Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Starker Strom für die Energiewende
Netzbetreiber verstärkt Leitungen im Landkreis Ravensburg – Hoher Planungsaufwand
KREIS RAVENSBURG - Weil an der Küste produzierter Windstrom künftig auch nach Süddeutschland und Österreich transportiert werden soll, verstärkt der Stromnetzbetreiber Amprion sein Höchstspannungsnetz. Betroffen ist auch eine Trasse, die durch den Landkreis Ravensburg geht. Rein physisch geht es dabei „nur“um den Austausch von Seilen zwischen bestehenden Masten, der planerische Aufwand ist aber enorm.
Für Jörg Weber von der Unternehmenskommunikation/Energiepolitik des Dortmunder Unternehmens ist klar: Der Netzausbau ist ein Mosaikstein im Zuge der Energiewende. „Früher wurden die Kraftwerke dort gebaut, wo sie gebraucht wurden, heute müssen wir den Strom da abholen, wo er entsteht“, sagt Weber. Das heißt: Windenergie eher im Norden, Strom aus Sonne vornehmlich im Süden. Klar ist auch: Nicht überall war der Netzausbau in der jüngeren Vergangenheit auf Beifall gestoßen. Kritik gab es vor allem dort, wo es um den Bau neuer Trassen ging, vor allem in Bayern.
Es geht um 88 Kilometer
Das Projekt, das Amprion angeht, befindet sich im Großen und Ganzen auf dem Gebiet Baden-Württembergs. Außerdem baut das Unternehmen seinen Teil der seit Jahrzehnten bestehenden Hochspannungsleitung von 220 auf 380 Kilovolt (kV) aus. Dass der planerische und kommunikative Aufwand enorm ist, wurde bei einem Termin mit Amprion-Vertretern in Wangen deutlich.
Konkret geht es um 88 Kilometer Trasse aus den 1950er- und 1960erJahren, die in den kommenden Jahren für rund 78 Millionen Euro aufgerüstet werden sollen. Unterteilt ist das Projekt in zwei Abschnitte: Auf einer 13 Kilometer langen Strecke zwischen dem Punkt Wullenstetten im bayerischen Senden bei Neu-Ulm bis zur Umspannanlage Dellmensingen im baden-württembergischen Erbach in der Nähe von Ulm soll auf bislang leeren Mast-Traversen ein neuer 380 kV-Stromkreis aufgelegt werden. In einem zweiten, wesentlich längeren Abschnitt geht es von dort bis zum Punkt Niederwangen, konkret in Obermooweiler. Auf diesen 75 Kilometern befinden sich derzeit zwei Stromleitungen. Eine bereits bestehende, Transnet BW gehörende Höchstspannungsleitung von 380 kV und ein 220 kV starker Stromkreis von Amprion. Letzteren will der Dortmunder Netzbetreiber durch den „Umbeseilung“genannten Austausch der entsprechenden Leitungen ebenfalls auf Höchstspannungsniveau bringen.
Im Wissen um die Ablehnung – neuer – Höchstleistungsstromtrassen anderswo hat Amprion ein umfassendes Kommunikationskonzept aufgelegt, um Offenheit und Transparenz zu gewährleisten. So waren Unternehmensvertreter bereits in diversen Rathäusern der Region. Auch wollen sie alle am Verfahren Beteiligten – über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinaus – mitnehmen und auf dem Laufenden halten. Dazu gehört auch die Information von betroffenen Grundstückseigentümern, Anwohnern, Institutionen und der Menschen, die rechts und links der Trasse leben.
Ähnlichen Aufwand für die Trassenaufrüstung betreibt Amprion beim Genehmigungsverfahren. Da sich 1,5 Kilometer des Projekts auf bayerisches Gebiet beziehen, ist dafür nicht das baden-württembergische Regierungspräsidium (RP) Tübingen zuständig, sondern die Bundesnetzagentur. Dort soll nach Bekunden von Amprion allerdings das vereinfachte Verfahren der Bundesfachplanung genügen. Laut Projektleiter Carsten Stiens geht es um eine „einfache Maßnahme mit der Zu- und Umbeseilung, die den Eingriff für Mensch und Natur so gering wie möglich hält“. Gleichwohl seien auch das RP Tübingen sowie die Regierung von Schwaben eingeschaltet worden. Ihr bisheriges Fazit, laut Stiens: „Die sehen das relativ entspannt.“
Denn er und Jörg Weber gehen davon aus, dass konkret vor Ort relativ wenige Eingriffe in Landschaft und Natur nötig sein werden. Dazu gehört die Überprüfung der Maststandorte. Auch müssen Fachleute diese erreichen, um die Leitungen auszuwechseln, zum Beispiel im Hinblick auf starken Wind und Eisbelastungen. Und: „Vielleicht stellen wir fest, an der einen oder anderen Stelle zusätzliche Vogelabweiser zu machen“, sagt Carsten Stiens. Etwa im Wurzacher Ried. Ansonsten liefen die Bauarbeiten vor allem „oben“, also auf Leitungshöhe.
Verfahren in zwei Stufen
Stiens und Weber rechnen vor diesen Hintergründen nicht mit größeren Widerständen: „Es ist ein großer Unterschied, ob wir über eine neue Leitung reden, oder ob neue Seile eingezogen werden“, sagen sie. Überhaupt: Würde Amprion die bestehenden in gleicher Stärke ersetzen und sie nicht aufrüsten, bräuchte es überhaupt keine Genehmigung.
So aber arbeitet der Netzbetreiber mit einem zweistufigen Verfahren. Geht es nach dessen Kalkulationen, wird der Antrag auf Bundesfachplanung im zweiten Halbjahr 2017 gestellt. Spätestens 2018 könnte es abgeschlossen sein. Das darauf folgende Planfeststellungsverfahren soll 2018 oder 2019 über die Bühne gehen. Die Aufrüstung selbst plant Amprion für 2019 oder 2020. In drei Jahren könnte es auch ein Höchstspannungsnetz von Amprion im Württembergischen Allgäu geben.