Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Der Unbestechliche
Heiner Geißler, Meister der Zuspitzung, Vertreter christlicher Werte und Modernisierer der CDU ist tot
„Heiner Geißler war einer der markantesten Köpfe unserer Partei: intellektuell herausragend, rhetorisch brillant, streitbar und selbstbewusst.“
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und CDU-Generalsekretär Peter Tauber in einer gemeinsamen Erklärung
„An der Auseinandersetzung mit seiner pointierten Sicht auf die Linke und die Sozialdemokratie ist die Diskussionskultur Deutschlands gewachsen.“
Außenminister Sigmar Gabriel (SPD)
„Mit seiner Vermittlerrolle in Konflikten wie bei S 21 hat er mit die Grundlage für unsere Politik des Gehörtwerdens gelegt.“
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne)
„Ein Mahner, ein Streitschlichter, ein Humanist, ein Konservativer – einer, den wir alle gerade in diesen Zeiten vermissen werden.“
Linkspartei-Chefin Katja Kipping
„Soziale und ökologische Verantwortung, Menschlichkeit. Ich bin tief erschüttert. Sein Vermächtnis bleibt.“ Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU)
„Er erinnerte uns immer wieder daran, dem ,C’ als unserem Wertekompass die gebührende Beachtung zu schenken.“ Unions-Fraktionschef Volker Kauder
BERLIN - Heiner Geißler, der Bergsteiger, Kletterer und Gleitschirmflieger, der Mann mit dem Gesicht wie ein alter Berg, mit den vielen Falten und den verhangenen Augen, war doch so jung wie wenig Jüngere. Er hatte sich seine Neugier auf Gott und die Welt bewahrt. Er war ein konsequenter Denker, Nachdenker, Querdenker. Heiner Geißler ist tot. „Zum Sterben“ließ er sich vor einigen Tagen aus dem Krankenhaus nach Hause bringen. Am Dienstag ist er dann im Alter von 87 Jahren in Gleisweiler in der Pfalz, umgeben von seiner Familie, verschieden.
„Früher gab es noch richtige Köpfe in der Politik.“Immer, wenn solch ein Spruch fällt, ist Heiner Geißlers Name nicht weit. Und über CDU-Generalsekretäre wird nie diskutiert, ohne dass er genannt wird.
Als streitbarer Politiker hat er es Freund und Feind nie leicht gemacht. Helmut Kohl war beides. Er hat Geißler einst als Generalsekretär geholt, er hat ihn später kalt fallen lassen.
Strauß misstraute ihm
Als streitlustiger CDU-Generalsekretär prägte Geißler von 1977 bis 1989 die Ära Kohl so sehr, dass der CSU-Vorsitzende Franz-Josef Strauß 1987 schimpfte, es gebe zwei Parteivorsitzende der CDU. Geißler versuche, die CDU immer mehr auf MitteLinks-Kurs zu führen. Der Mann sehe zwar aus „wie ein ungemachtes Bett“, aber unterschätzen dürfe man ihn keinesfalls, warnte Franz-Josef Strauß die Seinen vor Heiner Geißler. Was für Geißler die überfällige Modernisierung der CDU war, kam in den Augen der CSU einer Verbeugung vor dem Zeitgeist gleich.
Geißler sorgte für die Akzeptanz des Nato-Doppelbeschlusses in seiner Partei, er leitete als Generalsekretär die neue Frauenpolitik der CDU 1985 beim Bundesparteitag in Essen ein. Fest verankert in der katholischen Soziallehre setzte er als Familienminister (1982 bis 85) die Erziehungszeiten durch.
Die Familie war ihm wichtig. Heiner Geißler, in Oberndorf am Neckar geboren, machte bei den Jesuiten in St. Blasien sein Abitur, trat sogar für vier Jahre dem Jesuitenorden bei. Doch er wollte nicht ohne eine Frau an seiner Seite leben, und so wurde er, nach eigenen Worten, eine Art verhinderter Mönch. Ein Mann, der für die christlichen Werte stritt, wann immer nötig. Von manchen wurde er gar als „Rosenkranz-Marxist“verspottet. Gleichzeitig ein Ehemann und Vater von drei Söhnen, einer davon ist heute Sprecher von Peter Altmaier im Kanzleramt.
Die fünfte Kolonne
Der Jurist Heiner Geißler war immer ein Mann der pointierten Worte. In der Nachrüstungsdebatte verspottete er die Gegner in den Reihen der SPD als „fünfte Kolonne Moskaus“. Als er dann auch noch die Haltung der Grünen bekämpfte und sagte, ohne den Pazifismus der 1930er-Jahre wäre Auschwitz nicht möglich gewesen, nannte Willy Brandt ihn den „schlimmsten Hetzer seit Goebbels“. Geißler war ein einsamer Meister der Zuspitzung, der dadurch aber notwendige politische Diskussionen beförderte.
Beide waren gleich alt, Helmut Kohl und Heiner Geißler. Und kurz vor ihren 85. Geburtstagen im März und April des Jahres 2015 lobte Heiner Geißler zwar ausdrücklich Kohls Europapolitik, sah aber ansonsten keinen Grund, sich mit dem Altkanzler zu versöhnen.
Bruch mit Kohl
Der Bruch von 1989 ging zu tief. Damals wollte der müde gewordene Helmut Kohl den streitlustigen Heiner Geißler nicht erneut zum Generalsekretär vorschlagen, sondern Volker Rühe benennen.
Helmut Kohl hatte zu jener Zeit den Zenit seiner Karriere überschritten, dass er mit der deutschen Wiedervereinigung ganz neue Höhen erreichen sollte, war nicht absehbar. Innenpolitisch herrschte Stillstand, viele in der Partei sehnten sich nach einem neuen Aufbruch, nach frischem Wind. Heiner Geißler, der um neue Wählerschichten für die CDU kämpfte, der Frauen und Facharbeiter umwarb, wollte einen anderen Mann an der Spitze der CDU und des Kanzleramts. Er wollte Lothar Späth.
Vor dem historischen Bremer Parteitag von 1989 hatte er zusammen mit Lothar Späth und Rita Süßmuth die Chancen ausgelotet, Helmut Kohl zu stürzen. Die Luft im Bremer Ratskeller war zum Schneiden, die Spannung auf dem Höhepunkt: Wird Helmut Kohl herausgefordert oder nicht?
Doch Lothar Späth verließ in letzter Minute der Mut, er fand nicht genug Unterstützer. Helmut Kohl siegte und schaute triumphierend in den Ratskeller hinab. Es blieb alles beim Alten in der CDU. „Erlegt war fast alles in der CDU, was ein wenig Farbe im Gefieder und das triste Schwarz der Kohl-Partei aufgehellt hatte“, schrieb damals der Spiegel. Und der Süden war zur Strafe raus aus der CDU-Spitze. Kein Späth, kein Oettinger.
Heiner Geißler hat später immer gesagt, dass es sich nicht um einen versuchten Putsch handelte, sondern um einen ganz normalen Vorgang der Ablösung. In einer demokratischen Partei gebe es schließlich keinen Putsch.
CDU und Attac Seite an Seite
Es kommt wohl selten vor, dass die CDU und das globalisierungskritische Netzwerk Attac gleichermaßen ihre Trauer um ein prominentes Mitglied öffentlich kundtun. Bei Geißlers Tod ist dies der Fall. Denn 1989 war lange noch nicht das Ende von Geißlers politischer Karriere. Er änderte sich im Laufe seines Lebens vom unermüdlichen Gegner des menschenverachtenden Kommunismus zum Aktivisten gegen den unsozialen und unökologischen Kapitalismus.
Die totale Ökonomisierung der Gesellschaft führe zu einer Umkehr der Werte, warnte der alte Heiner Geißler. „Wir haben auf der Erde Geld wie Dreck. Es haben nur die falschen Leute“, sagte er da einmal.
Bis 1998 gehörte Geißler dem deutschen Bundestag als Abgeordneter des Wahlkreises ReutlingenTübingen an. Seit 1997 war er ein begehrter Schlichter, zum Beispiel für die IG Bau.
Noch einmal ins volle Rampenlicht trat Geißler 2010/2011 als Schlichter für Stuttgart 21. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hebt hervor, dass er diese Aufgabe selbstlos übernommen habe und auch bei dieser letzten größeren Aufgabe gezeigt habe, dass Wege zur Versöhnung und zum Ausgleich zu gehen wusste.
In Talkshows war Geißler bis zuletzt immer ein beliebter Gast. Denn es war eine Freude, dem immer wieder und immer noch streitbaren Politiker zuzuhören. Einen „Raufbold vor dem Herrn“hat ihn der verstorbene Bundespräsident Rau einmal genannt. Und das war durchaus als Kompliment. gemeint.