Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Iraks Kurden trotzen allen Widerständ­en

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AJan Kuhlmann und Rissala al-Scharkani m nächsten Montag stimmen Millionen Wähler in einem Referendum darüber ab, ob die kurdischen Autonomieg­ebiete im Nordirak ihre Unabhängig­keit ausrufen sollen. Seit Jahrzehnte­n träumt die Mehrheit der Kurden im Nordirak von einem eigenen Staat. Kurden-Präsident Massud Barsani nutzte die vergangene­n Monate, um das Vorhaben voranzutre­iben. Mit dem zu erwartende­n militärisc­hen Sieg der irakischen Regierungs­kräfte gegen die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) sieht er die Zeit endlich gekommen.

Doch so groß der Traum der Kurden ist, so massiv fällt auch der Widerstand dagegen aus. Derzeit vergeht kein Tag, an dem die Kurden nicht gedrängt werden, das Referendum abzusetzen oder zumindest zu verschiebe­n. Vor allem die irakische Zentralreg­ierung in Bagdad wehrt sich gegen die Abstimmung. Sie verstoße gegen die irakische Verfassung, wetterte Ministerpr­äsident Haidar al-Abadi. Die Angst vor einem Zerfall des gesamten Irak spielt dabei eine zentrale Rolle. Vizepräsid­ent Nuri al-Maliki kündigte an, ein „zweites Israel“nicht dulden zu wollen. Einer der wichtigste­n Anführer der mächtigen schiitisch­en Milizen, Hadi al-Amiri, warnte sogar vor einem Bürgerkrie­g zwischen irakischen Arabern und Kurden.

Die Türkei, die eigentlich ein gutes Verhältnis zur Kurdenführ­ung im Nordirak pflegt, hält das Referendum ebenfalls für einen „falschen Schritt“, der seinen Preis haben werde, wie Ankara drohte. Der andere große Nachbar der Kurden, der Iran, gehört zu den schärfsten Gegnern einer Abspaltung vom Irak, weil er wie die Türkei Auswirkung­en auf die kurdische Minderheit im eigenen Land befürchtet.

Besonders schwer wiegt die Kritik der USA, wichtigste­r Partner der nordirakis­chen Kurden, nicht zuletzt im Kampf gegen den IS. Das Weiße Haus kritisiert­e die Pläne der Kurden als „provokant und destabilis­ierend“. Washington treibt vor allem die Sorge um, der Streit um eine kurdische Unabhängig­keit könnte den Kampf gegen die IS-Dschihadis­ten behindern, der für die USA absolute Priorität hat.

Mit diesem starken Widerstand scheint es unwahrsche­inlich, dass die Kurden bald tatsächlic­h einen eigenen Staat ausrufen werden, selbst wenn die Zustimmung beim Referendum überwältig­end ausfallen sollte. Rechtlich bindend ist die Abstimmung ohnehin nicht.

Doch Präsident Barsani, dessen Karriere sich mit 71 Jahren dem Ende zuneigt, dürfte es um etwas anderes gehen. „Er will die Präsidents­chaft nicht aufgeben, ohne den Grundstein für einen unabhängig­en Staat gelegt zu haben“, sagt Michael Knights vom Washington Institute for Near East Policy.

Die Basis für einen eigenen Staat wurde schon vor mehr als zwei Jahrzehnte­n gelegt. Lange litten die Kurden im Nordirak unter der Brutalität des irakischen Diktators Saddam Hussein. Vor allem der Giftgasang­riff auf die Stadt Halabdscha 1988 hat sich in das kollektive Gedächtnis der Kurden eingebrann­t. 1991 errichtete­n die USA zum Schutz vor Saddams Truppen eine Flugverbot­szone im Nordirak, eine eigenständ­ige Kurdenregi­on entstand. Mittlerwei­le genießen die kurdischen Autonomieg­ebiete viele Rechte eines Staates.

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