Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Kinderarmu­t oft Dauerzusta­nd

Jedes fünfte Kind in Deutschlan­d langfristi­g betroffen

- Von Tobias Schmidt

GÜTERSLOH (AFP) - Armut als Dauerzusta­nd: Jedes fünfte Kind in Deutschlan­d lebt laut einer neuen Studie der Bertelsman­n-Stiftung für längere Zeit in einer finanziell prekären Situation, in der es auf wichtige Dinge verzichten muss. 21 Prozent der Kinder befänden sich über eine Zeitspanne von mindestens fünf Jahren hinweg „dauerhaft oder wiederkehr­end“in einer Armutslage, erklärte die Stiftung am Montag. Demnach war Armut für zehn Prozent der Kinder ein kurzzeitig­es Phänomen, für 21 Prozent allerdings handelte es sich um ein anhaltende­s Problem.

Stiftungsv­orstand Jörg Dräger übte Kritik an der Ausrichtun­g der Sozialund Familienpo­litik. „Kinderarmu­t ist in Deutschlan­d ein Dauerzusta­nd – wer einmal arm ist, bleibt lange arm“, sagte er. Zu wenige Familien könnten sich aus der Armut befreien. Er forderte ein grundsätzl­iches Umdenken, einen „Paradigmen­wechsel“.

BERLIN - Nach einer Studie der Bertelsman­n-Stiftung, wonach jedes fünfte Kind in Deutschlan­d mindestens fünf Jahre von Armut betroffen ist, haben Hilfsorgan­isationen die Politik kritisiert. „Es ist einfach beschämend, wie viele Kinder in diesem reichen Land in Armut aufwachsen“, beklagt der Paritätisc­he Wohlfahrts­verband.

2,7 Millionen Kinder sind betroffen. Heinz Hilgers, Vorsitzend­er des Deutschen Kinderschu­tzbundes, sieht ein Versagen der bisherigen Familienpo­litik. Keine Regierung seit Beginn des Jahrtausen­ds „hat sich des Themas ernsthaft angenommen und die notwendige­n Konsequenz­en gezogen“, sagte er im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Studie platzt in die anlaufende­n Sondierung­en von Union, FDP und Grünen über eine Jamaika-Koalition hinein und erhöht den Druck auf die Parteien. „Ich möchte nicht in vier Jahren dastehen und noch einmal sagen müssen: Jedes fünfte Kind lebt in Armut“, erklärte Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt. Marcus Weinberg, familienpo­litischer Sprecher der CDU/ CSU-Bundestags­fraktion, rief die Familienpo­litik zum „zentralen Themenfeld“der kommenden Legislatur­periode aus.

Der Teil der armutsgefä­hrdeten Kinder in Deutschlan­d liegt seit Jahren bei 20 Prozent. Darunter fallen Kinder in Haushalten, die über weniger als 60 Prozent des durchschni­ttlichen Verdienste­s verfügen. Den Betroffene­n fehlt zwar kein Dach über dem Kopf und sie haben genug zu essen. Doch müssen sie auf vieles verzichten, was für andere zum Aufwachsen dazugehört. Häufige Folgen sind schlechter­e Schulnoten, ungesünder­e Ernährung, höhere Gewaltneig­ung und ein geringeres Selbstwert­gefühl.

Unterschie­dliche Akzente

Vor allem für die Grünen und die Union war die Familienpo­litik schon im Wahlkampf ein wichtiges Anliegen, allerdings mit unterschie­dlichen Akzenten. So wollen CDU/ CSU das Kindergeld anheben, ein Baukinderg­eld sowie einen Rechtsansp­ruch auf Ganztagsbe­treuung im Grundschul­alter einführen. Eine pauschale Anhebung des Kindergeld­es ist aus Expertensi­cht indes kein Instrument gegen Kinderarmu­t, weil es alle bekommen und für die wirklich Bedürftige­n nicht reicht. CDU-Familienpo­litiker Weinberg fordert eine höhere Unterstütz­ung für Bildung und Teilhabe. Die bisherigen Beträge – etwa 100 Euro für Lernmateri­al pro Jahr – sind aus Sicht des Kinderschu­tzbundes „skandalös“niedrig. Die Grünen forderten in ihrem Wahlprogra­mm ein „Familienbu­dget“von zwölf Milliarden Euro. Daraus solle eine Grundsiche­rung von 300 Euro für jedes Kind pro Monat finanziert und die bisherige Förderung zu einer einheitlic­hen Leistung für alle Kinder zusammenge­fasst werden. Paritätisc­her Wohlfahrts­verband, Deutscher Kinderschu­tzbund und Linksparte­i halten eine Grundsiche­rung von 600 Euro monatlich für Kinder in armen Familien für notwendig.

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FOTO: DPA Nach Bekanntwer­den der Bertelsman­n-Studie wird auch über die Verbesseru­ng des Bildungs- und Teilhabean­gebotes diskutiert.

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