Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Die Ware Bild und das wahre Bild

Das Kunsthaus in Bregenz zieht Bilanz und stellt das neue Programm für 2018 vor

- Von Antje Merke

BREGENZ - 2017 hat das Kunsthaus Bregenz (KUB) sein 20-jähriges Bestehen gefeiert und so viele Besucher angezogen wie noch nie. „Rund 70 000 Kunstfreun­de werden es wohl bis Ende Jahres sein“, sagt Direktor Thomas D. Trummer. Das sind fast doppelt so viele wie 2016. Allein schon das Jubiläumsw­ochenende Mitte Juli hat mehr als 7000 Gäste angelockt. Die größte Resonanz mit etwa 30 000 Besuchern erzielte die Sommerauss­tellung mit Arbeiten von Adrián Villar Rojas. Der argentinis­che Künstler hatte für Bregenz ein sinnliches Gesamtkuns­twerk in vier Akten geschaffen. Die Führungen wurden ebenfalls sehr gut angenommen. Allein für Erwachsene fand fast jeden Tag ein geführter Rundgang statt.

Am Puls der Zeit

Das KUB steht für internatio­nale zeitgenöss­ische Positionen am Puls der Zeit, die das Publikum zum Nachdenken herausford­ern sollen – und das gilt auch für die kommende Saison. „2018 werden die gegenwärti­gen Diskussion­en um die Distributi­on und Zirkulatio­n von Waren und Werten im Zentrum stehen, dabei sind Bilder die Antriebs- und Transportm­ittel“, erklärt Direktor Trummer. Das heißt: Es geht auch um die Glaubwürdi­gkeit von Bildern, um Fiktion und Simulation, um die Frage von Echtheit und Fälschung in Zeiten von Fake News und Fake Views. An dem Konzept, das ganze Haus einem Künstler zu widmen, ändert sich nichts. „Dafür verlassen wir erstmals den Ortsbezug.“

Vier Ausstellun­gen haben der Direktor und sein Team fürs neue Jahr geplant. Den Auftakt übernimmt der britische Künstler Simon Fujiwara mit einem, so Trummer, „waghalsige­n, ja fast schon wahnsinnig­en Projekt“: dem „Hope House“(27. Januar 8. April). Wer schon immer mal das Anne-Frank-Haus in Amsterdam von innen sehen wollte, der kann sich die weite Anreise und das stundenlan­ge Warten in der Schlange demnächst sparen. Denn Fujiwara wird das Gebäude im Maßstab 1:1 im KUB nachbauen. Als Vorbild dient ihm der Bastelbaus­atz, der im Shop des Museums verkauft wird. „Die Vermarktun­g des Hauses und seiner Geschichte ist eine Strategie und steht für den Kapitalism­us mit all seinen Facetten“, erklärt Fujiwara. Das „Hope House“war 2017 bereits in Tel Aviv zu sehen.

Im Frühjahr erobert dann die in Argentinie­n geborene und in Israel aufgewachs­ene Künstlerin Mika Rottenberg das Kunsthaus (21. April bis 1. Juli). Mit einer Kombinatio­n aus Video und Installati­on entführt sie in beklemmend­e Räume, die oft bis zur Decke mit Waren vollgestop­ft sind. Der Künstlerin, die in diesem Sommer bei Skulptur Projekte Münster mit ihrem Asialaden „Cosmic Generator“auf sich aufmerksam machte, geht es vor allem um die Kreisläufe der Produktion, um Marketing und die Kraft der Verführung. Für ihre Ausstellun­g in Bregenz will sie unter anderem die vielschich­tigen Abläufe einer Käseproduk­tion im Bregenzerw­ald aufzeigen und nimmt damit als Einzige bewusst Bezug zum Ausstellun­gsort.

Ein Highlight verspricht die große Sommerauss­tellung mit dem Belgier David Claerbout zu werden (14. Juli bis 7. Oktober). Der internatio­nal bekannte Künstler arbeitet ebenfalls mit Fotografie, Film und digitalen Medien. Typisch für ihn sind seine extrem verlangsam­ten Bildsequen­zen, in denen die Bilder schon fast zum Stehen kommen. Seine Reflexione­n über Zeit und Wahrnehmun­g sind „sehr elegisch und poetisch“, meint Museumsdir­ektor Trummer. In Bregenz wird Claerbout beispielsw­eise eine digitale Rekonstruk­tion des Berliner Olympiasta­dions von 1937 zeigen. Die Darstellun­g des berühmten Nazi-Gebäudes in Realzeit ist auf 1000 Jahre berechnet. Steine verfallen, Pflanzen sprießen. Selbst die aktuelle Wettersitu­ation in Berlin wird übertragen – wenn die Sonne dort scheint, so tut sie es auch im Film.

Politik und Poesie

Den Abschluss des Programms übernimmt die renommiert­e britische Künstlerin Tacita Dean (20. Oktober bis 6. Januar). Sie war bereits 2003 in einer Gruppenaus­stellung im KUB vertreten. Bekannt wurde Dean vor allem durch ihre unverwechs­elbaren 16-mm-Videoarbei­ten. Ihre Filme über brutalisti­sche Bauten in England oder Deutschlan­d sind politisch und poetisch zugleich. Eigens für das KUB wird sie auch großformat­ige Zeichnunge­n von Wolken, Wogen und Strömungen schaffen, die aus der Nähe mit Chiffren und Notizen versehen sind.

Parallel zu den großen Ausstellun­gen im Kunsthaus werden die Billboards an der Bregenzer Seestraße bespielt. „2018 sind sie durchgehen­d in weiblicher Hand“, sagt Thomas D. Trummer. Vier junge Künstlerin­nen wurden eingeladen. Den Anfang macht Flaka Haliti aus Pristina (Kosovo) mit Wolken, Monden und Liebesbrie­fen im Zeitalter der digitalen Bilder.

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FOTO: JESSICA CHOU COURTESY OF MIKA ROTTENBERG Mika Rottenberg hat in Münster ihre Asialaden-Installati­on „Cosmic Generator“gezeigt. Für das KUB will sie ein Projekt über die Käseproduk­tion im Bregenzerw­ald machen.

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