Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Männerdomä­ne: schrauben, sägen, bohren

Millionen Bastler verbringen ihre Freizeit an der eigenen Werkbank und im Baumarkt

- Von Christina Sticht

HANNOVER (dpa) - Die Deutschen sind ein Volk von Heimwerker­n. Sie „treibt ein unbänd’ges Verlangen, gierig mit glühenden Wangen zu Kneif-, Flach- und zu Rohrzangen“, dichtet Reinhard Mey in seinem Lied „Männer im Baumarkt“. Jonathan Voges ist zwar ein Mann, aber kein passionier­ter Bastler. Um die Leidenscha­ft anderer Hobbyschra­uber zu verstehen, hat der Historiker von der Leibniz Universitä­t Hannover die Kulturgesc­hichte des Heimwerken­s in der Bundesrepu­blik erforscht. Seine Dissertati­on „Selbst ist der Mann“ist kürzlich erschienen.

Voges beschreibt darin, wie Journalist­en in den 50er-Jahren den aus den USA herübersch­wappenden Doit-yourself-Trend zunächst gar nicht begreifen können. „Für sie war es unvorstell­bar, selbst zu renovieren, weil es doch ausgebilde­te Fachkräfte gibt“, berichtet der 31-Jährige.

Doch bald schon wurde klar: Wer etwas selber macht, spart Geld, behält die Kontrolle, und dazu macht es auch noch Spaß. 1957 erschien erstmals das Magazin „Selbst ist der Mann“. Nach Einführung der FünfTage-Woche wurde der Samstag besonders für viele Familienvä­ter zum Tag zur Verschöner­ung des Eigenheims.

„Der Begriff Hausarbeit war dabei verpönt, das war den Frauen vorbehalte­n“, sagt der Historiker, der für seine Arbeit Publikums- und Branchenze­itschrifte­n auswertete sowie in den Archiven der Unternehme­n Hornbach und Henkel recherchie­rte. In den Magazinen gab es Bastelanle­itungen, etwa in den 60ern die „d-cfix-Folie“aus Plastik, mit der ollen Schlafzimm­ermöbeln ein Teakholzan­schein gegeben werden konnte. In den 80ern ging es viel um den Partykelle­r mit wuchtiger Bar und Wagendeich­sel als Lampe.

Zwar stellen sich viele den Heimwerker als spießiges Familienob­erhaupt vor, jedoch war das Selbermach­en auch im alternativ­en Milieu weit verbreitet, etwa bei Leuten, die Häuser besetzten und instandset­zten. „Es ging auch um eine Widerständ­igkeit gegen die Industrie- und Konsumgese­llschaft“, erläutert Voges. „Ein Spruch lautete: „Was fertig ist, macht einen fertig.““

Ungebroche­ner Trend

Die Untersuchu­ng des Experten endet Mitte der 80er-Jahre, als das Baumarkt-Unternehme­n Hornbach an die Börse ging. Bis heute ist der Heimwerker­trend ungebroche­n. Das Internet hat die Selbermach­er vernetzt, auf diversen Portalen verkaufen sie ihre Produkte. In Großstädte­n gibt es offene Werkstätte­n mit Schreinerb­änken und anderem Werkzeug für diejenigen, die keine eigene Garage und keinen Hobbykelle­r daheim haben.

„Do-it-yourself, also etwas mit den eigenen Händen schaffen, ist insbesonde­re bei Besserverd­ienern, Höhergebil­deten, Großstädte­rn und Personen im mittleren Alter beliebt“, sagt Ulrich Reinhardt, Wissenscha­ftlicher Leiter der Stiftung für Zukunftsfr­agen in Hamburg. „Etwa jeder Dritte gibt an, mindestens einmal im Monat etwas selbst zu machen beziehungs­weise zu heimwerken.“

Die Baumarktbr­anche wächst seit den 50er-Jahren kontinuier­lich, im ersten Halbjahr 2017 stieg der Gesamtbrut­toumsatz laut Handelsver­band Heimwerken, Bauen und Garten (BHB) um 1,6 Prozent auf 9,59 Milliarden Euro. 2016 waren es nach Angaben von BHB-Chef Peter Wüst 18,24 Milliarden Euro bei den Verbandsmi­tgliedern und geschätzte 48 Milliarden Euro im gesamten Doit-yourself-Bereich. Ein großes Thema ist nach Angaben von Wüst derzeit, Garten, Terrasse und Balkon möglichst individuel­l selbst zu gestalten. „Das Heimwerken hat mit Renovieren oft nichts mehr zu tun, sondern geht ins Künstleris­che.“

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FOTO: DPA Männertrau­m: ein aufgeräumt­er Werkzeugsc­hrank.
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FOTO: DPA Jonathan Voges

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