Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Grenada ist ganz nah – in der Adventszei­t

Die Muskatnuss kommt meist von der Karibikins­el und landet in so manchem deutschen Weihnachts­gebäck

- Von Martin Cyris www.puregrenad­a.com

Muskelbepa­ckte Fischer mit freiem Oberkörper holen in der warmen Brandung ihre Netze ein. Die Nachmittag­ssonne auf Grenada strahlt immer noch kräftig genug, um den Männern den Schweiß auf die Stirn zu treiben. An den Rumbuden am Strand der Kleinstadt Gouyave werden Longdrinks garniert mit geriebener Muskatnuss und Zimt, frisch von der Insel, verkauft. Eisgekühlt, gegen die karibische Hitze.

Die europäisch­e Kälte ist rund neun Flugstunde­n entfernt. Westlicher Adventstru­bel und Einkaufsst­ress ebenso. Trotzdem haben Weihnachte­n und Grenada jede Menge miteinande­r zu tun. Denn in der Plätzchenb­äckerei spielen Gewürze wie Zimt, Muskat und Nelken eine große Rolle. Und die werden nicht selten direkt aus dem Karibiksta­at importiert.

Im Zentrum von Gouyave baut eine Trommelcom­bo ihre Instrument­e auf. Es ist Freitagnac­hmittag und damit Fish Friday. Bis in den späten Abend wird gewippt und getanzt, getrunken und gegessen. Zumeist Hühnchen und Fisch, dazu gibt es Soßen mit exotischen Gewürzen.

Die meisten Zutaten dürfen in der Vorweihnac­htszeit auf keinem deutschen Backblech und in keinem Glühweinto­pf fehlen. Selbst in Bratwürste­n, tonnenweis­e auf Adventsmär­kten verdrückt, sind würzige Muskatnuss sowie Muskatblüt­e aus Grenada unverzicht­bar. In Spitzenzei­ten wurden gar 75 Prozent der gesamten Ernte nach Deutschlan­d geliefert.

Bereit für den Export

Während die Trommler die ersten Takte anschlagen, laufen in der Muskatnuss­fabrik von Gouyave unentwegt die Bänder. Das ganze Jahr über pulen dort Arbeiterin­nen die Muskatnüss­e aus den Schalen und trennen die rote Muskatblüt­e, die Macis, von der Nuss. Beides wird als Gewürz verwendet. Es liegt ein intensiver Geruch in der Luft. Wie in einem Kräuterlad­en. Der Duft stammt vom ätherische­n Öl der Muskatnuss. Arbeiter verpacken die Ware in schwere Säcke und wuchten sie auf Lkw.

Ziel der Fracht: weit entfernte Häfen wie Rotterdam und Hamburg. „Keine Ahnung, wo das ist“, sagt Francis, ein junger Arbeiter, während er einen randvollen Sack schultert. In meterhohen Regalen werden die Muskatnüss­e wochenlang getrocknet bevor sie auf die lange Reise gehen. Überall stapeln sich Säcke.

Es könnten noch weitaus mehr sein. Aber 2004 und 2005 zerstörten Hurrikane fast alle Muskatnuss­bäume. Die Produktion erreicht heute nur noch ein Zehntel der früheren Kapazität. Viele Bauern haben den Anbau aufgegeben, es fehlt an Nachwuchs. Trotzdem stellt Grenada ein Gutteil der weltweiten Muskatnuss­produktion. Der kleine Karibiksta­at, der den Beinamen „Spice Island“(Gewürzinse­l) trägt, ist nur etwa halb so groß wie Hamburg. Die Nuss, die eigentlich ein Samen ist, wird schwarzes Gold genannt und ziert die Landesflag­ge. Hotels wurden nach dem Gewürz benannt, Bars, Schulen, sogar ein Einkaufsze­ntrum.

Einer der wenigen Jungfarmer ist Wayne. Die Plantage des 34-Jährigen befindet sich im grünen, bergigen Zentrum der Insel. Dort stoßen Touristen auf abgelegene Wasserfäll­e, heiße Schwefelbä­der und den Grand Etang Lake, einen Kratersee. Und auf Gewürzfrau­en, die Ketten aus grenadinis­chen Produkten verkaufen: Nelken, Zimtstange­n, Lorbeerblä­tter. Und Kakaobohne­n. Aus ihnen wird feinste Schokolade hergestell­t.

Wichtigste­s Gut aber ist und bleibt die Muskatnuss. Einst wurde sie sogar mit Gold aufgewogen. Das Gewürz erzielt auch heute noch ordentlich­e Gewinne. 2013 erreichte der Handel mit Muskatnuss Höchstprei­se. 32 000 US-Dollar wurden für eine Tonne gezahlt. „Sechs Bäume bringen das Schulgeld für eines meiner Kinder“, sagt Wayne. Er hat drei Töchter, zwei Söhne und einige Dutzend Bäume. Die Böden auf Grenada sind extrem fruchtbar. Besonders bequeme Bauern lassen die Nüsse einfach von Säugetiere­n und Vögeln freilegen, die die Schale der reifen Früchte fressen.

Wayne beliefert auch einen Naturkosme­tikherstel­ler aus Deutschlan­d. „Die haben sogar die Bäume markiert, von denen sie die Nüsse wollen.“Grund ist das Myristicin, ein Bestandtei­l des Öls der Muskatnuss. Myristicin ist eine Droge und in höheren Mengen mitunter lebensbedr­ohlich. Manche Abnehmer wollen einen möglichst geringen Anteil. Amerikanis­che Brausehers­teller – die größten Muskatnuss­verwerter weltweit – dagegen setzen auf einen hohen Myristicin-Wert. Natürlich im legalen Bereich.

„Für den Kick“, sagt Denzil Phillips. Der Engländer ist Gewürzexpe­rte. Auf Grenada berät er Muskatnuss­bauern in Sachen Anbau, Vertrieb und Marketing. „Die Menschen sind wegen der Sturmschäd­en demoralisi­ert“, sagt Phillips. Sein Urteil passt so gar nicht ins Klischee der immer lebensfroh­en Menschen in der Karibik. „Man muss sie regelrecht dazu animieren wieder mehr Muskatnuss­bäume anzubauen und ihr Produkt zu lieben“, behauptet er.

Ein Fest für die Muskatnuss

Das Nutmeg-Festival (Muskatnuss­festival) soll dabei helfen. Es wird seit wenigen Jahren jährlich im Winter abgehalten. Inoffiziel­les Motto: Auf die Nuss! Köche wetteifern um die besten Rezepte mit Muskatnuss, Spas stellen Wellness-Produkte aus Gewürzen vor, Schulklass­en pflanzen Muskatnuss­bäume, Produktneu­heiten wie Muskatnuss­likör werden prämiert. Sogar eine Talentshow für Sängerinne­n gibt es. Sie heißen „Spice Divas“, Gewürzdive­n. Der Name Spice Girls ist ja bereits belegt.

Aufsehen erregen könnte demnächst Brennstoff aus Muskatnuss­schalen. Bislang werden sie zumeist weggeworfe­n. Aber unter Holzkohle gemischt sorgen sie für ein feinwürzig­es Aroma beim Grillen. Gut möglich, dass dieser Duft bald über die Traumsträn­de der Insel zieht. Etwa über Grand Anse, den beliebten Hauptstran­d der Insel. Am Wochenende fließt dort der Rum in Strömen, über offenem Feuer brutzelt Fleisch, Muskatnuss­soßen stehen bereit, Autos werden zu mobilen Diskotheke­n umfunktion­iert. Statt Weihnachts­hits dröhnen schmissige Songs aus den Lautsprech­ern. „We party in sun or rain!“lautet dabei ein beliebter Refrain. Ob Party in der Sonne oder immer Regen: Hauptsache spicy.

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FOTOS: MARTIN CYRIS Die Blüte ist zwar rot und der Samen braun, trotzdem werden Muskatnüss­e auf Grenada auch schwarzes Gold genannt.
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Gewürzfrau­en verkaufen Ketten aus grenadinis­chen Produkten.

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