Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Zschäpe soll lebenslang hinter Gitter

Anwaltscha­ft im NSU-Prozess fordert Höchststra­fe – Nebenklage nur in Teilen zufrieden

- Von Andreas Herholz und unseren Agenturen

MÜNCHEN - Nach mehr als vier Jahren NSU-Prozess fordert die Bundesanwa­ltschaft die Höchststra­fe für die mutmaßlich­e Rechtsterr­oristin Beate Zschäpe: lebenslang­e Haft, die Feststellu­ng der besonderen Schwere der Schuld sowie anschließe­nde Sicherungs­verwahrung. Das sagte Bundesanwa­lt Herbert Diemer am Dienstag zum Abschluss des Anklage-Plädoyers vor dem Münchner Oberlandes­gericht. Bis zu einem Urteil dauert es aber noch Monate.

Auch für die vier Mitangekla­gten verlangte die Bundesanwa­ltschaft teils langjährig­e Haftstrafe­n: unter anderem zwölf Jahre für den mutmaßlich­en Waffenbesc­haffer Ralf Wohlleben, aber auch für den Mitangekla­gten André E.. Dieser wurde noch im Gerichtssa­al in Gewahrsam genommen.

Nach Überzeugun­g der Anklage ist Zschäpe Mittäterin an allen Verbrechen des „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s“: den neun Morden an türkisch- und griechisch­stämmigen Gewerbetre­ibenden, dem Mord an einer deutschen Polizistin, zwei Bombenschl­ägen mit vielen Verletzten sowie insgesamt 15 Raubüberfä­llen. Im November 2011 setzte Zschäpe zudem die letzte NSU-Fluchtwohn­ung in Zwickau in Brand. Diemer sagte, Zschäpe habe sich bis zu dieser Tat womöglich nie selbst die Finger schmutzig gemacht. Aber: „Sie hat alles gewusst, alles mitgetrage­n und auf ihre eigene Art mitgesteue­rt und mitbewirkt.“Zschäpe habe „fast schon massenhaft“Verbrechen gegen das Leben anderer Menschen begangen.

Mehmet Daimagüler, Rechtsanwa­lt und Vertreter der Nebenklage, nannte die Forderung der Bundesanwa­ltschaft im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“am Dienstag „konsequent und richtig“. Allerdings sagte er auch: „Wir werden uns das Urteil genau anschauen, wenn es da ist und sicher auch zum Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte gehen.“Es seien zu viele Fragen offen geblieben.

Zschäpe ist das einzige noch lebende ehemalige Mitglied des NSU. Ihre Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten sich nach einem gescheiter­ten Banküberfa­ll im November 2011 erschossen.

BERLIN - Mehmet Daimagüler, Rechtsanwa­lt und Vertreter der Nebenklage im NSU-Prozess, befürworte­t im Gespräch mit Andreas Herholz das geforderte Strafmaß. Allerdings seien Fragen unbeantwor­tet geblieben.

Die Bundesanwa­ltschaft fordert lebenslang­e Haft für Beate Zschäpe – ein angemessen­es Strafmaß, auch aus Sicht der Angehörige­n der Opfer?

Es ist konsequent und richtig. Meine Mandanten und ich werden auch ein solches Strafmaß beantragen. Die Anordnung von Sicherheit­sverwahrun­g würde gewährleis­ten, dass Zschäpe auch nach Verbüßung ihrer Strafe hinter Gittern bleiben würde. Die Bundesanwa­ltschaft hat die Feststellu­ng der besonders schweren Schuld beantragt. Das würde bedeuten, dass es keine Regelentla­ssung nach 15 Jahren Haft geben würde. Nach den 15 Jahren wird dann ein Gutachter beurteilen, wie sich die Inhaftiert­e entwickelt hat. Die Anordnung der Sicherheit­shaft wäre auch die Botschaft, dass man davon ausgeht, dass Zschäpe weiter gefährlich ist.

Wie fällt Ihr Urteil über das Verfahren aus?

Das lässt sich in einem Satz sagen: Im Kleinen groß, im Großen klein. Was den Nachweis der engen Tatbeteili­gung von Zschäpe und den anderen Angeklagte­n angeht, hat dieses Verfahren viel geleistet. Allerdings wurden die großen Fragen zu dieser Mordserie und den Versäumnis­sen bei der Aufklärung nicht beantworte­t. Wie groß ist der NSU wirklich? Welche Rolle haben die Verfassung­sschutzbeh­örden gespielt? Viele wichtige Fragen wurden nicht gestellt oder blieben unbeantwor­tet. Dafür ist vor allem die Bundesanwa­ltschaft verantwort­lich. Der Staat will einen Schlussstr­ich und die Akten schließen. Alle heiklen Fragen werden ausgeblend­et.

Wie steht es um die politische Aufarbeitu­ng?

Jetzt sollte genau geprüft werden, welche Konsequenz­en in Bund und Ländern aus den über 40 Empfehlung­en des ersten Untersuchu­ngsausschu­sses gezogen worden sind. Diese Vorschläge betreffen unter anderem die Sicherheit­sbehörden und Geheimdien­ste und was sich dort ändern muss, um ein Staatsvers­agen wie im Fall der NSU zu verhindern. Wir dürfen nicht einfach zur Tagesordnu­ng übergehen. Die Bundeskanz­lerin hatte einst versproche­n, dass alle Behörden mit Hochdruck an der Aufklärung arbeiten würden. Die Geheimdien­ste haben nicht nur Ermittlung­sakten geschredde­rt, sondern auch das Verspreche­n der Bundeskanz­lerin. Das darf nicht das letzte Wort sein.

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FOTO: DPA Mehmet Daimagüler

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