Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Wanderer beleben die Todesküste
Der „Pfad der Leuchttürme“schlängelt sich entlang der wilden Nordwestküste Spaniens
Ab jetzt gilt lindgrün. Hier, in Malpica, an der Nordwestküste Spaniens, beginnt „O Camiño dos Faros“, der Pfad der Leuchttürme. Sein Maskottchen ist ein Trasno, einer jener rothaarigen Kobolde, die überall ihr Unwesen treiben. Seine grünen Fußabdrücke markieren die 200 Kilometer an der Costa da Morte entlang bis zum Endpunkt Kap Finisterre.
Die Todesküste und der Pfad der Leuchttürme: Weil vor den sturmumtosten Felsen seit Jahrhunderten Schiffe in Unwettern die Orientierung verloren und zerschellten, nahm man Mitte des 19. Jahrhunderts enorme Kosten und Gefahren auf sich, um auf schwer zugänglichen Kaps Leuchttürme zu bauen. Heute säumen sie die Küste wie eine Kette, weithin sichtbare Landmarken für die Wanderer. Stolze, herrische Bauwerke sind darunter, wie das von Punta Nariga, dessen Plattform wie der Bug eines Schiffes ins Meer schneidet und der sogar eine Gallionsfigur hat: Das Wesen – halb Mensch, halb Vogel – scheint dem Meer ebenso zu entsteigen wie dorthin zurückzukehren. Oder der Leuchtturm auf Kap Vilán, der 1896 als erster in Spanien elektrisches Licht hatte. Strom erzeugten Dampfmaschinen, acht Mann Besatzung kümmerten sich um den Betrieb. Und dann sind da die anderen, eher bescheidenen, wie der angeschmutzte Stumpen neben der Wallfahrtskirche Virgen de Barca in Muxia, oder „O Roncudo“, der Schnarcher, der so heißt, weil die Brandung unter ihm so menschenähnlich brummen soll.
Steil führt der Weg auf und ab durch eine der wildesten und menschenleersten Landschaften Europas. An Riffen bricht sich das Wasser und säumt sie mit einem weißen Rand aus Gischt. Vor weiten, verlassenen Sandstränden warten einzelne Surfer auf die perfekte Welle. Und auf den Hängen blühen Blumen in einer seltenen Fülle und Vielfalt: gelbes Habichtskraut, rosa Grasnelken, blaue Glockenblumen – und viele, viele unbekannte.
Jeder Abschnitt der Küste hat seine Geschichte und seine Besonderheiten. In der Kristallbucht hinter Laxe etwa glitzern Hunderttausende glattgeschliffener Glasstücke in Gummibärchenfarben in der Sonne. Das Erbe eines Schiffes, das einst, beladen mit Parfümflakons, auf Grund gelaufen ist? Nein, viel unromantischer – die Überreste einer Müllkippe, die die Strömung in Jahrzehnten blankpoliert hat.
Im „Cementerio de los Ingleses“wurden 172 britische Marinesoldaten von der „HMS Captain“begraben, die im September 1870 tot an den Strand gespült worden waren. Und am Kai von Camelle erinnert eine hagere Robinsonfigur mit langen Haaren und zerzaustem Bart an Manfred Gnädinger, den „Man“. Der Deutsche war 1961 in den Fischerort gekommen, baute sich am Strand eine Hütte, vermauerte Steine zu bizarren Skulpturen und lief sommers wie winters im Lendenschurz herum. Die Hütte steht noch, umgeben von amorphen Skulpturen. Das Unglück mit der „Prestige“im November 2002, heißt es, habe dem Naturfreund das Herz gebrochen.
Dieser Katastrophe ist auch ein elf Meter hoher, wie von einem Blitz in zwei Teile gesprengter Granitquader am Punta de la Barca gewidmet. Der Tanker war in einem schweren Sturm zerbrochen, 64 000 Tonnen Öl waren ins Meer gelaufen. In den Wochen danach reisten 300 000 Freiwilligen aus ganz Spanien an und schaufelten schwarzen Schlamm in Plastiksäcke. Auch die raue See selbst spülte viel von dem Dreck am Ende wieder weg. Wer nichts von dem Unglück weiß, entdeckt heute an der Costa da Morte keine Spuren mehr davon.
Manchmal erinnert ein weißes Kreuz an einem Felsen an einen Percebeiro, einen Entenmuschelsammler, der ums Leben kam. Denn es ist durchaus riskant, die Rankenfußkrebse, die an Tiffany-Lampen auf einem dicken, schwarzen Stil erinnern, von den Felsen in der Brandung zu pflücken. Hinter Camelle steigt JoseJuan im abgeschabten Neoprenanzug aus dem Wasser, ein Netz der Meeresfrüchte auf den Schultern. Zehn Kilo dürften es sein, schätzt der muskulöse Lockenkopf, 35 Euro wird jedes einzelne in La Coruña wohl bringen. Drei Lizenzen braucht man, sagt er stolz, wenn man die Tiere sammeln will.
An einem Tag führt der „Camiño dos Faros“ins Hinterland, um den Blick des Wanderers historisch zu erweitern. Durch ein Tal mit alten Wassermühlen geht es zu den Castros de Borneiro, Resten einer befestigten Siedlung keltischer Stämme. Die runden Fundamente von 36 Häusern wurden ausgegraben, aber – ein Rätsel – keines der Gebäude hatte eine Tür. Noch aus weit früherer Zeit stammt der Dolmen von Dombate. Ein Hügel beinhaltet zwei Gräber aus der Jungsteinzeit, die aus gewaltigen Granitplatten zusammengesetzt und jeweils mit einer weiteren bedeckt worden sind.
Ganz am Ende zieht es die Wanderer noch einmal fast magisch hinaus zu den braunen Klippen und der weißen Gischt. In den Dörfern begrüßen sie die Horreos, die Getreidespeicher aus Granit, fast wie alte Freunde. Auf dem Weg von Lires zum Kap Finisterre präsentiert die Natur sich noch einmal in Höchstform: Schwarz gewaschene Grate, ein Meer in Karibiktürkis und die Brandung, die niemals müde wird. Auf den Sonnenbänken protzt die Erde mit lila Fingerhutalleen, weißen Margeritenwiesen und roten Heidekrautkissen. Astern überschwemmen die Hänge mit Gelb, und zu allem Überfluss schießen hin und wieder ein paar Möwen ins Blau, und Ziegen turnen auf ausgesetzten Felsnasen lässig über dem Abgrund herum. Dieser karge Landstreifen am äußersten Rand Europas ist an Farbenpracht und Dramatik kaum zu überbieten.
Weitere Informationen: Spanisches Fremdenverkehrsamt, Lietzenburgerstr. 99, 10707 Berlin, Tel.: 030/ 8826543, und
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