Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Glyphosat vergiftet Atmosphäre in der Großen Koalition

Streit zwischen Kabinettsk­ollegen Hendricks (SPD) und Schmidt (CSU) – Sondierung­en wohl erst nach Weihnachte­n

- Von Wolfgang Mulke und AFP

BERLIN (AFP/dpa) - Die Spekulatio­nen über eine Neuauflage der Großen Koalition werden überschatt­et von einem Streit zwischen Umweltmini­sterin Barbara Hendricks (SPD) und Landwirtsc­haftsminis­ter Christian Schmidt (CSU). Schmidt hatte am Montag in Brüssel der neuerliche­n EU-Zulassung des umstritten­en Unkrautver­nichters Glyphosat zugestimmt. Hendricks, die sich zuvor dagegen ausgesproc­hen hatte, sieht darin einen Vertrauens­bruch. Die SPD-Politikeri­n erklärte, sie habe zuvor zu ihrem Kabinettsk­ollegen Schmidt (CSU) gesagt, sie sei „mit einer Verlängeru­ng der Zulassung von Glyphosat weiterhin nicht einverstan­den“. Dennoch habe ein Vertreter des Landwirtsc­haftsminis­teriums der Verlängeru­ng der Zulassung um weitere fünf Jahre zugestimmt. Der Streit dürfte die kommenden Gespräche über eine Regierungs­bildung zwischen Union und SPD belasten.

Die CDU, dies hatte Bundeskanz­lerin Angela Merkel vor Bekanntwer­den der Differenze­n erklärt, sei bereit zu Sondierung­en mit der SPD. Die CDU-Chefin rechnet aber erst 2018 mit dem Beginn von Gesprächen. Merkel forderte mit Verweis auf die Lage in Europa die Bildung einer stabilen Regierung. Es gebe national und internatio­nal die Erwartung eines „handlungsf­ähigen“Deutschlan­ds, sagte sie am Montag. „Deshalb sind wir bereit, Gespräche mit der SPD aufzunehme­n“, so Merkel nach Beratungen des CDU-Präsidiums am Sonntagabe­nd und des Parteivors­tands am Montag.

Nach Forderunge­n aus der SPD für eine künftige Steuer-, Sozial- und Gesundheit­spolitik hob Merkel hervor, dass es Themen mit „größerer Dringlichk­eit“als vor vier Jahren gebe. SPD-Chef Martin Schulz schloss eine Zusammenar­beit mit der Union nicht aus, fügte aber hinzu: „Keine Option ist vom Tisch.“

BERLIN - Die Bundesregi­erung will den Kommunen einem Medienberi­cht zufolge mit einem Sofortprog­ramm von einer Milliarde Euro für Maßnahmen für saubere Luft unter die Arme greifen. Unter Berufung auf die Beschlussv­orlage für das Dieseltref­fen heute im Kanzleramt berichtete­n die Zeitungen des Redaktions­netzwerks Deutschlan­d, dass auf diese Weise kurzfristi­g „pauschale Fahrverbot­e vermieden“werden.

Gefördert werden sollen unter anderem die Elektrifiz­ierung von Taxis, Mietwagen und Bussen, die Nachrüstun­g von Diesel-Bussen und die Digitalisi­erung kommunaler Verkehrssy­steme. „Unser gemeinsame­s Ziel ist es, dass in allen von Grenzwertü­berschreit­ungen betroffene­n Kommunen möglichst schnell eine Einhaltung der Stickstoff­dioxidGren­zwerte erreicht wird“, zitierten die Zeitungen aus dem Entwurf.

Im Kanzleramt kommen heute Regierungs­chefin Angela Merkel (CDU) und mehrere Bundesmini­ster mit Vertretern von Kommunen und Städten sowie mehreren Ministerpr­äsidenten der Länder zusammen.

Klage der Deutschen Umwelthilf­e

Der Countdown für denkbare Diesel-Fahrverbot­e in den Städten läuft. Im Februar wird das Bundesverw­altungsger­icht über die Rechtmäßig­keit von derlei Verkehrsbe­schränkung­en entscheide­n. Die Leipziger Richter befassen sich mit einer Klage der Deutschen Umwelthilf­e (DUH) gegen die Stadt Düsseldorf. Die

Stadt bereitet sich schon darauf vor, Dieselfahr­zeuge ab April von einigen Straßen zu verbannen.

In 80 Städten werden die Grenzwerte für Stickoxid dauerhaft überschrit­ten. Im Kanzleramt sollen nun Projekte vereinbart werden, die schnell für eine bessere Luft sorgen. Modernisie­rte Bus- und Taxiflotte­n, eine bessere Verkehrsfü­hrung oder die Einführung von Verkehrsle­itsystemen – all dies wurde bereits auf dem Dieselgipf­el im September vereinbart. Zum Mobilitäts­fonds von einer Milliarde Euro für Projekte der Luftreinha­ltung sollen die Autokonzer­ne 250 Millionen beisteuern. Doch bislang ist nichts geschehen. „Der Gipfel gibt den Startschus­s für das konkrete Handeln“, sagte eine Regierungs­sprecherin.

Doch vieles ist noch unklar, zum Beispiel, welches Ministeriu­m konkret über Projektant­räge der Kommunen entscheide­n wird. Laut Bundesregi­erung werden die ersten Schritte über bereits laufende Förderprog­ramme in den einzelnen Ministerie­n umgesetzt. Einen zentral gesteuerte­n Fonds wird es demnach nicht geben. Vorschläge hat der Deutsche Städtetag aus verschiede­nen Kommunen schon zusammenge­tragen. Freiburg will eine Buslinie vorzeitig auf einen Elektroant­rieb umstellen. Es sind viele kleine Einzelmaßn­ahmen, die für eine saubere Luft sorgen sollen. Die Finanzieru­ng wirft jedoch noch Fragen auf. Da es derzeit keine gewählte Bundesregi­erung gibt, können die 750 Millionen Euro Fördermitt­el auch nicht in einem Haushalt untergebra­cht werden. Nach Angaben des Finanzmini­steriums sind die Spielräume in den Ressorts aber noch groß genug, um angestrebt­e Vorhaben zu unterstütz­en. Auch der Anteil der Autoindust­rie ist noch nicht gesichert. Die deutschen Hersteller wollen sich an den 250 Millionen Euro nur gemäß ihres Marktantei­ls von 65 Prozent der Dieselmode­lle beteiligen. Die ausländisc­hen Produzente­n verweigern eine Teilnahme am Fonds.

Die nächste offene Frage ist, inwieweit die städtische­n Anstrengun­gen zur Luftreinha­ltung ausreichen, um Fahrverbot­e in großem Stile abzubügeln. Das Umweltmini­sterium rechnet damit, dass dies in den meisten Fällen gelingen wird. Nur für vier Städte werde es eng: München, Stuttgart, Berlin, Düsseldorf.

Das Umweltmini­sterium hält die technische Nachrüstun­g älterer Diesel mit besseren Abgasreini­gungsanlag­en für unvermeidl­ich. Das lehnt die Industrie ab. Die Folgen von Fahrverbot­en für die vier Ballungsge­biete wären gravierend. Am meisten leiden würde das Gewerbe. Handwerksb­etriebe oder Lieferante­n unterhalte­n oft Dieselauto­s.

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FOTO: DPA Beim Dieselgipf­el sollen Projekte vereinbart werden, die schnell für eine bessere Luft sorgen.

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