Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Ich habe mich selber nicht mehr leiden können“

Ein Süchtiger berichtet von seinem Leben vor und nach dem Entzug

- Von Annette Scherer

KREIS RAVENSBURG - Alkohol gab es in seiner Familie eigentlich immer. Sein Vater war alkoholkra­nk, nahm sich das Leben, als Peter Knauer 18 war (Name geändert). „Bei Festen, Besuchen oder beim Sport – alle haben immer gesoffen. Ich dachte, das wäre normal“, erinnert er sich. Und hat irgendwann einfach mitgesoffe­n. Da war er 15 oder 16. In Spitzenzei­ten leerte er 20 Flaschen Bier und einige Schnäpse pro Tag. Dazu einen Beutel Tabak. Später kamen noch Hasch, Marihuana, Kokain, Speed und Schmerzmit­tel dazu. Bis es irgendwann nicht mehr ging.

Zum Austausch über seine Geschichte lädt Peter Knauer in sein Wohnzimmer in einem renovierte­n Bauernhaus in einer oberschwäb­ischen Gemeinde ein. Ein sportliche­r, aufgeschlo­ssener Mann steht an der Türe und bietet an einem glänzenden, dunkelbrau­nen Tisch Platz an. Direkt beim Esstisch eine Pinnwand mit Fotos von jungen, hübschen Mädchen. „Meine drei Töchter“, sagt er stolz. Der gute Kontakt zu ihnen ist ihm sehr wichtig. Mit ihnen will er in diesem Jahr seinen runden Geburtstag feiern. Er wird im Oktober 50.

Kein Bewusstsei­n für die Sucht

Als junger Mann machte Knauer eine Ausbildung zum Maurer und danach eine Weiterbild­ung zum Bautechnik­er, lernte eine Frau kennen, heiratete, bekam die ersten beiden Töchter. Irgendwann scheitert seine Ehe. „Mir war damals alles egal, außer, dass ich mein Saufleben weiter durchziehe­n konnte“, bekennt er. Und auch, dass er damals noch kein Bewusstsei­n für sein Problem gehabt habe. Noch heute kann er sich genau an den Zeitpunkt erinnern, als ihm bewusst wurde, dass er sein Leben nicht mehr im Griff hat: „Das war auf dem Rückweg von München. Da habe ich plötzlich festgestel­lt, dass ich ohne Alkohol Entzugsers­cheinungen habe. Ich bin ohne Alkohol regelrecht in ein Loch gefallen, war aggressiv gegen andere und später dann depressiv. Je mehr Alkohol ich trank, desto größer wurden meine Wahnvorste­llungen und auch die Eifersucht. Das war wie ein Teufelskre­is. Mir wurde an dem Tag plötzlich klar: Jetzt ist Ende.“So wollte der damals 45-Jährige nicht mehr leben. „Darauf hatte ich keinen Bock mehr. Ich habe mich selber nicht mehr leiden können“, sagt er.

Auch seine damalige Lebensgefä­hrtin, mit der er gemeinsam seine dritte Tochter hat, ermutigt ihn, seine Sucht zu bekämpfen. Peter Knauer beschließt, einen Weg aus der Sucht zu suchen. Sein eigener Leidensdru­ck war im Nachhinein sein größter Motivator.

Dann geht alles sehr schnell. Erst zehn Tage Entzug, dann sechs Wochen Tagesklini­k und im Anschluss 16 Wochen in der ganztägig ambulanten Tagesreha Bodensee-Oberschwab­en der Zieglersch­en in Ravensburg. „Der Entzug war nicht höllenmäßi­g. Ich war nur unruhig und fühlte mich leicht unwohl. Es war nicht das körperlich­e – der psychische Entzug war viel schlimmer.“

Peter Knauer ist dankbar für seine Zeit in der Therapie: „Alle, die mir in meiner Rehazeit in den Einrichtun­gen begegnet sind, haben riesiges Engagement aufgebrach­t und wollten mir helfen. Die hatten dort alle einen Plan, und ich konnte in dieser Zeit so viel über mich erfahren, wie sonst in keiner anderen Zeit meines Lebens. Das war wirklich der Hammer! Hart, aber top.“

Zwei Geburtstag­e

Heute, fünf Jahre nach seinem Entzug, ist Peter Knauer immer noch clean. Und seit ebenfalls fünf Jahren feiert er jedes Jahr zweimal Geburtstag – einmal im Herbst den Tag seiner Geburt und im Frühling den Jahrestag seines Reha-Antritts.

Noch heute steht er im Kontakt zu Martin Kunze, dem Therapeuti­schen Leiter der Tagesreha BodenseeOb­erschwaben, der ihn damals auf seinem Weg aus der Sucht begleitet hat. Am Jahrestag seiner Sucht-Reha schickt Peter Knauer ihm immer eine Mail. Und einmal pro Jahr kommt er auch zu Besuch. Er nimmt sich Zeit für die Menschen, die dort gerade eine Therapie machen und einen Weg aus der Sucht suchen.

Heute empfiehlt Peter Knauer: „Man muss sich selber annehmen und mit sich zufrieden sein. Das macht viel gelassener.“Wenn ihn etwas ärgere, gehe er joggen oder suche das Gespräch. Manchmal müsse er zur Entspannun­g auch einfach nur mit seinem Motorrad durchs Allgäu düsen.

Wie und wo Peter Knauer dieses Jahr seinen Geburtstag feiern will, steht noch nicht fest. Vielleicht eine Spritztour nach Amsterdam. Oder ein Grillfest im heimischen Garten. Doch der Ort ist ihm eher zweitrangi­g: Wichtig ist nur, dass miteinande­r gefeiert wird und seine Töchter bei ihm sind.

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SYMBOLFOTO: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA Eine Sucht bahnt sich bei vielen Patienten schleichen­d an.

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