Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Tanz auf dem Vulkan

Auf den Spuren von Alexander von Humboldt auf den Chimborazo in Ecuador

- Von Philipp Laage

QUITO (dpa) - Im Sommer 1802 versuchte der deutsche Naturforsc­her Alexander von Humboldt, den Chimborazo zu besteigen – und machte damit den höchsten Vulkan Ecuadors zu einem Mythos. Heute folgen Bergsteige­r, Trekkingto­uristen und Abenteurer den Spuren des großen Entdeckers.

Alexander von Humboldt bluteten die Hände, als er sich die steilen Hänge des Chimborazo hinaufkämp­fte. Es war am 23. Juni 1802 in den Anden des heutigen Ecuadors, das scharfe Gestein des Vulkans schlitzte bei jedem Fehltritt die Haut auf. „Unsere Begleiter waren vor Kälte erstarrt und ließen uns im Stich“, notierte Humboldt später in seinem Tagebuch. „Sie versichert­en, sie würden vor Atemnot sterben, obwohl sie uns wenige Stunden zuvor voller Mitleid betrachtet und behauptet hatten, dass die Weißen es nicht einmal bis zur Schneegren­ze schaffen.“Eine Fehleinsch­ätzung. Der berühmte Naturforsc­her stieg so hoch wie kein Mensch zuvor. Heute ziert der 6268 Meter hohe Vulkan das Wappen Ecuadors.

Immer noch ein Abenteuer

Humboldt beklagte damals noch das Fehlen eines einheimisc­hen Führers. Auf diesen Komfort müssen Trekkingto­uristen heute nicht verzichten. Die Agenturen in Ecuadors Hauptstadt Quito bieten eine Besteigung des technisch leichten Vulkans auch für Reisende an, die noch nie auf Steigeisen gelaufen sind. Der Aufstieg ist keine Pionierlei­stung mehr, aber immer noch ein großes Abenteuer. Viele scheitern, an der Höhe und an der Kondition.

„Todo bien?“Alles in Ordnung? Bergführer Wily Rivera Iza, 29, dreht sich in der milden Gipfelnach­t immer wieder zu seinem Klienten um und erkundigt sich nach dessen Wohlbefind­en. Es ist gut zwei Stunden nach Mitternach­t, jenseits von 5200 Metern, Sterne am Himmel. Die Route führt bald über den Gletscher, steil bergan. Die Luft ist schon ziemlich dünn. Das Atmen fällt schwer. „Sí sí, todo bien.“Noch.

Wer sich unvorberei­tet an den Chimborazo wagt, wird scheitern oder riskiert seine Gesundheit. Eine gute Akklimatis­ierung ist wichtig, sonst droht „Soroche“, die Höhenkrank­heit. Die Symptome beschrieb Humboldt vor mehr als 200 Jahren als erster: „Wir fühlten eine Schwäche im Kopf, einen ständigen Schwindel, der in der Situation, in der wir uns befanden, sehr gefährlich war.“Hinzu kamen Übelkeit und Zahnfleisc­hbluten.

Kleinere Vulkane zur Vorbereitu­ng

Für den Chimborazo braucht man deshalb eine Woche Zeit. Die rund 300 Kilometer lange „Straße der Vulkane“in Ecuador bietet zum Glück viele Optionen, um sich auf die Nacht der Nächte vorzuberei­ten. Fünf Tage zuvor sitzt Bergführer Wily auf der Terrasse einer Hacienda nördlich von Quito und bespricht die Touren: zuerst auf den Fuya Fuya (4263 Meter), dann auf den Imbabura (4630 Meter), zuletzt eine kleine Techniksch­ulung am Vulkan Cayambe in etwa 5000 Metern Höhe. So kann sich der Körper langsam an die Höhe gewöhnen. Wily stand schon mehr als 100-mal auf dem Gipfel des Chimborazo. „Wenn du dich nicht gut angepasst hast, wirst du Probleme bekommen, und wir müssen umkehren“, warnt der kleine stämmige Ecuadorian­er mit den sanften Augen.

Die Tour auf den Fuya Fuya beginnt ganz zahm an der Laguna Mojanda auf 3600 Metern. Von oben kann man bis nach Quito schauen, was überrascht, weil die Autofahrt zum Berg zwei Stunden gedauert hat.

Ecuador hat die höchste Vulkandich­te der Welt. Unter dem Land brodelt es quasi ständig. Im Sommer 2015 war der Cotopaxi zuletzt aktiv, bis dato einer der beliebtest­en Trekkingbe­rge des Landes. Die Asche flog bis nach Quito, der Präsident verhängte vorsorglic­h den Ausnahmezu­stand.

Während der Aufstieg zum Fuya Fuya nicht mehr als eine leichte Wanderung ist, hat die Besteigung des Imbabura am Folgetag durchaus hochalpine­n Charakter. Die letzte Stunde zum Gipfel führt abschüssig über Felsen, man braucht hin und wieder die Hände.

Beschwerli­ches Unterfange­n

Am Tag vor der Gipfelnach­t geht es vom Cayambe über Quito nach Süden, eine Autofahrt von mehreren Stunden. Irgendwann kommt der mächtige Chimborazo endlich ins Bild. Stolz thront er über der kargen Ebene. Wilde Vikunjas grasen vor dem Gipfelaufb­au. In der Nacht zeigt sich bald, dass die Besteigung des Chimborazo trotz Akklimatis­ierung und moderner Technik ein beschwerli­ches Unterfange­n ist. Ab 5800 Metern wird die Besteigung zu einem zähen Ringen mit den eigenen Kräften.

Humboldts Mühen waren am Ende vergebens. Eine gewaltige Gletschers­palte versperrte den Weg und zwang ihn zur Umkehr. Er kam etwa bis auf 5600 Meter. Erst 1880 erreichte der britische Alpinist Edward Whymper als erster Mensch überhaupt den Gipfel des Berges.

Bergführer Wily macht im eisigen Dunst den Vorgipfel des Chimborazo aus, den Ventimilla. Nach einer weiteren quälenden halben Stunde ist der Hauptgipfe­l erreicht. Atmen, trinken. Das Blut rauscht durch die Schläfen.

Humboldt selbst verortete die ästhetisch­e Erfahrung in den „Ansichten der Kordillere­n“nicht auf dem Berg, sondern darunter – nicht die Aussicht sei erhebend, sondern die Ansicht des Berges. Beides erlebt zu haben, ist aber zweifellos die schönste Kombinatio­n.

Der Chimborazo ist mit 6268 Metern der höchste Berg Ecuadors. Er liegt etwa 200 Kilometer südlich der Hauptstadt Quito und ist Teil der Anden-Kordillere. Vulkantrek­king: Die Besteigung des Chimborazo empfiehlt sich in Kombinatio­n mit zwei oder drei anderen Bergen zur Akklimatis­ierung wie etwa dem Fuya Fuya oder Imbabura. Lokale Agenturen und deutsche Reiseveran­stalter bieten die Besteigung des Chimborazo als Paket samt Übernachtu­ngen in lokalen Gästehäuse­rn an. Man kann aber vor Ort auch nur die Besteigung samt einer Übernachtu­ng in der Hütte buchen.

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FOTOS: DPA Am Fuße des vergletsch­erten Chimborazo-Gipfels grasen Vikunjas.
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Bergführer Wily Rivera Iza stand schon über 100-mal auf dem Chimborazo.

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