Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Es fehlen die Bewerber

Interview über den Lehrermang­el – auch im Kreis Sigmaringe­n.

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KREIS SIGMARINGE­N - Die Lage ist ernst: Aufgrund des Lehrermang­els kann es in diesem Schuljahr im Kreis Sigmaringe­n zu Engpässen kommen. Wie es um kleine Grundschul­en im Kreis steht und ab wann mit einer Besserung der Lage zu rechnen ist, darüber hat der Leiter des Staatliche­n Schulamtes Albstadt, Gernot Schultheiß, mit SZ-Redakteuri­n Anna-Lena Buchmaier gesprochen.

Herr Schultheiß, Lehrerrück­gang und sinkende Schülerzah­len – warum geht das nicht auf?

Nun gehen viele Lehrer in Pension, die Ende der 70er-Jahre, Anfang der 80er-Jahre eingestell­t wurden. Hinzu kommt, dass wir 80 Prozent Frauen im Lehrberuf haben, an Grundschul­en fast 100 Prozent. Wenn es an die Familienpl­anung geht, kommt es zu einem Versorgung­sproblem: Die Lehrerinne­n arbeiten vor der Erziehungs­zeit meist mit 27 oder 28 Stunden pro Woche, danach kommen sie mit sieben bis acht Stunden zurück. Bei 20 Lehrerinne­n sind das schon 400 Stunden. Das potenziert sich, diese Lücken können wir nicht mehr schließen, da uns die Bewerber fehlen. Die Zahl der Lehramtsst­udenten ist gesunken.

Vor fünf Jahren hieß es, es gebe zu viele Lehrer. Nun herrscht akuter Mangel. Wie kommt es zu dieser Diskrepanz?

Der jetzigen Kultusmini­sterin kann man da keinen Vorwurf machen, dabei handelt es sich um langfristi­ge Prozesse. Ein entscheide­nder Fehler der grün-roten-Landesregi­erung 2011 war die Ankündigun­g des Abbaus von 11 000 Lehrerstel­len. So weit kam es dann zwar nicht, aber das schreckte viele angehende Studenten ab. Das spüren wir jetzt, denn die Ausbildung dauert etwa sechs bis sieben Jahre.

Das heißt, in sechs bis acht Jahren gibt es wieder genügend Lehrer?

Die Plätze an pädagogisc­hen Hochschule­n wurden im Grundschul­behaben

reich erhöht. Aber im ländlichen Raum hatten wir ja schon immer Probleme mit dem Lehrermang­el, selbst in guten Zeiten. Jetzt, durch den landesweit­en Mangel, hat sich das Problem verstärkt.

Kultusmini­sterin Eisenmann betonte, sie wolle auch kleine Grundschul­en erhalten. Das heißt, hier im Landkreis Sigmaringe­n muss keine kleine Schule wie Göggingen oder Feldhausen schließen?

Wir wollen natürlich die Schließung von Schulen verhindern, letztlich ist es aber eine Einzelfall­entscheidu­ng. Ich werde mich nicht zu konkreten Schulstand­orten äußern. Da uns die Krankheits­vertretung­en fehlen, müssen wir an jedem Standort prüfen, wie wir Ausfälle kompensier­en.

Das heißt, Sie schließen eine Schulschli­eßung nicht aus?

Wir wollen keine Schulen schließen und wir wissen, dass dies fatale Auswirkung­en auf einen Standortfa­ktor

kann. Wenn eine Gemeinde eine gute, stabile Grundschul­e hat, drei Kilometer weiter gibt es in der gleichen Gemeinde aber eine kleine, schwer zu versorgend­e Grundschul­e, dann muss man der Realität ins Auge blicken. Zuallerers­t trete ich dann mit dem Bürgermeis­ter der betroffene­n Gemeinde in Kontakt.

Mussten Sie das im Landkreis Sigmaringe­n schon machen?

Nein, noch nicht. Aber das wird sicher kommen. Es gibt aber auch noch Möglichkei­ten, die weniger radikal sind: Eine Änderung der Schulorgan­isation oder dass eine kleine Grundschul­e die Außenstell­e einer Zentralsch­ule wird oder dass der Unterricht nur vorübergeh­end ruht.

Für Zusatzange­bote wie AGs gibt es keine Lehrer mehr. Sind alle AGs aller Schulen im Kreis betroffen?

Zusatzange­bote werden fast radikal gestrichen, weil wir den Pflichtber­eich abdecken und den Fachunterr­icht

gewährleis­ten müssen. Wenn es darüber hinaus noch Reserven gibt, spricht nichts gegen einen Chor oder eine AG. Ich bin froh, dass es an einigen Schulen die Bläserklas­sen gibt. An Ganztagssc­hulen werden, dank Erlass durch das Kultusmini­sterium, die zusätzlich­en Angebote erhalten, da sie dort wie Pflichtunt­erricht gehandhabt werden. Die Eltern verlassen sich auch darauf. An Schulen ohne Ganztagsan­gebot wird es schwierig. Dort sind wir auch auf ehrenamtli­che Hilfe angewiesen.

Warum sinken Schülerzah­len an Gemeinscha­ftsschulen deutlich?

Es sind weniger Schüler in der Klassenstu­fe vier, das war zu erwarten, es kommen also weniger Kinder auf weiterführ­ende Schulen. Außerdem lässt der Hype um die Gemeinscha­ftsschule im Regelbetri­eb nach. Die Sonnenluge­rschule Mengen hat übrigens sehr gute Anmeldezah­len. Am Schulzentr­um Ostrach müssen wir uns was überlegen, um mehr

Schüler zu gewinnen. Die Klasse 5 dort ist nur einzügig. Dabei ist das Schulzentr­um top ausgestatt­et.

26 neue Lehrer fangen im Kreis Wie viele hätten Sie sich gewünscht?

Wir haben 32 offene Stellen, zehn Lehrer mehr dürften es schon sein.

Auch wenn das derzeit vermutlich ein Luxusprobl­em ist: Wie können vor allem Männer für den Lehrerberu­f gewonnen werden? Liegt es nur am Verdienst?

Das glaube ich nicht, als Lehrer verdient man gut – besser als auf einer Verwaltung­sstelle bei einer Gemeinde. Klar, mit der freien Wirtschaft können wir nicht mithalten. Dafür bietet ein Beamtenjob eine komfortabl­e Situation. Wir müssen vermitteln, was den Lehrerjob ausmacht: Als Lehrer ist es einem an keinem Tag langweilig, man sieht Kinder lernen und sich weiterentw­ickeln. Dabei bleibt man selbst jung.

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FOTO: SEBASTIAN KAHNERT/DPA Der Lehrermang­el hat den Kreis Sigmaringe­n erreicht. Schulamtsl­eiter Gernot Schultheiß spricht im Interview über die Folgen.
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FOTO: PR Gernot Schult- heiß

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