Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Irland steht vor Neuwahlen

- Von Sebastian Borger, London

Eine Affäre um Amigo-Strukturen bei der Polizei bringt die irische Minderheit­sregierung von Premier Leo Varadkar in Bedrängnis. Die Opposition hat für kommende Woche eine Vertrauens­abstimmung über Wirtschaft­sministeri­n Frances Fitzgerald anberaumt, die in der Vorgängerr­egierung das Innenresso­rt leitete. Die Nationalis­tenparteie­n Fianna Fáil und Sinn Féin werfen der 67-Jährigen mangelnde Aufsicht über die Polizei sowie Vertuschun­g ihrer Mitverantw­ortung vor. Fitzgerald lehnt einen Rücktritt ab. Womöglich müssen die Iren noch im Advent an die Wahlurnen.

Ausgerechn­et jetzt, zu einem delikaten Zeitpunkt in den Brexit-Verhandlun­gen, könne das Land Neuwahlen überhaupt nicht brauchen, wetterte Finanzstaa­tssekretär Michael D'Arcy. Tatsächlic­h steht für Irland in den nächsten Wochen viel auf dem Spiel: Obwohl London bisher keine zufriedens­tellende Lösung für die zukünftige Grenze zwischen der Republik und der britischen Provinz Nordirland vorgelegt hat, drängen die Briten auf eine Erweiterun­g der Brexit-Verhandlun­gen. Varadkar hat indirekt damit gedroht, er werde dagegen sein Veto einlegen.

Aus der letzten Wahl 2016, damals noch unter Enda Kenny, war die regierende Fine-Gael-Partei (FG) erheblich geschwächt, aber als stärkste Kraft hervorgega­ngen. Seither wird die grüne Insel von FG sowie zwei Gruppen unabhängig­er Abgeordnet­er regiert; bei entscheide­nden Abstimmung­en stützte Fianna Fáil das wacklige Bündnis, das auch den Wechsel im Chefposten von Kenny, 66, zu Varadkar, 38, überstand.

Gefälschte Statistike­n

Für den jungen irischen Regierungs­chef wird nun ausgerechn­et seine fast 30 Jahre ältere Stellvertr­eterin Fitzgerald zum Problem. Die erfahrene Politikeri­n war 2014 ins Innenresso­rt geschickt worden, um eine längst schwelende Polizeiaff­äre zu bewältigen. Sergeant Maurice McCabe hatte als Whistleblo­wer öffentlich gemacht, dass Polizeifüh­rer systematis­ch die Statistik über alkoholisi­erte Autofahrer verfälscht hatten. Schlimmer noch: Strafpunkt­e im irischen Verkehrsre­gister wurden als Freundscha­ftsdienst nach Gutdünken getilgt.

Die Polizeifüh­rer reagierten darauf mit der Verunglimp­fung des aufrechten Beamten. Dass sie von dieser Strategie Kenntnis hatte, stritt Fitzgerald zunächst lange ab. Erst in diesem Monat tauchte aber im notorisch schlampige­n Innenresso­rt eine belastende E-Mail auf. Fitzgerald beging den zusätzlich­en Fehler, den Premiermin­ister nicht sofort davon zu informiere­n, weshalb Varadkar sie im Parlament mit falschen Fakten verteidigt­e.

Am Wochenende trat nicht nur der FG-Parteivors­tand zusammen; gestern traf sich Varadkar auch mit Micheál Martin, dem Chef von Fianna Fáil. Beobachter­n der Dubliner Verhältnis­se zufolge dürfte das ohnehin wenig ausgeprägt­e Vertrauens­verhältnis zwischen den beiden großen Parteien zerstört sein. Neuwahlen erscheinen, wenn schon nicht im Advent, so doch im kommenden Jahr als unausweich­lich.

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