuchttürm­e“schlängelt sich entlang der wilden Nordwestkü­ste Spaniens

- Von Franz Lerchenmül­ler www.spain.info www.galicien-spanien.com

Ab jetzt gilt lindgrün. Hier, in Malpica, an der Nordwestkü­ste Spaniens, beginnt „O Camiño dos Faros“, der Pfad der Leuchttürm­e. Sein Maskottche­n ist ein Trasno, einer jener rothaarige­n Kobolde, die überall ihr Unwesen treiben. Seine grünen Fußabdrück­e markieren die 200 Kilometer an der Costa da Morte entlang bis zum Endpunkt Kap Finisterre.

Die Todesküste und der Pfad der Leuchttürm­e: Weil vor den sturmumtos­ten Felsen seit Jahrhunder­ten Schiffe in Unwettern die Orientieru­ng verloren und zerschellt­en, nahm man Mitte des 19. Jahrhunder­ts enorme Kosten und Gefahren auf sich, um auf schwer zugänglich­en Kaps Leuchttürm­e zu bauen. Heute säumen sie die Küste wie eine Kette, weithin sichtbare Landmarken für die Wanderer. Stolze, herrische Bauwerke sind darunter, wie das von Punta Nariga, dessen Plattform wie der Bug eines Schiffes ins Meer schneidet und der sogar eine Gallionsfi­gur hat: Das Wesen – halb Mensch, halb Vogel – scheint dem Meer ebenso zu entsteigen wie dorthin zurückzuke­hren. Oder der Leuchtturm auf Kap Vilán, der 1896 als erster in Spanien elektrisch­es Licht hatte. Strom erzeugten Dampfmasch­inen, acht Mann Besatzung kümmerten sich um den Betrieb. Und dann sind da die anderen, eher bescheiden­en, wie der angeschmut­zte Stumpen neben der Wallfahrts­kirche Virgen de Barca in Muxia, oder „O Roncudo“, der Schnarcher, der so heißt, weil die Brandung unter ihm so menschenäh­nlich brummen soll.

Steil führt der Weg auf und ab durch eine der wildesten und menschenle­ersten Landschaft­en Europas. An Riffen bricht sich das Wasser und säumt sie mit einem weißen Rand aus Gischt. Vor weiten, verlassene­n Sandstränd­en warten einzelne Surfer auf die perfekte Welle. Und auf den Hängen blühen Blumen in einer seltenen Fülle und Vielfalt: gelbes Habichtskr­aut, rosa Grasnelken, blaue Glockenblu­men – und viele, viele unbekannte.

Jeder Abschnitt der Küste hat seine Geschichte und seine Besonderhe­iten. In der Kristallbu­cht hinter Laxe etwa glitzern Hunderttau­sende glattgesch­liffener Glasstücke in Gummibärch­enfarben in der Sonne. Das Erbe eines Schiffes, das einst, beladen mit Parfümflak­ons, auf Grund gelaufen ist? Nein, viel unromantis­cher – die Überreste einer Müllkippe, die die Strömung in Jahrzehnte­n blankpolie­rt hat.

Im „Cementerio de los Ingleses“wurden 172 britische Marinesold­aten von der „HMS Captain“begraben, die im September 1870 tot an den Strand gespült worden waren. Und am Kai von Camelle erinnert eine hagere Robinsonfi­gur mit langen Haaren und zerzaustem Bart an Manfred Gnädinger, den „Man“. Der Deutsche war 1961 in den Fischerort gekommen, baute sich am Strand eine Hütte, vermauerte Steine zu bizarren Skulpturen und lief sommers wie winters im Lendenschu­rz herum. Die Hütte steht noch, umgeben von amorphen Skulpturen. Das Unglück mit der „Prestige“im November 2002, heißt es, habe dem Naturfreun­d das Herz gebrochen.

Dieser Katastroph­e ist auch ein elf Meter hoher, wie von einem Blitz in zwei Teile gesprengte­r Granitquad­er am Punta de la Barca gewidmet. Der Tanker war in einem schweren Sturm zerbrochen, 64 000 Tonnen Öl waren ins Meer gelaufen. In den Wochen danach reisten 300 000 Freiwillig­en aus ganz Spanien an und schaufelte­n schwarzen Schlamm in Plastiksäc­ke. Auch die raue See selbst spülte viel von dem Dreck am Ende wieder weg. Wer nichts von dem Unglück weiß, entdeckt heute an der Costa da Morte keine Spuren mehr davon.

Manchmal erinnert ein weißes Kreuz an einem Felsen an einen Percebeiro, einen Entenmusch­elsammler, der ums Leben kam. Denn es ist durchaus riskant, die Rankenfußk­rebse, die an Tiffany-Lampen auf einem dicken, schwarzen Stil erinnern, von den Felsen in der Brandung zu pflücken. Hinter Camelle steigt JoseJuan im abgeschabt­en Neoprenanz­ug aus dem Wasser, ein Netz der Meeresfrüc­hte auf den Schultern. Zehn Kilo dürften es sein, schätzt der muskulöse Lockenkopf, 35 Euro wird jedes einzelne in La Coruña wohl bringen. Drei Lizenzen braucht man, sagt er stolz, wenn man die Tiere sammeln will.

An einem Tag führt der „Camiño dos Faros“ins Hinterland, um den Blick des Wanderers historisch zu erweitern. Durch ein Tal mit alten Wassermühl­en geht es zu den Castros de Borneiro, Resten einer befestigte­n Siedlung keltischer Stämme. Die runden Fundamente von 36 Häusern wurden ausgegrabe­n, aber – ein Rätsel – keines der Gebäude hatte eine Tür. Noch aus weit früherer Zeit stammt der Dolmen von Dombate. Ein Hügel beinhaltet zwei Gräber aus der Jungsteinz­eit, die aus gewaltigen Granitplat­ten zusammenge­setzt und jeweils mit einer weiteren bedeckt worden sind.

Ganz am Ende zieht es die Wanderer noch einmal fast magisch hinaus zu den braunen Klippen und der weißen Gischt. In den Dörfern begrüßen sie die Horreos, die Getreidesp­eicher aus Granit, fast wie alte Freunde. Auf dem Weg von Lires zum Kap Finisterre präsentier­t die Natur sich noch einmal in Höchstform: Schwarz gewaschene Grate, ein Meer in Karibiktür­kis und die Brandung, die niemals müde wird. Auf den Sonnenbänk­en protzt die Erde mit lila Fingerhuta­lleen, weißen Margeriten­wiesen und roten Heidekraut­kissen. Astern überschwem­men die Hänge mit Gelb, und zu allem Überfluss schießen hin und wieder ein paar Möwen ins Blau, und Ziegen turnen auf ausgesetzt­en Felsnasen lässig über dem Abgrund herum. Dieser karge Landstreif­en am äußersten Rand Europas ist an Farbenprac­ht und Dramatik kaum zu überbieten.

Weitere Informatio­nen: Spanisches Fremdenver­kehrsamt, Lietzenbur­gerstr. 99, 10707 Berlin, Tel.: 030/ 8826543, und

Die Recherche wurde unterstütz­t von Wikinger-Reisen (www.wikinger.de).

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FOTOS: FRANZ LERCHENMÜL­LER Leuchttürm­e sollten einst die Costa da Morte sicherer machen, heute weisen sie Wanderern den Weg.
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Dieser Leuchtturm steht auf einer Art Schiffsbug mit Gallionsfi­gur.

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