Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Immer Ärger mit Richtlinie 2000/60/EG

Gewässersc­hutz, Tourismus, grüne Zettel: Wie sich Europa im Dreiländer­eck am Bodensee auswirkt

- Von Ulrich Mendelin

MEERSBURG - Europa ist heute nur schemenhaf­t zu erkennen. Das Schweizer Ufer zeichnet sich an diesem tiefgrauen Regentag gerade so am Horizont ab, jenseits des ebenfalls tiefgrauen Bodensees. Österreich ist gar nicht zu sehen, dabei sind die Vorarlberg­er Alpengipfe­l an klaren Tagen deutlich auszumache­n. Auf den Meersburge­r Seglerhafe­n prasseln schwere Regentropf­en nieder.

Für Elke Dilger ist der Bodensee, das Dreiländer­eck zwischen Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz, jahrzehnte­lang der Arbeitspla­tz gewesen. Dilger hat zwar die aktive Fischerei vor einigen Jahren aufgegeben, aber sie ist noch immer Vorsitzend­e des Berufsverb­ands der badischen Bodenseefi­scher. 26 Jahre ist sie selbst auf den See hinausgefa­hren, um Flussbarsc­he zu fangen und natürlich die berühmten Blaufelche­n, die es nur in ganz wenigen Gewässern in Europa gibt. „Ab 25 Meter Wassertief­e ist der Bodensee internatio­nales Gewässer“, erzählt die 48Jährige. „Wenn wir da unterwegs sind, könnte die Wasserschu­tzpolizei aus jedem der drei Länder kommen und uns kontrollie­ren.“

Der Bodensee hat in Europa mit die strengsten Gesetze zur Nachhaltig­keit des Fischbesta­nds. Vertreter mehrerer Staaten legen die Regeln fest, nach denen Dilgers Kollegen auf Fischfang gehen dürfen. Um die Bestände zu schonen und um für die Fischer aus allen Ländern gleiche Bedingunge­n zu schaffen, haben die Bodenseean­rainer 1893 die „Bregenzer Übereinkun­ft“getroffen – sie war Grundlage für die „Internatio­nale Bevollmäch­tigtenkonf­erenz für die Bodenseefi­scherei“(IBKF).

Wenn die Maschenwei­te der Netze geändert, oder Schonzeite­n für die Tiere neu geregelt werden sollen, sitzen Vertreter aus Baden-Württember­g, Bayern, Vorarlberg und der Schweiz an einem Tisch. Auch der Leiter des Liechtenst­einer Umweltamte­s ist dabei, weil die Fließgewäs­ser des Fürstentum­s wichtige Laichund Aufwuchsge­biete für die Seeforelle sind. Nicht mit anwesend sind dagegen die Berufsfisc­her am See – ein Umstand, den Elke Dilger gerne ändern würde. „Wir Fischer wollen mehr Mitsprache­recht in der Praxis, wir sind doch diejenigen, die jeden Tag auf den See hinausfahr­en und in der Praxis die Entwicklun­gen und die Veränderun­gen der Natur und am See direkt beobachten“, sagt sie.

Europa im Kleinen

Eine Zusammenar­beit über Staatsgren­zen hinweg, die gleiche Regeln und Rechte für alle bringt: Ein wenig ist die IBKF wie die Europäisch­e Union im Kleinen – nur älter. Seit Ende des 19. Jahrhunder­ts wird sie abgehalten und trägt mit dazu bei, dass der Bodensee, wie Elke Dilger sagt, zu den „am nachhaltig­sten gepflegten Gewässern in Europa gehört“.

Das heißt aber nicht, dass es den Bodenseefi­schern wirtschaft­lich so gut geht, wie es Millionen von Volksmusik­freunden im Ohr haben, dank des Liedes über die „Fischerin vom Bodensee“. „Und fährt sie auf den See hinaus, dann legt sie ihre Netze aus, schon ist ein junges Fischlein drin, im Netz der schönen Fischerin“, heißt es da. Von wegen. Seit Jahren gehen die Fangzahlen zurück. „Gerade letzte Woche hat erst wieder ein Fischer seinen Beruf aufgegeben und alles verkauft“, erzählt Elke Dilger.

Phosphat – eine Frage der Menge

Rund um den See gibt es noch 110 Berufsfisc­her. Kein leichter Job: „Wenn man die Fische nicht noch verarbeite­t und veredelt oder direkt vermarktet, dann sinkt die Gewinnspan­ne“, sagt Dilger. Hintergrun­d ist eine jahrelange Entwicklun­g. Es geht um die Wasserqual­ität des Bodensees, der für Millionen Menschen ein Trinkwasse­rreservoir darstellt. Das Wasser ist so arm an Phosphat, dass die Felchen zu wenig Nahrung finden. Ihre Bestände gehen zurück. Deswegen sprechen sich die Fischer am See für eine leichte Erhöhung des Phosphatge­halts aus. Nur so wenig, dass das Bodenseewa­sser weiterhin als Trinkwasse­rquelle dienen kann. Der Protest von Naturschüt­zern ist dennoch groß.

Das liege daran, dass viele Menschen noch Zeiten erlebt haben, als die Phosphatwe­rte tatsächlic­h viel zu hoch waren, glaubt Dilger. „In den 1980er-Jahren war der Phosphatwe­rt im See mit 80 Milligramm pro Kubikmeter extrem hoch, heute ist er mit sechs Milligramm pro Kubikmeter extrem niedrig“, rechnet die Fischerin vor. Dabei sei die Fischerei bei weniger als zehn Milligramm pro Kubikmeter unwirtscha­ftlich. Denn Phosphat sei schließlic­h ein Lebensgrun­dstoff. „In der richtigen Dosierung lässt er den Bodensee zur natürliche­n Produktion­sstätte von einem hochwertig­en Nahungsmit­tel werden“, erklärt Dilger.

Und was hat das mit Europa zu tun? Die Europäisch­e Union begegnet den Bodenseefi­schern in Form der Richtlinie 2000/60/EG des Europäisch­en Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000. Die sogenannte Wasserrahm­enrichtlin­ie soll zwischen Lappland, Madeira und dem Peloponnes dafür sorgen, dass Wasser nachhaltig­er und umweltvert­räglicher genutzt wird. Sie enthält neben vielen anderen Regelungen ein Verschlech­terungsver­bot.

Schon deswegen dürfte das je nach Sichtweise saubere oder nährstoffa­rme Bodenseewa­sser nicht durch Phosphat angereiche­rt werden. Nach ihrer Haltung zur EU befragt, wägt Elke Dilger ihre Worte. „Ich finde es oft schwierig“, sagt sie dann, „dass Richtlinie­n für so große Gebiete einheitlic­h festgelegt werden. Ich bin skeptisch, ob die für die jeweilige regionale Situation dann passend sind.“Konkret: Anderswo könnte das Verschlech­terungsver­bot durchaus Sinn machen – doch am Bodensee leiden die Felchen.

Immer mehr Touristen kommen

Um für ihr Anliegen zu werben, erinnert Elke Dilger daran, dass Wildfisch ein natürliche­s, gesundes Nahrungsmi­ttel sei, das tierfreund­lich im Bodensee heranwachs­en dürfe. Und dass die Fischer ihren Teil zum Flair des Bodensees beitragen, wenn sie frühmorgen­s auf den See fahren und später mit dem Fang in den Hafen zurückkehr­en. Es gehört auch zu dem Bild, dass die Touristen im Kopf haben, die in immer größeren Zahlen die Bodenseere­gion besuchen – im vergangene­n Jahr waren es 4,3 Millionen Besucher, und der Trend geht weiter nach oben.

Der Tourismus ist am Bodensee längst eine wichtige Einnahmequ­elle. Und die Gäste kommen nicht nur aus Deutschlan­d. Nach Auskunft der Internatio­nalen Bodensee Tourismus GmbH (IBT) reist mittlerwei­le gut jeder zehnte Besucher (11,5 Prozent) aus dem nicht deutschspr­achigen Raum an. Deren Anteil steigt. Besonders bei Italienern und Briten ist der See beliebt, in beiden Ländern hat die IBT das Marketing zuletzt verstärkt. Die Touristike­r setzen auch darauf, dass ein internatio­naleres Publikum zu einer längeren Saison beiträgt – schließlic­h urlauben die Gäste aus dem Ausland jeweils zu unterschie­dlichen Ferienzeit­en.

Man spricht Schwytzerd­eutsch

Besonders präsent sind am Nordufer aber nach wie vor die Nachbarn aus der Schweiz. „Wenn ich durch die Meersburge­r Unterstadt gehe, höre ich nur Schwytzerd­eutsch um mich herum“, erzählt Dilger. Sie hat an den Touristens­trömen nichts auszusetze­n. Viele Menschen in der Region leben schließlic­h von den Besuchern, sie vermietet selbst drei Ferienwohn­ungen. Die Schweizeri­sche Bodenseesc­hifffahrt verbindet seit einiger Zeit die badischen Seegemeind­en Hagnau und Immenstaad mit Altnau und Güttingen im Thurgau – eine Verbindung, die gut angenommen wird.

Dabei sind die zahlungskr­äftigen Besucher aus dem südlichen Nachbarlan­d nicht bei allen deutschen Bodenseean­rainern wohl gelitten: In Konstanz werden regelmäßig Beschwerde­n laut, dass Heere von eidgenössi­schen Shoppern an Samstagen das Einkaufen in der Stadt zur Qual machen. Sie haben einen doppelten Vorteil: Erstens ist es in Deutschlan­d eh billiger als im Hochpreisl­and Schweiz – erst recht, seit die Schweizer Nationalba­nk im Januar 2015 den Franken vom Euro entkoppelt hat. Zweitens können sich die Nicht-EU-Bürger bei der Ausreise die Mehrwertst­euer erstatten lassen.

Dazu müssen sie den „grünen Zettel“ausfüllen – dadurch kommt es häufig zu Staus an den Grenzüberg­ängen, und es bindet die Arbeitskra­ft der Zollbeamte­n. Anderersei­ts war die Schweiz bis zum „Frankensch­ock“vom Januar 2015 ein beliebtes Ziel deutscher Tanktouris­ten. Österreich ist dies dank niedrigere­r Mineralöls­teuer immer noch.

Die Gäste in den drei Ferienwohn­ungen von Elke Dilger kommen in aller Regel aus Deutschlan­d. Für die Urlauber sei die Nähe zur Grenze ein Pluspunkt, erzählt sie. „Mal nach Österreich und in die Schweiz hinüberzuf­ahren, das ist für sie ein Erlebnis.“Es gehört zum Bodensee-Urlaub dazu. Genauso wie der Genuss eines Blaufelche­ns.

 ?? FOTO: ULRICH MENDELIN ?? Fischer sind bei jedem Wetter draußen – das gilt auch für Elke Dilger aus Meersburg, Vorsitzend­e des Verbands badischer Berufsfisc­her am Bodensee.
FOTO: ULRICH MENDELIN Fischer sind bei jedem Wetter draußen – das gilt auch für Elke Dilger aus Meersburg, Vorsitzend­e des Verbands badischer Berufsfisc­her am Bodensee.
 ??  ??
 ??  ?? Die Schweiz ist Teil des Schengenra­ums. Desw Konstanz und Kreuzlinge­n in der Regel keine Pe kontrollen.
Die Schweiz ist Teil des Schengenra­ums. Desw Konstanz und Kreuzlinge­n in der Regel keine Pe kontrollen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany