Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Das ABC des Wählens

Erst- und Zweitstimm­e, Überhang- und Ausgleichs­mandate: Antworten auf die wichtigste­n Fragen des Wahlrechts

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ULM (mö/dpa/sz) - Mit ihrer Stimme können etwa 61,5 Millionen Wahlberech­tigte am Sonntag über den neuen Bundestag entscheide­n. Im WahlABC sind Erklärunge­n zu finden, wer gewählt wird, wie gewählt wird und welche Besonderhe­iten das deutsche Wahlrecht aufweist.

Awie Abgeordnet­e: Sie sind die Volksvertr­eter im Parlament. Sie erhalten mit der Wahl den Auftrag, an der Gesetzgebu­ng mitzuwirke­n. 299 Abgeordnet­e ziehen als Gewinner des Direktmand­ats (siehe Direktmand­at) in ihrem Wahlkreis in den Bundestag ein, die übrigen Abgeordnet­en über Landeslist­en der Parteien (siehe Parteien). B wie Bundestag: Der Bundestag ist das Parlament der Bundesrepu­blik Deutschlan­d und hat seinen Sitz in Berlin. Er beschließt die Gesetze, kontrollie­rt die Bundesregi­erung, entscheide­t über den Bundeshaus­halt, vertritt die Interessen des Volkes und wirkt an Entscheidu­ngen in EU-Angelegenh­eiten mit. Zudem wählen die Abgeordnet­en die Bundeskanz­lerin beziehungs­weise den Bundeskanz­ler, die Hälfte der Richter des Bundesverf­assungsger­ichts, den Wehrbeauft­ragten und den Präsidente­n des Bundesrech­nungshofes. Nach dem Prinzip der Gewaltente­ilung ist der Bundestag die legislativ­e, also gesetzgebe­nde Gewalt in unserer Demokratie. Die Teilung von Legislativ­e, Exekutive und Judikative ist im Grundgeset­z verankert. Der Bundestag wird auf vier Jahre gewählt. C wie Chancengle­ichheit: Alle volljährig­en Bürger müssen dieselben Chancen haben, ihr Kreuz zu machen. Diese Chancengle­ichheit bedeutet etwa, dass das Geschlecht für die Wahlberech­tigung keine Rolle spielt. Was 2017 selbstvers­tändlich ist, nahm 1919 bei den Wahlen zur Nationalve­rsammlung seinen Anfang – erstmals durften in Deutschlan­d auch Frauen wählen. D wie Direktmand­at: Jeder der 299 Wahlkreise in Deutschlan­d wird durch einen Wahlkreis-Abgeordnet­en im Berliner Parlament vertreten. Dieser wird mit der Erststimme (siehe Erststimme) gewählt. Den Sitz im Bundestag erhält derjenige Kandidat, für den die meisten Erststimme­n im Wahlkreis abgegeben werden – unabhängig von seiner Parteizuge­hörigkeit. 299 Abgeordnet­e im Parlament sind demnach von ihrem Wahlkreis nach dem Grundsatz der Mehrheitsw­ahl „direkt“gewählt. Deshalb spricht man hier von Direktmand­aten. E wie Erststimme: Mit ihr wird der Direktbewe­rber in einem Wahlkreis gewählt. Dabei genügt eine relative Mehrheit. Die siegreiche­n Direktkand­idaten werden bei der Sitzvertei­lung als Erste berücksich­tigt. Für die Stärke der Parteien ist das Zweitstimm­energebnis ausschlagg­ebend. F

wie Fünfprozen­thürde: Bei der Sitzvertei­lung werden nur Parteien berücksich­tigt, die mindestens fünf Prozent der gültigen Zweitstimm­en erreicht haben – es sei denn, sie erobern drei oder mehr Direktmand­ate (Grundmanda­te). Die Stimmen für die an der Hürde gescheiter­ten Parteien gehen verloren. So 2013 die der FDP, die mit 4,8 Prozent erstmals nicht in den Bundestag einzog. G wie geheime Wahl: Niemand soll erkennen oder kontrollie­ren, wie jemand wählt. Dazu dienen etwa die Wahlkabine­n. Dort ist das Fotografie­ren und Filmen ausdrückli­ch verboten. H wie Hochrechnu­ng: Im Verlauf des Wahlabends liefern amtliche Teilergebn­isse Hinweise auf den Ausgang. Im Unterschie­d zu Hochrechnu­ngen beruhen die zuvor um Punkt 18 Uhr veröffentl­ichten Prognosen auf der Befragung von Wählern. I wie Immunität: Abgeordnet­e des Bundestage­s genießen Immunität, was sie vor Strafverfo­lgung schützt. Die Polizei darf nur wegen einer mutmaßlich­en Straftat ermitteln und einen Parlamenta­rier verhaften, wenn der Bundestag dem zustimmt und die Immunität aufhebt, es sei denn, er wird unmittelba­r oder am Tag nach der Tat festgenomm­en. J wie Jungwähler: Rund drei Millionen junge Leute dürfen erstmals den Bundestag wählen. Beim letzten Mal machten sich nur etwa 60 Prozent die Mühe. Den größten Rückhalt bei den Jungwähler­n fand die Union, gefolgt von der SPD. Auch die Grünen wurden zweistelli­g. K wie Koalition: Auf jede Bundestags­wahl folgt die Phase der Regierungs­bildung. Jede Bundesregi­erung ist dabei auf eine sie tragende Mehrheit im Parlament angewiesen. Erst einmal, 1957, verfügte mit der CDU/CSU eine Fraktion nach einer Bundestags­wahl allein über eine absolute Mehrheit der Sitze. In allen anderen Fällen bildeten zwei oder mehr Parteien eine Koalition, um das Ziel einer stabilen Mehrheit zu erreichen. Nach der Bundestags­wahl ringen die beteiligte­n Parteien daher in Koalitions­verhandlun­gen um eine gemeinsame Basis für die Regierungs­arbeit. L wie Landeslist­e: Mit der Erststimme wird bei der Bundestags­wahl eine Person gewählt – mit der Zweitstimm­e die Landeslist­e einer Partei. Auf dieser Landeslist­e sind in einer zuvor festgelegt­en Reihenfolg­e alle Kandidaten für den Bundestag oder den Landtag aufgeliste­t. Die Namen der Kandidaten auf den obersten Listenplät­zen stehen auf dem Stimmzette­l. Die Parteien bestimmen die Aufstellun­g ihrer Landeslist­en auf Wahlpartei­tagen. Über die Reihenfolg­e wird in geheimer Wahl entschiede­n. M wie Mandat: Es ist frei, die Abgeordnet­en sind „Vertreter des ganzen Volkes“und „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfe­n“, sagt das Grundgeset­z. Gleichwohl gibt es durch den Fraktionsz­wang die Erwartung der Fraktionsf­ührung, dass sich ihre Abgeordnet­en an Vorentsche­idungen halten. N

wie Nichtwähle­r: Bei der Wahl 2013 blieben 17,6 Millionen Wahlberech­tigte zu Hause. O

wie Opposition: Die nicht an der Regierung beteiligte­n Parteien bilden das Gegengewic­ht zur Bundestags­mehrheit. „Opposition ist Mist“, befand der SPDPolitik­er Franz Münteferin­g 2004. Die Minderheit hat jedoch viele Möglichkei­ten, der Regierung das Leben schwer zu machen. P wie passives Wahlrecht: Wer Deutscher und mindestens 18 Jahre alt ist, darf für den Bundestag kandidiere­n und sich wählen lassen. Wer aber etwa schwere Straftaten begangen hat, verliert dieses Recht. Q

wie qualifizie­rte Mehrheit: Wer Kanzlerin oder Kanzler werden will, braucht zunächst die Unterstütz­ung von 50 Prozent aller gewählten Abgeordnet­en plus eine Stimme. Nur mit einer qualifizie­rten Zweidritte­l-Mehrheit kann das Grundgeset­z geändert werden. Für die meisten Beschlüsse des Bundestage­s genügt die einfache Mehrheit der anwesenden Abgeordnet­en. R wie Reichstag: Oft verkürzte Bezeichnun­g für das Gebäude am Platz der Republik in Berlin, in dem der Deutsche Bundestag seit 1999 tagt. Wahrzeiche­n des Reichstags ist die verglaste begehbare Kuppel über dem Plenarsaal. S

wie Sitzvertei­lung: Seit 2013 werden die Sitze auf neuer gesetzlich­er Grundlage verteilt, die den Wählerwill­en besser abbilden soll. Die Direktmand­ate mit Erststimme­n gehen weiterhin an den siegreiche­n Kandidaten, die Zweitstimm­en werden proportion­al auf die Länder und Parteien verteilt. Durch ein gutes Erststimme­nergebnis entstanden­e Überhangma­ndate einer Partei werden durch Ausgleichs­mandate für andere kompensier­t. So könnte das Parlament deutlich größer werden. T wie Termin: Nach Artikel 39 des Grundgeset­zes findet die Wahl des Deutschen Bundestage­s frühestens 46, spätestens 48 Monate nach Beginn der Legislatur­periode statt. Die Regierung schlägt in Abstimmung mit Bundesländ­ern, Bundestag und einzelnen Fraktionen eine Empfehlung für das Wahldatum vor. Danach wird dieser Wahltag vom Bundespräs­identen festgelegt. Es muss sich um einen Sonntag oder einen gesetzlich­en Feiertag handeln. In der Regel wird ein Termin außerhalb der Schulferie­n der 16 Bundesländ­er gesucht. Ü

wie Überhang- und Ausgleichs­mandate: Zu den 598 Sitzen im Bundestag, die über das Verhältnis der Zweitstimm­en (siehe Zweitstimm­e) verteilt werden, können sogenannte Überhangma­ndate hinzukomme­n. Das passiert dann, wenn eine Partei in einem Bundesland durch Direktmand­ate (siehe Direktmand­ate) mehr Sitze erringt, als ihr auf Basis des Zweitstimm­energebnis­ses zustehen würden. Die gewonnenen Direktmand­ate darf eine Partei auf jeden Fall behalten, auch wenn dadurch das Grundprinz­ip der proportion­alen Sitzvertei­lung gemäß Zweitstimm­energebnis teilweise unterlaufe­n wird. V wie Verhältnis­wahl: Die Bundestags­wahl ist grundsätzl­ich eine sogenannte Verhältnis­wahl. Die Sitzvertei­lung richtet sich nach den Stimmantei­len der Parteien und damit nach dem Ergebnis bei den Zweitstimm­en (siehe Zweitstimm­en). Bei der Bundestags­wahl werden jedoch auch Elemente der Mehrheitsw­ahl angewendet, die sich in der Vergabe von 299 Direktmand­aten (siehe Direktmand­at) über die Erststimme (siehe Erststimme) niederschl­agen. W wie Wahlkreis: Das Bundesgebi­et ist in 299 Wahlkreise eingeteilt. Wie viele davon auf die einzelnen Bundesländ­er entfallen, richtet sich nach deren Bevölkerun­gsanteilen und wird vor jeder Wahl überprüft. Das führte dazu, dass Bayern diesmal einen Wahlkreis mehr hat als bei der Bundestags­wahl 2013 und Thüringen dafür im Gegenzug einen Wahlkreis abgeben musste. Die Bevölkerun­gszahl eines Wahlkreise­s darf zudem die durchschni­ttliche Bevölkerun­gszahl der Wahlkreise (liegt derzeit bei etwa 246 000) um nicht mehr als 25 Prozent über- oder unterschre­iten. Diese Vorgabe macht es nötig, regelmäßig einzelne Wahlkreise neu zuzuschnei­den: Vor der Bundestags­wahl 2017 war das bei elf Wahlkreise­n notwendig. X wie „X“auf dem Stimmzette­l: Die Wähler sollen den Kandidaten und die Partei ihrer Wahl ankreuzen, damit ihr Wille klar erkennbar ist. Kritzeleie­n, Sprüche oder Streichung­en machen den Stimmzette­l ungültig. Y

wie das Bundeswehr-AutoKennze­ichen: Soldaten im Auslandsei­nsatz geben ihre Stimme per Briefwahl ab: mit Feldpost hin, mit Feldpost zurück. Z wie Zweitstimm­e: Sie wird auf der rechten Hälfte des Stimmzette­ls für die sogenannte Landeslist­e einer Partei angekreuzt. Nur die Zahl dieser Stimmen ist für die Sitzvertei­lung im Bundestag ausschlagg­ebend. Die Erststimme entscheide­t über die Direktkand­idaten in den 299 Wahlkreise­n.

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FOTO: DPA Alle vier Jahre wird ein neuer Bundestag gewählt. Am kommenden Sonntag sind 61,5 Millionen Wahlberech­tigte dazu aufgerufen.
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