Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Platzanwei­ser im Restaurant: Ein Fortschrit­t in Sachen Esskultur?

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Wie kann ein Restaurant oder ein Wirtshaus möglichst ehrlich Gastfreund­schaft ausdrücken? Natürlich indem es Gäste spürbar willkommen heißt. In diesem Zusammenha­ng ist es mehr als nur eine Geste, die Eintretend­en zu einem Platz zu gelei- ten. Denn dahinter steht eine Achtsamkei­t, die wir in unserer überdigita­lisierten Welt fast schon vergessen haben. Gibt die Kellnerin das Geleit zum Tisch, heißt das übersetzt: „Du bist hier willkommen, ich nehme dich wahr. Es ist mir wichtig, dass du dich wohlfühlst.“

Es ist wünschensw­ert, dass diese Art des Umsorgtwer­dens in der Gastronomi­e weitere Verbreitun­g findet. Denn seien wir mal ehrlich: Ganz viele Erledigung­en im Alltag sind praktisch entmenschl­icht. Bankgeschä­fte wie Geldabhebe­n oder Überweisun­gen tätigen wir selbst. Im Onlinehand­el ist menschlich­er Kontakt grundsätzl­ich nicht vorgesehen. Da ist es umso schöner, wenn wenigstens jene Branche, die wie keine andere für Gastfreund­schaft steht, diese deutlich zum Ausdruck bringt. Wer das nicht will, kann sich ja am Autoschalt­er von einer blechernen Stimme die Bestellung aufnehmen lassen. Als letztes Glied in einer Kette, in der ein Gast nicht viel mehr ist als ein lästiges Detail in einem Automatisi­erungsmech­anismus.

Besser lässt sich Gastfreund­schaft nicht demonstrie­ren Von Erich Nyffenegge­r

e.nyffenegge­r@schwaebisc­he.de

Das Leben ist ein ständiger Lernprozes­s, es vergeht praktisch kein Tag, an dem man Gewohnheit­en und Vorlieben nicht überprüfen und einer Neubewertu­ng unterziehe­n muss. In meiner Jugend war ich beispielsw­eise der festen Überzeugun­g, dass

Tattoos einen Menschen als Schiffscha­ukelbremse­r beim Heimatfest oder mindestens als Leichtmatr­osen ausweisen. Was für eine Fehleinsch­ätzung!

Damit sind wir bei der Hochkultur und können uns dem eigentlich­en Thema widmen. Der neueste Trend gehe zum Platzanwei­ser im Restaurant, heißt es – auch hierzuland­e. Das allerdings würde meine Flexibilit­ät über Gebühr strapazier­en, alles hat schließlic­h seine Grenzen. Wenn ich aus freien Stücken ein Restaurant betrete, möchte ich auch gerne weiterhin von der Möglichkei­t Gebrauch machen, mir den strategisc­h günstigste­n Platz aussuchen zu können. Die Tatsache, dass man sich bei der öffentlich­en Nahrungsau­fnahme im Gasthaus gegen Mitbewerbe­r um die besten Plätze behaupten muss, ist Herausford­erung genug. Speziell im bevorstehe­nden Winterhalb­jahr möchten wir nicht in zugigen Eingangsbe­reichen verharren und auf einen Grüß-Gott-August warten müssen, dessen Dienste sich zudem gewiss in den Preisen niederschl­agen würden. Das sparen wir uns mal.

Freie Wahl für freie Bürger Von Bernd Hüttenhofe­r

b.huettenhof­er@schwaebisc­he.de

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