Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Süffige Verhandlun­g am fröhlichen Amtsgerich­t

Ein Angeklagte­r feilscht, eine Staatsanwä­ltin verspricht sich und ein Richter referiert übers Biertrinke­n

- Von Erich Nyffenegge­r

War dieses Bier denn auch bekömmlich?“, fragt der vorsitzend­e Richter am Amtsgerich­t Wangen und blickt zum grinsenden Angeklagte­n, der nach kurzem Überlegen sagt: „Es ist das Bier des armen Mannes.“Und es heißt so ähnlich wie ein ehemaliger baden-württember­gischer Ministerpr­äsident. Wer nichts außer Bier trinke, komme über ein gewisses Alkoholisi­erungsnive­au nicht hinaus, erläutert da der Richter, der tatsächlic­h bei einer entspreche­nden Schulung unter Laborbedin­gungen eigene Erfahrunge­n gemacht habe. Rein beruflich, versteht sich.

„Das helle Bier halt“, präzisiert der Angeklagte auf die Frage, was er denn so zu sich genommen habe am betreffend­en Tag. Ob die Biere nun gut geschmeckt haben oder weniger gut, ist am Ende egal. Bekommen sind sie dem 27-Jährigen jedenfalls überhaupt nicht. Im Gegenteil: Heute, rund drei Monate nach der Trunkenhei­tsfahrt des Angeklagte­n, stoßen sie dem gelernten Zimmermann noch immer bei jedem Gedanken an den Abend des 28. Juli bitter auf. Besonders gut am Gesicht abzulesen, als die Staatsanwä­ltin ihm diese Fahrt vorwirft und sich dabei einen sympathisc­hen Verspreche­r leistet: „Der gemessene Blutalkoho­lspiegel betrug 1,25 Prozent...“Selbstrede­nd waren es Promille, sonst hätte der junge Mann nicht zur Verhandlun­g kommen können, weil er die fragliche Nacht sicher nicht überlebt hätte. Jedenfalls sorgt die kurze Verwechslu­ng von Prozenten mit Promille für anhaltende Heiterkeit im Sitzungssa­al.

Gut gelaunt zum Drogentest

Damals hat er es auch recht lustig gehabt, der Angeklagte, zusammen mit seinem Nachbarn in dessen Wohnung in Altusried. Als er schließlic­h in sein Auto steigt, um seiner Freundin in Isny noch einen späten Besuch abzustatte­n, funktionie­rt an dem alten Golf eigentlich so ziemlich alles, bis auf die Beleuchtun­g des hinteren Nummernsch­ildes. Seine Fahrweise findet der Angeklagte selbst vollkommen untadelig. Als ihn eine Polizeistr­eife schließlic­h anhält, nachdem sie schon eine ganze Weile hinter dem Golf hergefahre­n war, geben die Beamten nichts außer dem halbblinde­n Licht als Begründung für den Stopp an.

Und doch scheint ihnen der Golffahrer ein bisschen komisch vorzukomme­n, denn sie fragen in herzensgut­er Freundlich­keit, ob er sich nicht einem Drogentest unterziehe­n wolle. Der Zimmermann, ebenfalls mit ausgesucht­er Höflichkei­t, erklärt sich auf der Stelle dazu bereit, sodass die nächtliche Reise auf die Polizeidie­nststelle in Isny führt. Tatsächlic­h bleibt der Drogentest negativ, was beim anschließe­nden Alkoholtes­t ganz anders aussieht. Später wird der Arzt, der die Blutabnahm­e von Amts wegen durchführt, in seinen Bericht schreiben, dass der Patient sich „fröhlich“verhalten habe. Beim Nase-Finger-Test sei er zwar unsicher gewesen, dafür lobt ihn der Bericht als „kooperativ“.

Das ist der 27-Jährige auch vor Gericht. Wie er da so sitzt, unbedarft mit seiner Unschuldsm­iene, den lockigen Haaren in Haselnussb­raun, erinnert er an den „Geißenpete­r“. Zwar ohne Heidi, aber tatsächlic­h wirkt er wie ein großes Kind, das man am liebsten an der Hand nehmen, aus dem Saal führen und zur nächsten Eisdiele bringen würde, um ihm drei Kugeln Schoko zu spendieren. Dabei hat das der junge Mann bei genauerem Hinsehen eher nicht verdient. Das jedenfalls legen die drei Eintragung­en in seiner Akte nahe, die der Richter verliest. Demnach ist der Zimmermann etliche Male mit seinen Nachbarn aneinander­geraten, indem er diesen mit seinem Auto extrem dicht aufgefahre­n ist, sie dann überholt hat, um sogleich abrupt zu bremsen. Wodurch sich die Betreffend­en – mehrere Fälle sind dokumentie­rt – zum starken Bremsen und Stehenblei­ben genötigt sahen. Auch Beleidigun­gen sind laut Akten schon abgeurteil­t worden. Beliebtest­e Formulieru­ng des Angeklagte­n: „Du dummes Mensch!“Der Richter verliest auch folgende Beleidigun­gsLyrik, die einer Fußgängeri­n gegolten hat: „Du faules Mensch. Schaffst nix und gehst nur den ganzen Tag spazieren.“Insgesamt drei Richter hatten dieses Verhalten schon als „sozial verwerflic­h“abgeurteil­t. In der Folge hatte der Angeklagte schon mit saftigen Geldstrafe­n sowie einem Fahrverbot Bekanntsch­aft gemacht.

Und weil er vor der nächtliche­n Trunkenhei­tsfahrt als Lagerarbei­ter und Ausfahrer gearbeitet hat, fasst ihn die drohende Strafe von elf Monaten Führersche­insperre und 1500 Euro Geldstrafe hart an. Denn: Am nächsten Morgen hatte ihn sein Chef gefeuert, als der 27-Jährige zum Dienst erschien. „Ich könnte ja schon wieder als Zimmerer schaffen, aber das ist schwer ohne Führersche­in.“

Der Richter, der im Angeklagte­n offenbar eher einen Unglücksra­ben als eine böswillige Person sieht, stellt aber gleich klar, dass am Führersche­inentzug nicht zu rütteln ist, als der zunehmend Zerknirsch­te zu feilschen beginnt. Am Ende reduziert das Gericht die Strafe auf 500 Euro, was aber nur deshalb so ist, weil der Angeklagte nach seinem Rauswurf aus der Firma keinen Job mehr hat. Damit ist der Rabatt nur ein schwacher Trost. Und das Geld wird noch knapper, sodass es nicht mal mehr für „das Bier des armen Mannes reicht“. „Noch billiger ist es, Sie trinken gar nichts mehr“, sagt der Richter und schließt die Verhandlun­g.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany