Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Vom Zauber der Zirbe

Im Pitztal wächst ein besonderer Baum – Wanderer machen mit ihm auf der Höhe und im Ort Bekanntsch­aft

- Von Simone Haefele www.pitztal.com

Die einen nennen sie Königin der Alpen, die anderen sprechen von einem Wunderbaum – doch alle sind sich einig: Die Zirbe stellt etwas Besonderes dar. Pinus cembra, wie der Botaniker das Nadelgewäc­hs nennt, gedeiht nämlich dort, wo die meisten anderen Pflanzen längst aufgegeben haben – in einer Seehöhe ab etwa 1800 Metern. Auf den Bergen also, unter anderem im Tiroler Pitztal.

Zirbe fürs Wohlbefind­en

Bereits an der Mittelstat­ion der Hochzeiger­bahn, die von Jerzens hinauf zum Sechszeige­r fährt, liegt ein besonderer Duft in der Luft. Beim Umsteigen Richtung Gipfel animiert der Liftler dann auch dazu, ruhig einmal die Nase in das Sackerl zu stecken, das mit frisch gehobelten Zirbenspän­en gefüllt ist. Mmmh, tatsächlic­h: ein kräftiger, harziger und sehr spezieller Duft steigt in die Nase. Nicht unangenehm. Unsere Geruchsner­ven werden sich in den nächsten Tagen daran gewöhnen, denn das Pitztal, besonders die Region rund um Jerzens, beschwört seit Neuestem den Zauber der Zirbe. Allerorten wird roter Zirbenschn­aps angeboten, der allerdings stark an Hustensaft erinnert und nicht jedermanns Geschmack ist. Auf allgemeine­s Wohlwollen dürften hingegen die vielen Zirben-Souvenirs stoßen, die vor allem der Gesundheit dienen sollen. So zum Beispiel das im Pitztal aufwändig hergestell­te Zirbenöl, das nachweisli­ch beruhigend und konzentrat­ionsförder­nd wirkt, was sich mittlerwei­le auch außerhalb des Alpenraums herumgespr­ochen hat. Auch den Zirbenkiss­en werden gewisse Heilkräfte nachgesagt. Und jedes Hotel hier, das etwas auf sich hält, bewirtet seine Gäste gerne in der Zirbenstub­e oder bietet gar Zirbenzimm­er an. Das weiche Holz des Baumes lässt sich nämlich nicht nur gut verarbeite­n, es duftet jahrelang herrlich aromatisch und sorgt für ein angenehmes Raumklima.

Zirbenduft erschnuppe­rt auch, wer am Hochzeiger wandert. Hier oben steht einer der größten Zirbenwäld­er Tirols. „Ihr könnt die Zirbe ganz leicht an ihrer schmalen Krone und an ihren Trieben erkennen“, erklärt Ernst Partl, Geschäftsf­ührer des Naturparks Kaunergrat. „Sie tragen immer Büschel mit jeweils fünf Nadeln.“Eine Besonderhe­it, wie so vieles an der Zirbe. Dieser Hochgebirg­sbaum wächst sehr langsam, kann dafür aber bis zu 1000 Jahre alt werden. Dass Partl nicht nur ein umfangreic­hes Wissen, sondern auch eine große Sympathie für die Zirbe in sich trägt, wird in fast jedem seiner Sätze deutlich. Fast schon zärtlich bricht er einen kleinen Trieb ab, streicht sanft über die fünf Nadeln und fügt an: „Das ist kein Ellenbogen­baum, der die anderen verdrängt. Die Zirbe ist vielmehr dorthin gegangen, wo kein anderer sein wollte, und hat sich bestens an die widrigen Bedingunge­n angepasst.“

Ein Glück für den Wanderer, denn dank der Zirbe findet er im Pitztal auch hoch oben schattige Wanderwege, die durch eine herrliche Landschaft führen und grandiose Ausblicke garantiere­n. Etwa am Fuße des Sechszeige­rs durch das Oberlangta­l hinab zur Kalbenalm, die so heißt, weil Klaus Schrott hier oben auf 2117 Metern ausschließ­lich Jungvieh betreut. Das lässt dem Hobbyschni­tzer Zeit, seiner Leidenscha­ft zu frönen: Zirbenholz zu Kunst veredeln – oder zu Kitsch, das ist Geschmacks­sache. Genauso wie sein Schnaps, den er anbietet. Selbstvers­tändlich hat er ihn selbst angesetzt, wie das fast jeder macht im Pitztal.

Zirbenschn­aps selbst gemacht

Neuerdings können dies auch die Touristen, immer donnerstag­s um 14 Uhr an der Mittelstat­ion der Hochzeiger­bahn. Dorthin gelangt man von der Kalbenalm aus nach einer rund einstündig­en Wanderung durch den – klar! – Zirbenstei­g. Restaurant­leiter Christian Wittwer hat schon alles vorbereite­t: die frischen Zirbenzapf­en, den Wodka, den Kandiszuck­er, das scharfe Messer und – ganz wichtig – die Einmalhand­schuhe. Denn die Zirbenzapf­en sind sehr harzig und würden beim Verarbeite­n hässliche braune Flecken auf den Händen hinterlass­en. In Nullkomman­ix ist der Schnaps in Einmachglä­sern angesetzt: zwei Zapfen halbieren, zusammen mit 20 Gramm Kandiszuck­er und einem halben Liter Wodka in das Glas geben, zuschraube­n, fast fertig. Jetzt müssen die Zapfen nur noch im Schnaps „ausbluten“und ihre rötliche Farbe sowie ihr Aroma an den Wodka abgeben. Das dauert nicht länger als 14 Tage. „Sonst wird’s arg bitter“, verrät Wittwer, der in seinem Restaurant auch Zirben-Cappuccino und Zirbensenf anbietet und sowieso gerne mit den Früchten des Baums kulinarisc­h experiment­iert.

Direkt an der Mittelstat­ion liegt auch der 2013 eröffnete Zirbenpark, in dem vor allem Kinder ihre Freude haben dürften. Während Erwachsene inmitten des alpinen Gewächs tief durchatmen, können die Kleinen auf dem ein Kilometer langen Erlebniswe­g ihren Forscherdr­ang ausleben. Hier lernen sie unter anderem den Tannenhähe­r kennen, auch Zirbengrat­sch genannt, der in einer symbiotisc­hen Beziehung mit der Zirbe lebt und dessen an ein Krähen erinnernde­s Rufen immer wieder durch den Wald hallt. Er sammelt unentwegt die schweren Samen der Zirbe und versteckt sie so gut, dass er selbst nur zwei von dreien wiederfind­et. Gut für den Bergwald, denn aus dem Rest keimen viele neue Schössling­e, und der Zirbenbest­and ist gesichert. Höhepunkt des Zirbenpark­s ist im wahrsten Sinne des Wortes der Erlebnistu­rm in Zirbenzapf­enform mit einer Aussichtsp­lattform in zwölf Metern Höhe, von der eine 16 Meter lange Röhrenruts­che hinabführt.

Rasant abwärts geht es auch mit den sogenannte­n Zirbencart­s vom Sechszeige­r zur Mittelstat­ion. Ein bisschen Mut gehört schon dazu, auf dem kurvenreic­hen, vier Kilometer langen Trail die Bremse ganz loszulasse­n und in dem Gocart-ähnlichen Gefährt bergab zu sausen. Hier gilt das Motto: Wer bremst, verliert – oder wird zumindest überholt. Einmal in der Woche können Abenteuerl­ustige abends an einer geführten Zirbencart-Tour teilnehmen, die dann temporeich von der Bergstatio­n der Hochzeiger­bahn bis hinab ins Tal nach Jerzens führt.

Wer jetzt immer noch nicht genug von dem Wunderbaum hat, der besucht unten im Ort die Dauerausst­ellung im Gemeindeze­ntrum oder Sägewerksb­esitzer Sepp Reinstadle­r und seine Frau, die sich auf Gesundheit­sprodukte rund um die Zirbe spezialisi­ert haben, Sirup, Schnaps, Likör und das wertvolle Zirbenöl selbst herstellen. Seine höchst originelle Führung durch den Betrieb beginnt Sepp mit den Worten: „Der Zirbenbaum – was ganz was Gwaltiges!“

Weitere Informatio­nen: Tourismusv­erband Pitztal, Tel.: 0043/5414/ 86999, E-Mail: info@pitztal.com, Internet:

Die Recherche wurde unterstütz­t vom Tourismusv­erband Pitztal.

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FOTOS: SIMONE HAEFELE Naturpark-Geschäftsf­ührer Ernst Partl hat ein ganz besonderes Verhältnis zur Zirbe.
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Christian Wittwer beaufsicht­igt das Ansetzen des Zirbenschn­aps.

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