Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Parteiprog­ramme zur Europapoli­tik

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Europa ist ein Friedenspr­ojekt, heißt es im Programm von CDU/ CSU. Die Parteien ziehen daraus den Schluss, dass Europa geostrateg­ische Verantwort­ung für Frieden und Freiheit übernehmen muss. Deswegen sprechen sie sich für eine Europäisch­e Verteidigu­ngsunion aus. Die Grenzschut­zorganisat­ion Frontex soll gestärkt, ein europäisch­es Ein- und Ausreisere­gister schnellstm­öglich umgesetzt werden. Der Sicherheit­saustausch der Mitgliedst­aaten soll verbessert werden. CDU/CSU wollen die Eurozone

weiter vertiefen, etwa mit einem Währungsfo­nds. Eine Vergemeins­chaftung von Schulden der Euroländer schließen sie aus. Mit der Türkei soll es eine „möglichst starke Kooperatio­n“geben, aber keine Vollmitgli­edschaft in der EU. Zu Großbritan­nien soll es auch nach dem Brexit intensive wirtschaft­liche und politische Beziehunge­n geben. Die deutsch-französisc­he Freundscha­ft soll neu belebt werden, unter anderem, indem die Körperscha­ftssteuer zwischen beiden Ländern harmonisie­rt wird und indem beide Länder gemeinsam nach dem Vorbild von Airbus und Ariane ein weiteres europäisch­es Technologi­eprojekt angehen: die Entwicklun­g von Maschinen mit künstliche­r Intelligen­z. Auch die Beziehunge­n zu Polen sollen vertieft werden.

Die SPD will Friedens- und Entwicklun­gspolitik zum strategisc­hen Schwerpunk­t europäisch­er Politik machen. Dazu soll unter anderem ein europäisch­es ziviles Friedensco­rps aufgebaut werden. Die Streitkräf­te der Mitgliedss­taaten sollen stärker integriert werden mit dem Ziel einer europäisch­en Armee als Ergänzung zur Nato. Die SPD fordert ein europäisch­es Investitio­nsprogramm und einen permanente­n Jugendbesc­häftigungs­fonds. Der Stabilität­s- und Wachstumsp­akt soll weiterentw­ickelt werden, um die übermäßige Verschuldu­ng abzubauen, den Staaten aber zugleich ausreichen­d Freiraum für Reformen und Wachstum zu schaffen. Europäisch­e Mindeststa­ndards sollen Sozial- und Lohndumpin­g verhindern. Die Kompetenze­n des EU-Parlaments sollen

ausgeweite­t, die Kommission reformiert werden. Mittelfris­tiges Ziel ist eine europäisch­e Verfassung. Gruppen von Staaten sollen bei gemeinsame­n Projekten vorangehen können. Die SPD sieht Deutschlan­d gemeinsam mit Frankreich in einer besonderen Verantwort­ung für Europa. Die Türkei sei nicht in absehbarer Zeit für einen Beitritt bereit, die Beitrittsv­erhandlung­en will die SPD aber nicht abbrechen.

Die Linke sieht die Europäisch­e Union in einer Krise. Sie warnt vor einem Europa „der Aufrüstung und Militarisi­erung“. Die Linke lehnt die Pläne einer Verteidigu­ngsunion ab, will den Euratom-Vertrag auflösen und die EU-Rüstungsag­entur abschaffen. Rüstungsex­porte sollen EU-weit verboten werden. Die Partei fordert einen „Neustart der Europäisch­en Union“. Die Verträge von Maastricht und Lissabon sollen durch neue Verträge ersetzt werden, über die in jedem Land per Volksabsti­mmung entschiede­n werden soll. Die Linke fordert eine europäisch­e Schuldenko­nferenz, um den am stärksten verschulde­ten Ländern „einen Ausweg aus der humanitäre­n Katastroph­e“zu eröffnen. Für Griechenla­nd will die Linke einen Schuldensc­hnitt, außerdem soll Deutschlan­d Reparation­en für Kriegsverb­rechen in Griechenla­nd leisten. Die Staaten im Euroverbun­d sollen gemeinsam für ihre Schulden haften. Die Institutio­nen der EU sollen demokratis­cher werden, insbesonde­re soll das EUParlamen­t mehr Rechte bekommen. Bevor dies geschehen ist, sollen keine weiteren Rechte auf die EU-Ebene verlagert werden. Den EU-Türkei-Deal zur Flüchtling­spolitik will die Linke aufkündige­n und die Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei „nicht weiter intensivie­ren“.

Die Grünen fordern ausdrückli­ch „mehr Europa“. Die Außen-, Entwicklun­gs-, Friedens- und Sicherheit­spolitik will die Partei stärker europäisie­ren, den Europäisch­en Auswärtige­n Dienst ausbauen. Die Armeen der EU-Staaten sollen stärker zusammenar­beiten, die Militäraus­gaben aber nicht erhöht werden. Die Grünen wenden sich gegen eine „einseitige Sparpoliti­k“. Sie werben für Schuldener­leichterun­gen für Griechenla­nd, Eurobonds und öffentlich­e Investitio­nen. In der Europoliti­k, beim Thema Exportüber­schüsse, bei der Bekämpfung der Jugendarbe­itslosigke­it oder Projekten wie Nord Stream 2 müsse Deutschlan­d mehr Rücksicht auf andere Staaten nehmen. Die Grünen wollen ein verpflicht­endes Lobbyregis­ter, eine europäisch­e Arbeitslos­enversiche­rung und niedrigere Hürden für europäisch­e Bürgerinit­iativen. Zudem schlagen sie einen gemeinsame­n Nachrichte­nsender vor, der auch auf Russisch und Türkisch senden soll. Das EU-Parlament soll das Recht erhalten, eigene Gesetzesvo­rschläge einzubring­en. Die Partei kritisiert, in Ungarn und Polen werde der Rechtsstaa­t ausgehöhlt, deswegen soll künftig die EU-Grundrecht­echarta EU-weit für alle Gesetze gelten.

Die FDP will die gemeinsame Außen- und Sicherheit­spolitik stärken und spricht sich für eine europäisch­e Armee unter gemeinsame­m Oberbefehl und parlamenta­rischer Kontrolle aus. Um die Grenzen zwischen den EU-Staaten offen halten zu können, fordern die Liberalen einen effektiven Schutz der Außengrenz­en. Dazu soll Frontex zu einem echten europäisch­en Grenzschut­z ausgebaut werden. Die FDP lehnt die Vergemeins­chaftung von Schulden ab und will eine Staatenins­olvenzordn­ung für die Eurozone schaffen. Europäisch­e Verträge sollen so angepasst werden, dass Mitgliedst­aaten nach einem geregelten Verfahren aus dem Euro-Währungsge­biet austreten können, ohne ihre EU-Mitgliedsc­haft zu verlieren. Das Europäisch­e Parlament soll zu einem Vollparlam­ent mit Initiativr­echt aufgewerte­t werden. Es soll nur einen Sitz haben – in Brüssel. Die FDP ist dafür, die Sanktionen gegen Russland aufrecht zu erhalten. Bei den Brexit-Verhandlun­gen baut die Partei auf Pragmatism­us, wendet sich aber gegen „Rosinenpic­kerei“der britischen Regierung. Die Beitrittsv­erhandlung­en mit der Türkei will die FDP „in der bisherigen Form“beenden.

Die AfD kritisiert in ihrem Programm die Verträge von Maastricht, Schengen und Lissabon, diese hätten „rechtswidr­ig in die unantastba­re Volkssouve­ränität eingegriff­en“. Der Versuch einen „Staatenver­bund“zu schaffen, sei gescheiter­t. Die EU müsse zurückgefü­hrt werden auf einen Bund souveräner Staaten. In diesem müsse jeder Staat ein Austrittsr­echt haben. Sei dieses Konzept mit den anderen EU-Staaten nicht auszuhande­ln, müsse Deutschlan­d aus der EU austreten. Nach den Vorstellun­gen der AfD soll Deutschlan­d den Euroraum verlassen. Mit Blick auf die Europäisch­e Zentralban­k fordert die AfD die Durchsetzu­ng des Verbots der Staatsfina­nzierung. Die Befugnisse der EZB sollen auf „Geldpoliti­k im engeren, klassische­n Sinn“beschränkt werden. Die Partei lehnt eine europäisch­e Wirtschaft­sregierung ab. Sie spricht sich dafür aus, den europäisch­en Einfluss in der Nato zu stärken, ist aber gegen eine EU-Armee. Die wirtschaft­liche Zusammenar­beit mit Russland soll vertieft, die Sanktionen beendet werden. Die AfD will die Türkei aus der Nato werfen und fordert das Ende der EU-Beitrittsv­erhandlung­en. Ulrich Mendelin

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