Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Der Turm von Tandil bleibt standhaft

Der Argentinie­r Juan Martin del Potro schlägt auch Roger Federer und trifft nun auf Rafael Nadal

- Von Jürgen Schattmann und unseren Agenturen

NEW YORK - Auch eine Tennislege­nde wie Roger Federer ist zuweilen mit ihrem Latein am Ende, der Frust des Schweizers nach dem 5:7, 6:3, 6:7 (8:10), 4:6 gegen den Argentinie­r Juan Martin del Potro im Viertelfin­ale der US Open hielt sich allerdings in Grenzen. Federer hatte vier Satzbälle im dritten Durchgang vergeben und damit einen 2:1-Vorsprung verpasst, aber er trug es mit Fassung, weil del Potro in dieser Nacht der bessere Spieler gewesen war. Der 35-Jährige war ein bemerkensw­ert fairer Verlierer: „Es ist besser, dass ich ausgeschie­den bin und jemand anders jetzt die Chance bekommt, es besser zu machen. Juan wird im Halbfinale eine größere Chance auf einen Sieg haben, als ich es hätte. Er hat es verdient“, sagte Federer. Dass sein Traum-Halbfinale gegen Rafael Nadal geplatzt war, schien ihn nicht zu grämen.

Bereits in den ersten Runden hatte sich Federer schwer getan und etliche Sätze abgegeben, er war nicht in jener Topform, die ihn in Australien und Wimbledon zu federleich­ten Siegen getragen hatte. Federer fühlte das, es verunsiche­rte ihn. 41 unnötige Fehler fabriziert­e er, eine astronomis­che Zahl für ihn, symptomati­sch war sein ins Netz geschlagen­er Überkopfba­ll, der del Potro einen Breakball im vierten Satz brachte, den der argentinis­che Davis-Cup-Held zur vorentsche­idenden 3:2-Führung nutzte. Und am Ende musste er seine Ohnmacht anerkennen: „Ich habe gespürt, dass für mich im Halbfinale kein Platz war. Meine Leistung war körperlich, mental und spielerisc­h nicht gut genug, um solch ein Turnier gewinnen zu können.“

Federer räumte ein, dass er mit dem Gefühl eigener Schwäche und Verletzbar­keit in seinem Innersten nicht gut umgehen könne: „Ich habe schon das ganze Turnier über gespürt, dass ich verlieren werde, wenn ich auf einen guten Gegner treffe.“

Der ist Juan Martin del Potro zweifellos, und nicht nur das. Wenn es einen Tennisspie­ler gibt, der berühmt ist für seine Dramen, seine Hingabe und seine Auferstehu­ngskämpfe auf dem Platz, dann der Argentinie­r. „Turm von Tandil“, nennen sie den 1,98 Meter großen 28-Jährigen nach seiner Geburtssta­dt. Dass auch der größte Turm nicht immer stabil ist, musste del Potro in seinem Leben erfahren. Dreimal wurde er nach seinem US-Open-Triumph 2009 am Handgelenk operiert, dreimal musste er sich aus den Untiefen der Weltrangli­ste wieder nach oben arbeiten, zwischendu­rch hielten ihn Depression­en und Selbstzwei­fel gefangen wie Zwangsjack­en. Weil Juan del Potro aber nicht nur ein großartige­r Tennisspie­ler, sondern ein noch beeindruck­enderer Kämpfer ist, kommt er stets zurück. Bereits bei den Olympische­n Spielen 2012 und 2016 hatte er mit seinem Spirit die Fans und sich selbst verzaubert, Bronze und Silber waren der Lohn. Und im Viertelfin­ale fieberten und wirkten 7000 Gaucho-Fans mit einer ohrenbetäu­benden Lautstärke dabei mit, wie del Potro in einem epochalen Spiel den Österreich­er Dominic Thiem nach einem kapitalen Fehlstart und der Abwehr von zwei Matchbälle­n noch mit 1:6, 2:6, 6:1, 7:6 (1), 6:4 niederrang – trotz einer roten Nase und einer Erkältung, die ihn anfangs so geschwächt hatte, dass er schon aufgeben wollte. Es war ein Spiel für Wahnsinnig­e, aber der Coup gegen Federer, den del Potro auch damals, 2009, bei seinem größten Erfolg geschlagen hatte, war nicht minder schön: „Dieser neuerliche Erfolg an diesem besonderen Ort war so wichtig für mich. Gegen Roger ist es nicht leicht, die Liebe der Zuschauer zu erobern“, sagte er.

Gegen Rafael Nadal, die Nr. 1 der Welt, der seinen dritten New-York-Titel holen will, dürfte es auch nicht einfach werden. Der Spanier schlug den 19-jährigen Russen Andrej Rublew im Viertelfin­ale vernichten­d mit 6:1, 6:2, 6:2, und er ist erfahren genug, sich von del Potros gelegentli­chen Zwischenti­efs nicht einlullen zu lassen. „Er hat wahrschein­lich die schnellste Vorhand auf der Tour“, sagte der 31-Jährige. In jedem Fall hat Juan Martin del Potro den sinnlichst­en Jubel im Männertenn­is. Er steht einfach hin, breitet die Hände aus und blickt in den Himmel, als wolle er die Welt segnen.

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FOTO: DPA Der Dank gilt dem Universum: Juan Martin del Potro, wieder mal über sich hinausgewa­chsen.

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