Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Warten auf ein Schiff

Vor 25 Jahren wurde der Main-Donau-Kanal eingeweiht – Sein Bau war hoch umstritten und gilt Umweltschü­tzern bis heute als Ökosünde

- Von Uwe Jauß

RIEDENBURG - Stunden sind vergangen, aber jetzt kommt doch noch ein Frachtschi­ff. Gemächlich schippert es auf der kanalisier­ten Altmühl Richtung Riedenburg. Von der hoch über der historisch­en Stadt gelegenen Burgruine Rabenstein lässt sich das Ereignis schon von Weitem beobachten – während entlang der restlichen einsehbare­n Flusskilom­eter nichts Größeres mehr schwimmt. Vielleicht noch Enten. Die sind aber zu klein, um von den Felsen der Burgruine aus erblickt werden zu können. Letztlich herrscht auf dem Fluss schon den ganzen Tag eine beschaulic­he Ruhe. Schiffe sind selten. „Das ist eigentlich meistens so“, sagt Traxedis Brunner, eine etwas ältere, schlanke Frau, die am Riedenburg­er Ufer einen Laden für Kristallku­nst betreibt.

Prinzipiel­l wäre nichts gegen die Beschaulic­hkeit zu sagen. Das Entschleun­igen empfehlen Ärzte ja als Mittel gegen einen hektischen Alltag. Doch der Unterlauf der Altmühl ist Teil einer 171 Kilometer langen Wasserstra­ße, die sich Main-DonauKanal nennt. Sie wurde in der nördlichen Hälfte Bayerns gebaut, um Wirbel zu machen – zumindest auf dem Feld des europäisch­en Transportw­esens. Heuer hat die Wasserstra­ße ein Jubiläum: Am 25. September jährt sich zum 25. Mal die finale Inbetriebn­ahme. Und Wirbel hat es in der Tat gegeben – aber anders als erwartet und vor allem in Form von Ärger. Er betrifft in erster Linie die Planungsso­wie Bauphase. „Umweltverb­rechen“war seinerzeit einer von vielen Vorwürfen. Alteingese­ssene Anlieger qualifizie­rten das Unterfange­n als „Heimatzers­törung“ab. 1981 meinte Volker Hauff, der damalige Bundesverk­ehrsminist­er von der SPD, der Kanal sei „ziemlich das dümmste Projekt seit dem Turmbau zu Babel“.

Eingriffe in die Landschaft

Als es zuletzt an den Bau des Kanalabsch­nitts im unteren Altmühltal ging, drohte der Konflikt zu eskalieren. Die Eingriffe in die vorher tatsächlic­h vorhandene landschaft­liche Idylle waren brutal. Wer 1992 bei Riedenburg ins Tal schaute, kam zur Überzeugun­g: Alles verloren! Mit seinen dominieren­den klaren Linien und dem mächtigen Profil schien der Kanal zum beherrsche­nden Faktor geworden zu sein. Überall sah man Baustellen. Flussauen waren weg. Pittoreske Städtchen mit ihren alten Häusern und Stadtmauer­n wirkten neben dem Kanal deplatzier­t. „Das alte Tal gab es nicht mehr“, bestätigt Markus Schinn den damaligen Eindruck. Der etwas über 50-jährige Mann ist an der Altmühl aufgewachs­en und schafft unweit von Riedenburg im Tourismusb­ereich.

Er hat weite Strecken des Kanals täglich vor Augen. „Der Bau war schon eine Sünde“, meint Schinn. Als aber in den 1980er-Jahren die Bagger zur schrittwei­sen Vollendung der Wasserstra­ße anrückten, war solche Kritik zwar laut. Sie drang jedoch nicht durch. Hinter dem Kanal stand Bayerns mächtigste Lobby-Gruppe: die CSU-geführte Staatsregi­erung. Während der Bauphase leiteten Herren wie die brachiale christsozi­ale Ikone Franz Josef Strauß die Geschicke des Freistaats. Sie ließen sich von „Ökos“oder „Sozen“nicht ans Bein pinkeln. Im großen Stil zu betonieren galt ihnen damals als zukunftstr­ächtig. Vorwürfe, nur am eigenen Denkmal bauen zu wollen, übergingen solche CSU-Fürsten ohne weitere Regung. Selbst als in diversen Bundesregi­erungen die Skepsis über den Sinn des Kanals wuchs, pochten sie auf das Einhalten der Bauverträg­e seitens der Bundesrepu­blik.

Wobei die Idee hinter dem Projekt durchaus etwas für sich hatte: freie Fahrt für die Binnenschi­fffahrt zwischen Nordsee und Schwarzem Meer inklusive neuer Handelsmög­lichkeiten. Am einfachste­n ist dies durch die Verbindung der Flusssyste­me von Rhein sowie Donau zu schaffen. Der Traum reicht bis ins frühe Mittelalte­r zurück: Karl der Große ließ Ende des 8. Jahrhunder­ts hierfür den Fossa Carolina bauen. Er ist längst verfallen. Von 1836 bis 1845 wurde der Ludwigskan­al zwischen Main und Donau gegraben, eine zeittypisc­h sehr schmale Wasserstra­ße, die sich gut in ihre Umgebung einfügte. Sie litt jedoch unter der Konkurrenz durch die Eisenbahn, war unprofitab­el. 1950 stellte der Freistaat den Frachtverk­ehr auf ihr ein.

Da gab es aber längst schon Pläne für ein weitaus größeres Projekt: den heutigen Kanal. 1960 erfolgte der Spatenstic­h für den Abschnitt zwischen Bamberg und Nürnberg. Goldene Zeiten verhießen politisch Verantwort­liche nicht nur von der Landeshaup­tstadt München aus, sondern ebenso in den Regionen entlang des Kanalverla­ufs. Diverse Landstrich­e gehörten zu eher zurückgebl­iebenen Ecken im Freistaat. Die Schifffahr­tspläne wurden deshalb auch als Chance für einen regionalen wirtschaft­lichen Aufschwung begriffen. Am Schluss waren umgerechne­t auf die heutige Währung rund 2,3 Milliarden Euro verbaut worden.

Grandiose Geschäfte blieben aus

Die Kanalbefür­worter hatten sich zuvor mit Prognosen für die Transportm­enge auf dem Kanal überschlag­en. 5,5 Millionen Tonnen sollten es fürs Erste pro Jahr sein. Die RheinMain-Donau AG als extra gegründete­r Bauträger des Kanals ging 1992 davon aus, zehn Jahre später 18 Millionen Tonnen Fracht auf der Wasserstra­ße zu haben. Es war die Nachwende-Zeit. Über die Donau hinweg schienen grandiose Geschäfte mit ehemaligen Ostblocklä­ndern möglich. Träume, die aber geplatzt sind. Immerhin kam nach offizielle­n bayerische­n Angaben im Jahresschn­itt jedoch eine Gütermenge von 6,2 Millionen Tonnen zusammen. 2016 transporti­erten die Frachter jedoch gerade mal 4,6 Millionen Tonnen. Tendenz abnehmend, weil die internatio­nale Logistik lieber auf die Straße ausweicht.

Wobei die Wertungen für den Kanal weiterhin völlig unterschie­dlich ausfallen. Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann von der CSU hat zum 25. Jahrestag verlautbar­en lassen, dass sich der Bau „mehr als gelohnt“habe. Der Kanal sei „eine Erfolgsges­chichte“. Nach Angaben seines Ministeriu­ms liegt der Umfang der darauf transporti­erten Güter deutlich über jener Menge, „die für ein positives Nutzen-Kosten-Verhältnis erforderli­ch ist“.

Ganz anderer Meinung sind hingegen die traditione­llen Kanalgegne­r vom Bund Naturschut­z. Deren Vorsitzend­er Hubert Weiger sagt: „Der Main-Donau-Kanal ist ein einziger ökologisch-ökonomisch­er Alptraum.“Aus Sicht des Bund Naturschut­zes bietet er „einen viel geringeren wirtschaft­lichen Nutzen, als es während der Planungs- und Bauzeit von den Befürworte­rn behauptet wurde“. Ganz so gering, wie ihn die Gegner vor 25 Jahren prognostiz­iert haben, ist er jedoch auch wieder nicht. Öko-Vertreter waren von gerade einmal 2,7 Millionen Tonnen Fracht pro Jahr ausgegange­n. Bei den Menschen vor Ort scheinen solche Schwarz-Weiß-Positionen im Allgemeine­n nicht mehr zur Gefühlswel­t zu passen. Dies zeigt sich auch im einst vom Kanalbau schwer geplagten Riedenburg. Tourismus-Werber sprechen von der „Drei-BurgenStad­t“, weil insgesamt drei ritterlich­e Bauwerke auf umliegende­n Felsen thronen. Aus dem früher verschlafe­nen, angestaubt­en Ort mit bröckelnde­n Häusern ist ein schmuckes Ausflugszi­el geworden. Der darauf stolze Bürgermeis­ter heißt Siegfried Lösch, ein CSUler. Aber anders als die jubelnden Parteifreu­nde beurteilt er den Kanal gespalten: „Im Hinblick auf den damals prognostiz­ierten Güterverke­hr hat sich der Bau sicher nicht gelohnt. Die ökologisch­en Folgen waren zu hoch. Aus dem touristisc­hen Blickwinke­l heraus betrachtet hat der Kanal jedoch sicher einen positiven Effekt gehabt.“

Zeit heilt Wunden

Lösch verweist auf gestiegene Besucherza­hlen im Altmühltal. Da ist der Bürgermeis­ter nicht der Einzige. Aus den Ausflugslo­kalen in Flussnähe heißt es: Vollbelegu­ng an schönen Ferientage­n. Zeitgenoss­en, die noch die Umweltzers­törung Anfang der 1990er-Jahre im Kopf haben, dürften über die neue Anziehungs­kraft des Tales staunen. Vielleicht heilt die Zeit aber wirklich Wunden. Gisela Reichel, Angestellt­e in einer Riedenburg­er Apotheke, meint: „Es ist schließlic­h alles wieder zugewachse­n. Dass da ein Kanal gebaut worden ist, fällt ja fast nicht mehr auf.“Zumindest kaschieren Buschwerk und Bäume vieles. Öko-Maßnahmen wie die Pflege von übrig gebliebene­n Altwassera­rmen haben die Umweltbila­nz zumindest ein wenig geschönt. Des Weiteren flossen durch den Kanalbau viele öffentlich­e Mittel in den Landstrich: Gelder für Straßen, Fahrradweg­e, Stadtsanie­rungen oder für das Erschließe­n von Ausflugspu­nkten wie Burgruinen.

Touristen kommen

„Wo der Kanal hier bei mir gebaut wurde, waren vorher nur saure, unrentable Wiesen, die keiner gebrauchen konnte“, erzählt Renate Hauke. Eine Aussage, die Öko-Aktivisten vermutlich ins Herz trifft. Hauke ist jedoch Geschäftsf­rau. Sie betreibt am Rand von Riedenburg den Zeltplatz Talblick. Über einen Teil des Geländes mäanderte einst der Fluss. Der Kanalbau verlegte dann dessen Verlauf. „Danach“, berichtet Hauke, „konnten wir richtig wachsen.“Jetzt freut sie sich über „Fahrradtou­risten, die an der Altmühl entlangrad­eln – oder Menschen, die einfach Ruhe und Beschaulic­hkeit bei uns genießen wollen“.

Die Zeltplatzb­etreiberin gibt noch den Tipp, eine Schiffsrun­dfahrt auf dem Kanal zu machen. Dies sei bei Gästen sehr beliebt. Also weiße Flotte statt Kohlefrach­ter? An der Riedenburg­er Anlegestel­le hängt der Fahrplan für die Personensc­hifffahrt aus. In diesem Fall braucht es kein stundenlan­ges Warten, bis endlich ein Frachter vorbeikomm­t. Bereits nach wenigen Minuten taucht ein mit Passagiere­n vollgestop­ftes Ausflugssc­hiff auf: die „Maximilian II“. Also doch noch ein weiterer Verkehr auf dem Kanal – nur anders als gedacht. Reine touristisc­he Lustfahrte­n. So etwas war einst von den Kanal-Freunden als wenig bedeutende­r Nebenaspek­t eingestuft worden.

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FOTO: UWE JAUSS Der Main-Donau-Kanal bei Riedenburg im Altmühltal: Die Wasserstra­ße hat die Landschaft stark verändert. Schiffe fahren aber spärlich.

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