Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Terroranschlag in der Londoner U-Bahn
Fast 30 Verletzte nach Explosion – Merkel für verstärkten Kampf gegen Islamismus
LONDON (dpa) - Großbritannien ist zum fünften Mal in diesem Jahr Ziel eines Anschlags geworden. In einer Londoner U-Bahn explodierte am Freitagmorgen eine selbst gebaute Bombe. Mindestens 29 Menschen wurden verletzt und in Krankenhäusern versorgt, überwiegend wegen Verbrennungen. Wie Polizei und Rettungsdienste weiter berichteten, schwebte zunächst niemand in Lebensgefahr.
Die Polizei, die wegen Terrorverdachts ermittelt, fahndete nach dem Täter oder den Tätern. Am Abend reklamierte der sogenannte Islamische Staat den Anschlag für sich. Bei vier früheren Anschlägen in Großbritannien in diesem Jahr waren insgesamt 36 Menschen ums Leben gekommen, drei der Attacken gingen auf das Konto von Islamisten.
Die Bombe in London explodierte gegen 8.20 Uhr mitten im morgendlichen Berufsverkehr in einer voll besetzten U-Bahn nahe der oberirdischen Haltestelle Parsons Green. Augenzeugen berichteten von einem lauten Knall und einem „Feuerball“in der Bahn. In sozialen Medien kursierten Bilder und Videos von einem weißen Eimer in einer Supermarkttüte, der in dem Waggon eine Explosion ausgelöst haben soll. Aus dem Eimer hingen Drähte. Nach BBC-Informationen wurde der Sprengsatz per Zeitschaltuhr gezündet.
Premierministerin Theresa May berief den nationalen Krisenstab ein. „Meine Gedanken sind bei denen, die in Parsons Green verletzt wurden“, ließ May mitteilen. Die „feige“Tat sei darauf gerichtet gewesen, erheblichen Schaden anzurichten. Großbritannien rief daraufhin die höchste Terrorwarnstufe aus. Die Warnstufe fünf bedeutet, dass die Behörden einen unmittelbar bevorstehenden Terroranschlag für möglich halten.
Der Präsident des Europaparlaments, Antonio Tajani, drückte sein Mitgefühl aus. „Terrorismus kennt keine Grenzen und wird besiegt, indem man zusammenarbeitet“, erklärte er auf Twitter. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) machte die Anteilnahme Deutschlands deutlich. „Unsere Gedanken sind natürlich bei den Verletzten“, sagte Merkel nach einem Gespräch mit Frankreichs Premier Édouard Philippe in Berlin. Der Fall sei eine Bestärkung dafür, die internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen islamistischen Terrorismus zu verstärken. US-Präsident Donald Trump rief ebenfalls zu einem härteren Vorgehen gegen Extremisten auf.
LONDON - Glimpflich davongekommen - das dachten am Freitag sicher manche Londoner, als sie von der jüngsten Attacke auf ihre Stadt hörten. Zwar mussten nach der Explosion am U-Bahnhof Parsons Green in Fulham 22 Menschen in Krankenhäusern behandelt werden, jedoch hatte kein Patient lebensgefährliche Verletzungen davongetragen. Die Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“(IS) beansprucht den Anschlag für sich. Der Bombenanschlag sei von einer „Abteilung des Islamischen Staats“verübt worden, hieß es in einer am Abend vom IS-Propagandasprachrohr Amaq im Internet veröffentlichten Erklärung.
Der Zug der District Line war gerade in Parsons Green angekommen, als gegen 8.20 Uhr (Ortszeit) eine Detonation den vorletzten Waggon erschütterte. „Ein richtig heißer Feuerball sengte mir die Haare ab“, berichtete später Passagier Peter Crowley der BBC. Die Wirkung der selbstgebastelten Bombe blieb vergleichsweise gering, weil die U-Bahntrasse an dieser Stelle überirdisch verläuft. Eine Explosion im Tunnel hätte vielleicht schlimmere Folgen gehabt.
Panik bei Evakuierung
Kurz nach dem Anschlag sei „die ganze Gegend voller Polizei, Feuerwehr und Krankenwagen“gewesen, erzählte der bekannte Historiker Antony Beevor, dessen Haus 200 Meter Luftlinie vom Ort der Explosion entfernt liegt. Bei der Evakuierung des Zuges kam es zu einer Panik. Mehrere Reisende stürzten auf der Treppe, die vom hochgelegenen Bahnsteig zur Straße führt, und wurden von nachfolgenden Passagieren niedergerannt. Dennoch blieben auch hier schwerere Verletzungen aus. Binnen weniger Minuten waren Krankenwagen zur Stelle, die 18 Verletzte abtransportierten. Die meisten hatten Verbrennungen erlitten.
Der Antiterror-Chef der Londoner Polizei, Mark Rowley, sprach schon kurz darauf von einem terroristischen Anschlag. Seine mehrere Hundert Mitglieder umfassende Sonderkommission erhalte Unterstützung vom Inlandsgeheimdienst MI5, berichtete er und bat die Bevölkerung um Mithilfe. Wie bei den früheren Terroranschlägen auf der Insel hielten es Experten rasch für wahrscheinlich, dass islamistische Fanatiker hinter der Attacke stecken.
Ausgelöst wurde die Explosion offenbar durch Sprengstoff in einem weißen Plastikeimer, der in einer Plastiktüte der in Großbritannien populären Supermarkt-Kette Lidl steckte. Sie war in einer Ecke des Zuges abgestellt. Allgemein herrscht bei UBahnbenutzern in London hohe Sensibilität für herrenloses Gepäck.
Premierministerin Theresa May verurteilte den Anschlag. Gemeinsam werde man den Terrorismus besiegen, sagte die Regierungschefin der BBC. Noch am Freitag zog das Geschehen transatlantische Verwerfungen nach sich. US-Präsident Donald Trump verurteilte den Anschlag als eine Tat von „kranken und verrückten Leuten“, die Scotland Yard „im Blick gehabt“habe. „Müssen proaktiv sein!“, twitterte Trump. Seine Bemerkung lässt den möglichen Schluss zu, dass dem Weißen Haus einige Hintergründe über die Täter bekannt waren.
May distanzierte sich deutlich von ihrem wichtigsten Partner: Es sei „nie hilfreich, über eine noch andauernde Untersuchung zu spekulieren“. Zwar gab der Scotland Yard daraufhin den britischen Medien zu verstehen, die Mitteilung des US-Präsidenten sei spekulativ. Sie weckte aber unangenehme Erinnerungen an die Terrorattacke von Manchester im Mai, als die US-Geheimdienste Fotos vom Tatort mit Teilen der Bombe an die „New York Times“weiterreichten.
Höchste Terrorwarnstufe
Der Anschlag von Parsons Green hat Einfluss auf die Einschätzung der Gefährdungslage auf der Insel: Am Abend hat Großbritannien die höchste Terrorwarnstufe ausgerufen. Bis dahin galt die zweithöchte Stufe.
Bei Anschlägen in Großbritannien kamen seit Jahresbeginn 36 Menschen ums Leben. Fünf Menschen starben im März bei einem Angriff auf der Westminster-Brücke und am Parlamentsgelände. Acht Tote war die Bilanz eines Anschlags auf der London-Bridge und dem Ausgehviertel Borough Market im Juni. Ein Mensch starb bei einem Angriff auf Gläubige vor einer Moschee, beim Bombenattentat auf ein Konzert in Manchester waren es 22 Menschen.
„Die Terroristen haben sich vorgenommen, uns zu töten, uns zu verletzen und unseren Lebensstil zu zerstören“, sagte Londons Bürgermeister Sadiq Khan. Und ergänzte trotzig, die Londoner ließen sich niemals einschüchtern. Und tatsächlich gab es ermutigende Szenen. Ein Pizzabäcker verteilte kostenlos Pizza und Getränke an Einsatzkräfte. Per Twitter luden Menschen Betroffene zu Tee und Gebäck in ihre Wohnungen ein. „Wir müssen einfach weitermachen“, sagte ein Anwohner.