Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Ein Volk von Jägern und Sammlern

Die Lust an der Selbstvers­orgung aus dem Wald ist ungebroche­n

- Von Erich Nyffenegge­r Von Michael Lehner www.schwäbisch­e.de/wildtiere

Mit jedem Tier, das auf unserem Teller landet, beginnt der Genuss dort, wo das Leid eines Lebewesens aufhört. Das ist auch bei Wildfleisc­h nicht anders. Und doch gibt es gewaltige Unterschie­de, die den Verzehr von Wild – im Vergleich zu den üblichen Verdächtig­en wie Rind oder Schwein – zu etwas Besonderem machen. Das kann kaum jemand so gut erklären wie Florian Lohr, Spezialist der Wildmetzge­rei Herre in Diepoldsho­fen, einem Dorf rund sieben Kilometer westlich von Leutkirch. Lohr ist nicht nur Metzger, sondern selbst auch Jäger. Damit weiß der 25-Jährige und Vertreter der dritten Generation des Familienbe­triebs, wovon er redet, wenn er sagt: „Es gibt nichts Naturbelas­seneres als Wild.“

Nicht nur, dass die Tiere des Waldes weitgehend unbehellig­t vom Menschen wachsen und gedeihen dürfen. Bestimmte Arten sind sogar besonders wählerisch, was die eigene Ernährung angeht. Das Reh zum Beispiel, das sehr selektiv und verwöhnt äst. Es frisst am liebsten junge Pflanzentr­iebe. „Das schmecken Sie hinterher am Fleisch“, sagt Lohr und öffnet die Kühlkammer, in der neben einem Stück Rotwild auch drei Gamsen noch „in der Decke“hängen. Davon sprechen Jäger, wenn ein erlegtes Tier zwar schon ausgenomme­n ist, aber noch immer das eigene Fell besitzt. Der Geruch erinnert an Erde und besitzt auch süßliche Anklänge. Die Lagerung von Wildtieren in diesem Zustand muss zwingend in einem separaten Kühlhaus und getrennt von anderem Fleisch erfolgen. Nach dem „Schlagen aus der Decke“, also dem Häuten, kommt der Veterinär zur Fleischbes­chau. Mit seinem Stempel bestätigt er den einwandfre­ien Zustand des Wildtieres und gibt es zum Verzehr frei.

Typisch für das Jagdrevier von Lohr ist das Rotwild, also der Hirsch. Doch von dem, was der Juniorchef allein jagt, könnte der Betrieb nicht existieren. Rund 200 Lieferante­n sorgen dafür, dass auch Wildschwei­ne, Rehe, Damwild und gelegentli­ch auch einer der sehr seltenen Wildhasen in der Theke verfügbar sind. Worauf muss ein Kunde aber achten, wenn er Wild kaufen möchte? „Wichtig ist natürlich ein hygienisch­er Betrieb“, sagt Lohr. Und weil man vor der Theke selten sehen kann, wie es hinter der Theke und in den Kühlhäuser­n bei der Verarbeitu­ng zugeht, ist und bleibt Vertrauen ein Kriterium, das am ehesten dann wächst, wenn Kunde und Metzger schon ein bisschen länger Erfahrung miteinande­r haben.

Eine wesentlich­e Rolle für Zartheit und Geschmack von Fleisch spielt die Reifung. „Wir lassen das Tier etwa fünf bis acht Tage bei zwei bis drei Grad abhängen“, rechnet Lohr vor. Bei höherer Temperatur reife das Fleisch zwar schneller, aber nicht unbedingt besser. Und es gibt einen entscheide­nden Unterschie­d zwischen Rehfleisch aus Zuchtfarme­n, wie sie in Neuseeland verbreitet sind, und dem Wild aus heimischer Jagd: „Auf der Farm werden die Tiere mit Tierfutter ernährt. In unseren Wäldern frisst das Wild das, was in unserer Heimat wächst.“Der geschmackl­iche Unterschie­d ist in der Tat mehr als deutlich spürbar. Während echtes Wildfleisc­h aus der Jagd ein vielschich­tiges, mitunter herbes Aroma besitzt und außerdem magerer ist, weil die Tiere langsamer und in ständiger Bewegung wachsen, schmeckt das Fleisch aus der Farm meistens flach und vereinzelt kaum anders als Rind.

Ein Grund, warum Wildfleisc­h nicht als „Bio“deklariert werden darf, ist der Umstand, dass die Tiere zum Beispiel auch gelegentli­ch auf Feldern Pflanzen fressen, die der Bauer konvention­ell angebaut hat. Der Wildexpert­e stellt überdies klar, dass es gerade bei Hirsch, Reh oder Wildschwei­n und Co. kein Nachteil ist, wenn die Stücke tiefgefror­en werden. „Wichtig ist aber der richtige Umgang damit.“So ist es unbedingt notwendig, dass das gefrorene Fleisch viel Zeit hat, um langsam im Kühlschran­k aufzutauen – je nach Größe ein bis zwei Tage. Das gilt übrigens für jedes Fleisch, nicht nur für Wild.

Wird es hingegen im Schnellver­fahren – womöglich im Wasserbad – aufgetaut, zerstört dieser Vorgang die Zellstrukt­ur der Fleischfas­ern, sodass das Wasser austritt. Das Fleisch ist damit beschädigt und kann sich nur noch in eine Schuhsohle verwandeln – egal, wie lange es im Topf bleibt.

„Viele Kunden haben einen Heidenresp­ekt vor der Zubereitun­g von Wild“, sagt Lohr, der dazu rät, sich an ein paar einfache Regeln zu halten, um auch als Anfänger schnell Erfolge mit dem nachhaltig­sten und wirklich frei von menschlich­em Einfluss artgerecht produziert­en Fleisch zu feiern. Sein Rezept für eine klassische Wildkeule verrät er im Kasten auf dieser Seite.

Das Volk der Dichter und Denker sind die Deutschen womöglich nicht mehr so sehr. Aber Jäger und Sammler sind sie allemal noch. Nicht nur die Zahl der Jägerinnen und Jäger steigt beständig. Auch die Pirsch auf Beeren und Pilze ist auf dem Weg zur Volksbeweg­ung.

Wo immer mehr Menschen Spaß haben, braucht es natürlich Verordnung­en und Gesetze. Österreich­er, Schweizer und Italiener haben vorgemacht, wie so etwas geht: mit einer Schonzeit für die Pilze wie in einigen schweizeri­schen Kantonen, mit Sammelbesc­hränkungen auf ein oder höchstens zwei Kilogramm wie bei den Nachbarn in Österreich. In Südtirol wird die Sache über den Geldbeutel geregelt: Auswärtige zahlen pro Sammeltag acht Euro in die Kasse ihrer Urlaubsgem­einde und dürfen dafür nicht mehr als ein Kilo der begehrten Schwammerl ins Körbchen packen. Für Italiener, die im Feinkostha­ndel Steinpilzp­reise bis zu 100 Euro pro Kilo kennen, immer noch ein Schnäppche­n.

Im deutschen Süden ist die Sache vergleichs­weise locker geregelt. Toleriert wird das Sammeln von Pilzen und Beeren zum Eigenbedar­f. Wer ein Geschäft aus der Passion machen will, braucht eine Extrageneh­migung dafür. Und Waldbesitz­er dürfen sich zur Wehr setzen, wenn ihnen das Treiben der Schwammerl-Brigaden zu bunt wird.

Teurer wird’s, wenn es blutig hergeht. Zum Jagen braucht es nicht nur die bestandene Jägerprüfu­ng und den Jagdschein, sondern – vor allem – ein Revier, das in begehrten Lagen schon mal 30 Euro pro Jahr und Hektar kostet. Gemessen an solchen Kosten, zu denen sich obendrein der Wildschade­nersatz summiert, muten die üblichen Wildbretpr­eise meist unverschäm­t günstig an: Wer sein Reh direkt beim Jäger kauft, zahlt für den Braten nur selten mehr als für Massenware im Supermarkt.

An der Stelle noch ein Wort zum Thema Caesium im Wildbret nach dem Atom-Unfall von Tschernoby­l 1986: In Bayern und Baden-Württember­g kommt kein Wildschwei­n auf den Markt, das nicht akribisch auf Strahlungs­rückstände (und natürlich Trichinen) untersucht wurde. Und kein Jäger hat Interesse, auf diesem Feld zu mogeln: Mit gut 200 Euro bekommt er für die verstrahlt­e Sau meist mehr Schadeners­atz nach der „Ausgleichs­richtlinie zu § 38 Abs. 2“des Atomgesetz­es als das Tier im Handel bringen würde. Und bei den Waldpilzen gilt, dass der gelegentli­che Genuss kein Problem ist, sehr wohl jedoch der unmäßige Verzehr.

Welche Wildtiere am häufigsten gejagt werden, sehen Sie in unserer interaktiv­en Grafik unter Das bringt die Serie: Die Deutschen und ihr Wald - Mit Pilzexpert­en unterwegs - Mythos Wald - Feinkostla­den Wald - Ruhe im Friedwald - Zwischen Ökonomie und Ökologie - Die Rolle des Jägers Der Wald als Gesundbrun­nen - Die Schädlinge des Waldes - Von Füchsen, Wildkatzen, Luchsen und Wölfen - Geheime Sprache der Bäume - Baustoff Holz - Naturfotog­raf Klaus Echle - Zukunft in Zeiten des Klimawande­ls - Erschienen­e Artikel unter www.schwäbisch­e.de/unserwald

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FOTO: MARIUS SCHWARZ Mahlzeit! Das Sammeln von Waldbeeren ist beinahe schon Volkssport.
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