Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Vom Zauber der Zirbe
Im Pitztal wächst ein besonderer Baum – Wanderer machen mit ihm auf der Höhe und im Ort Bekanntschaft
Die einen nennen sie Königin der Alpen, die anderen sprechen von einem Wunderbaum – doch alle sind sich einig: Die Zirbe stellt etwas Besonderes dar. Pinus cembra, wie der Botaniker das Nadelgewächs nennt, gedeiht nämlich dort, wo die meisten anderen Pflanzen längst aufgegeben haben – in einer Seehöhe ab etwa 1800 Metern. Auf den Bergen also, unter anderem im Tiroler Pitztal.
Zirbe fürs Wohlbefinden
Bereits an der Mittelstation der Hochzeigerbahn, die von Jerzens hinauf zum Sechszeiger fährt, liegt ein besonderer Duft in der Luft. Beim Umsteigen Richtung Gipfel animiert der Liftler dann auch dazu, ruhig einmal die Nase in das Sackerl zu stecken, das mit frisch gehobelten Zirbenspänen gefüllt ist. Mmmh, tatsächlich: ein kräftiger, harziger und sehr spezieller Duft steigt in die Nase. Nicht unangenehm. Unsere Geruchsnerven werden sich in den nächsten Tagen daran gewöhnen, denn das Pitztal, besonders die Region rund um Jerzens, beschwört seit Neuestem den Zauber der Zirbe. Allerorten wird roter Zirbenschnaps angeboten, der allerdings stark an Hustensaft erinnert und nicht jedermanns Geschmack ist. Auf allgemeines Wohlwollen dürften hingegen die vielen Zirben-Souvenirs stoßen, die vor allem der Gesundheit dienen sollen. So zum Beispiel das im Pitztal aufwändig hergestellte Zirbenöl, das nachweislich beruhigend und konzentrationsfördernd wirkt, was sich mittlerweile auch außerhalb des Alpenraums herumgesprochen hat. Auch den Zirbenkissen werden gewisse Heilkräfte nachgesagt. Und jedes Hotel hier, das etwas auf sich hält, bewirtet seine Gäste gerne in der Zirbenstube oder bietet gar Zirbenzimmer an. Das weiche Holz des Baumes lässt sich nämlich nicht nur gut verarbeiten, es duftet jahrelang herrlich aromatisch und sorgt für ein angenehmes Raumklima.
Zirbenduft erschnuppert auch, wer am Hochzeiger wandert. Hier oben steht einer der größten Zirbenwälder Tirols. „Ihr könnt die Zirbe ganz leicht an ihrer schmalen Krone und an ihren Trieben erkennen“, erklärt Ernst Partl, Geschäftsführer des Naturparks Kaunergrat. „Sie tragen immer Büschel mit jeweils fünf Nadeln.“Eine Besonderheit, wie so vieles an der Zirbe. Dieser Hochgebirgsbaum wächst sehr langsam, kann dafür aber bis zu 1000 Jahre alt werden. Dass Partl nicht nur ein umfangreiches Wissen, sondern auch eine große Sympathie für die Zirbe in sich trägt, wird in fast jedem seiner Sätze deutlich. Fast schon zärtlich bricht er einen kleinen Trieb ab, streicht sanft über die fünf Nadeln und fügt an: „Das ist kein Ellenbogenbaum, der die anderen verdrängt. Die Zirbe ist vielmehr dorthin gegangen, wo kein anderer sein wollte, und hat sich bestens an die widrigen Bedingungen angepasst.“
Ein Glück für den Wanderer, denn dank der Zirbe findet er im Pitztal auch hoch oben schattige Wanderwege, die durch eine herrliche Landschaft führen und grandiose Ausblicke garantieren. Etwa am Fuße des Sechszeigers durch das Oberlangtal hinab zur Kalbenalm, die so heißt, weil Klaus Schrott hier oben auf 2117 Metern ausschließlich Jungvieh betreut. Das lässt dem Hobbyschnitzer Zeit, seiner Leidenschaft zu frönen: Zirbenholz zu Kunst veredeln – oder zu Kitsch, das ist Geschmackssache. Genauso wie sein Schnaps, den er anbietet. Selbstverständlich hat er ihn selbst angesetzt, wie das fast jeder macht im Pitztal.
Zirbenschnaps selbst gemacht
Neuerdings können dies auch die Touristen, immer donnerstags um 14 Uhr an der Mittelstation der Hochzeigerbahn. Dorthin gelangt man von der Kalbenalm aus nach einer rund einstündigen Wanderung durch den – klar! – Zirbensteig. Restaurantleiter Christian Wittwer hat schon alles vorbereitet: die frischen Zirbenzapfen, den Wodka, den Kandiszucker, das scharfe Messer und – ganz wichtig – die Einmalhandschuhe. Denn die Zirbenzapfen sind sehr harzig und würden beim Verarbeiten hässliche braune Flecken auf den Händen hinterlassen. In Nullkommanix ist der Schnaps in Einmachgläsern angesetzt: zwei Zapfen halbieren, zusammen mit 20 Gramm Kandiszucker und einem halben Liter Wodka in das Glas geben, zuschrauben, fast fertig. Jetzt müssen die Zapfen nur noch im Schnaps „ausbluten“und ihre rötliche Farbe sowie ihr Aroma an den Wodka abgeben. Das dauert nicht länger als 14 Tage. „Sonst wird’s arg bitter“, verrät Wittwer, der in seinem Restaurant auch Zirben-Cappuccino und Zirbensenf anbietet und sowieso gerne mit den Früchten des Baums kulinarisch experimentiert.
Direkt an der Mittelstation liegt auch der 2013 eröffnete Zirbenpark, in dem vor allem Kinder ihre Freude haben dürften. Während Erwachsene inmitten des alpinen Gewächs tief durchatmen, können die Kleinen auf dem ein Kilometer langen Erlebnisweg ihren Forscherdrang ausleben. Hier lernen sie unter anderem den Tannenhäher kennen, auch Zirbengratsch genannt, der in einer symbiotischen Beziehung mit der Zirbe lebt und dessen an ein Krähen erinnerndes Rufen immer wieder durch den Wald hallt. Er sammelt unentwegt die schweren Samen der Zirbe und versteckt sie so gut, dass er selbst nur zwei von dreien wiederfindet. Gut für den Bergwald, denn aus dem Rest keimen viele neue Schösslinge, und der Zirbenbestand ist gesichert. Höhepunkt des Zirbenparks ist im wahrsten Sinne des Wortes der Erlebnisturm in Zirbenzapfenform mit einer Aussichtsplattform in zwölf Metern Höhe, von der eine 16 Meter lange Röhrenrutsche hinabführt.
Rasant abwärts geht es auch mit den sogenannten Zirbencarts vom Sechszeiger zur Mittelstation. Ein bisschen Mut gehört schon dazu, auf dem kurvenreichen, vier Kilometer langen Trail die Bremse ganz loszulassen und in dem Gocart-ähnlichen Gefährt bergab zu sausen. Hier gilt das Motto: Wer bremst, verliert – oder wird zumindest überholt. Einmal in der Woche können Abenteuerlustige abends an einer geführten Zirbencart-Tour teilnehmen, die dann temporeich von der Bergstation der Hochzeigerbahn bis hinab ins Tal nach Jerzens führt.
Wer jetzt immer noch nicht genug von dem Wunderbaum hat, der besucht unten im Ort die Dauerausstellung im Gemeindezentrum oder Sägewerksbesitzer Sepp Reinstadler und seine Frau, die sich auf Gesundheitsprodukte rund um die Zirbe spezialisiert haben, Sirup, Schnaps, Likör und das wertvolle Zirbenöl selbst herstellen. Seine höchst originelle Führung durch den Betrieb beginnt Sepp mit den Worten: „Der Zirbenbaum – was ganz was Gwaltiges!“
Weitere Informationen: Tourismusverband Pitztal, Tel.: 0043/5414/ 86999, E-Mail: info@pitztal.com, Internet:
Die Recherche wurde unterstützt vom Tourismusverband Pitztal.