Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Große Unterschiede bei der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik
SPD will Bürgerversicherung – Es gibt aber auch große schwarz-rote Schnittmengen bei der möglichen Bildung einer Großen Koalition
BERLIN (dpa) - Zwar mehren sich die Anzeichen, dass es zur Neuauflage der Großen Koalition kommen könnte. Doch vor allem bei der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik liegen die Positionen von Union und SPD oft weit auseinander. Die SPD macht die Einführung einer einheitlichen Bürgerversicherung zu einer Bedingung für eine Neuauflage der Großen Koalition. Doch es gibt auch große schwarzrote Schnittmengen. Eine Übersicht: Bürgerversicherung: Die SPD will Privatversicherten die Wahl geben, in eine Bürgerversicherung zu wechseln. Arbeitgeber und -nehmer sollen wieder gleiche Beiträge zahlen. Heute zahlen die Arbeitnehmer über die Zusatzbeiträge mehr – künftige Steigerungen der Gesundheitskosten müssten sie nach dem heutigen System alleine schultern. Angeglichen werden sollen laut SPD auch die Arzthonorare, sodass Privatversicherte von Medizinern nicht mehr bevorzugt behandelt werden. Die Union ist strikt gegen eine „Zwangsvereinigung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung“, wie dies Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) nennt. Rentenreform: Die SPD hat das Ziel, das Rentenniveau zu sichern und perspektivisch anzuheben. Die bisherige Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) hatte ein langfristiges Rentenkonzept bis 2045 vorgelegt. Danach soll es Haltelinien für Rentenniveau und -beiträge geben. Eine neue Solidarrente soll Geringverdiener besser vor einem Abrutschen in Altersarmut schützen. Die Union hatte im Wahlkampf größere Rentenversprechen vermieden und will Wesentliches erst in einer Kommission beraten. Die CSU will die Mütterrente ausweiten. Arbeit und Soziales: Auch die Union will die Langzeitarbeitslosigkeit unter anderem durch mehr gesellschaftlich wertvolle, staatlich bezuschusste Beschäftigungsmöglichkeiten bekämpfen. Bei Hartz IV setzte die SPD im Wahlkampf auf Erleichterungen, etwa durch eine Verdoppelung des Schonvermögens, während die Union hier nichts wesentlich ändern will. Beim Mindestlohn will die SPD Ausnahmen für Langzeitarbeitslose abschaffen – die Union hingegen Bürokratie abbauen. Das von der SPD forcierte Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit scheiterte an der Union. Solidaritätszuschlag: Die Union will den Solidaritätszuschlag von 2020 an schrittweise abbauen. Zunächst um mindestens vier Milliarden Euro und dann weiter bis 2030 in gleichmäßigen Raten. Die SPD will den Soli von 2020 an zunächst für untere und mittlere Einkommen abschaffen und in einem nächsten Schritt für alle. Einkommensteuer: Die CDU hatte vor der Wahl Steuerentlastungen von 15 Milliarden pro Jahr in Aussicht gestellt. Die CSU pocht auf eine „wuchtige“Steuersenkung. Die SPD will vor allem untere Einkommen und die Mittelschicht entlasten. Top-Verdiener und sehr große Erbschaften sollen stärker zur Kasse gebeten werden. Migration: Die Union will den Familiennachzug weiter ausgesetzt lassen und den Flüchtlingskompromiss von CDU und CSU einbringen, nach dem maximal 200 000 Flüchtlinge pro Jahr aufgenommen werden sollen. Die SPD dürfte das in Reinform nicht mitmachen – aber unbegrenzte Einwandung will sie auch nicht. Kohlekraftwerke: SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks will einen Pfad für den Kohleausstieg. Bei den Jamaika-Sondierungen hatte CDUChefin Angela Merkel eine größere Reduzierung der Kohlestromproduktion angeboten, als Union und FDP eigentlich zugestehen wollten. Europa: Die SPD könnte offener als die Union für Forderungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron sein, etwa für einen Haushalt für die Eurozone.